General Motors:Rüsselsheim contra Russland

General Motors, Mutterkonzern von Opel, will mit Werken in Osteuropa neue Kunden gewinnen - und schürt damit Zukunftsängste bei der Belegschaft in Deutschland.

Harald Schwarz

Rüsselsheim - Adam Opel geht es besser. Zumindest etwas. Er steht als etwa drei Meter hohe Gussfigur nicht mehr mitten in einer ungepflegten Hecke samt Unkraut, Hundekot und weggeworfenen Bierdosen. Die Stadt Rüsselsheim hat den Bahnhofsplatz komplett modernisiert und zugepflastert. Die Statue des Gründers der Autofirma Opel platzierte sie auf einem kleinen Podest neben dem Hauptportal des Unternehmens.

General Motors: Demonstranten hängen dem Denkmal von Adam Opel in Rüsselsheim ein Plakat um.

Demonstranten hängen dem Denkmal von Adam Opel in Rüsselsheim ein Plakat um.

(Foto: Foto: ddp)

Wobei das Hauptportal diesen Namen nicht mehr verdient. Hinter diesem Tor 1 liegt Industriebrache. "Da ist ein gutes Stück weit alles tot", sagt ein Pförtner. Leere, dunkle Bauten bilden dort eine traurige Kulisse. Das Herz von Opel aber schlägt längst viel weiter im Westen, weshalb die Figur des Opel-Pioniers am falschen Ort steht.Stehen müsste sie zum Beispiel vor Tor 45 neben dem Internationalen Technischen Entwicklungszentrum. Oder vor Tor 60, durch das die Arbeiter an die Fließbänder eilen.

Nicht wenige fahren Autos der Konkurrenz

Es ist kurz nach halb sieben an einem nasskalten Morgen: Ein Auto nach dem anderen biegt ein auf den Parkplatz bei Tor 45. Man sollte meinen, dass Opelaner auch Opel fahren. Bei vielen ist das auch so, doch etliche steuern Fahrzeuge der Konkurrenz von Audi, VW und Mercedes in die Parkbuchten. Zwei Opel-Kollegen in mausgrauer Werkskleidung kommen fast zeitgleich an.

Sie wollen Georg und Tobias heißen, weil sie ihre richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchten. "Wer weiß, ob das Konsequenzen hätte. Wir sind einfache Arbeiter, Schrauber sozusagen", sagt Georg. Tobias nickt. Georg überlegt gerade, ob er sich einen Mercedes als Nachfolger für seinen alten Opel kaufen soll. "Wegen des höheren Wiederverkaufswerts", sagt er. Tobias wendet ein, man säge "am eigenen Ast", wenn man andere Wagen kaufe. Er sagt aber auch, keiner wisse wie es "beim Opel" in einigen Jahren weitergehe.

In Kürze sollen wieder knapp 1000 Arbeitsplätze verschwinden durch die Abgabe von Firmenteilen an Dienstleister. Der Gesamtbetriebsrat kämpft um "soziale Mindeststandards" für diese Jobs, sagt sein Vorsitzender Klaus Franz. Stoppen lässt sich die Auslagerung nicht mehr.

Georg und Tobias lesen die Zeitungen aufmerksam, die solche Meldungen bringen, auch wenn Rüsselsheim dieses Mal nicht betroffen ist. "Das ist trotzdem demotivierend, es könnte uns genauso treffen", sagen die "Schrauber". Sie erinnern an den Verlust von 5500 Jobs an ihrem Standort nach der Sparrunde 2005. Und sie erinnern sich an eine Schlagzeile vor kurzem in einem Lokalblatt. Sie lautete: "Osteuropa für GM immer wichtiger".

GM steht für General Motors, den US-Mutterkonzern von Opel. Der plant Fertigungen in einer Vielzahl von Autowerken in Osteuropa, beispielsweise in Russland, der Ukraine, in Serbien und Usbekistan. Die Go-East-Politik von GM rechtfertigt Jonathan Browning, Vertriebs- und Marketingchef von GM Europe (GME), indem er sagt, Russland werde "wahrscheinlich noch 2008 vom Volumen her Deutschland als zweitwichtigsten GM-Markt hinter Großbritannien" ablösen.

"Sträfliche unternehmerische Fehlentscheidung"

Kleinwagen der Billigmarke Chevrolet machen das möglich. Auch Opel-Chef Hans Demant, ein ergrauter Vollblut-Ingenieur mit Vollbart, preist die Vorzüge Russlands für die Firma mit dem Blitz im Emblem. "Wir haben im vergangenen Jahr in Russland doppelt so viel verkauft wie zunächst angepeilt", sagt er. Opel genieße in Russland höchste Reputation, habe das Image gehobener Mittelklasse. Er glaubt, es wäre "eine sträfliche unternehmerische Fehlentscheidung", blieben die Wachstumschancen dort ungenutzt.

Fortsetzung auf der nächsten Seite: GM soll die Standorte nicht gegeneinander ausspielen können.

Rüsselsheim contra Russland

Russland, Russland, immer wieder Russland: die Lobeshymnen, die Manager wie Browning, Demant und der Chef von GM Europa, Carl-Peter Forster, anstimmen, nerven die Menschen an der Basis der Opel-Belegschaft. Das wird bei Stippvisiten an Tor 45 schnell klar. Und an Tor 60 nur bestätigt. "Wir werden hier vergessen.

Bei uns wird nur gespart", schimpft dort einer, der in einem Opel Calibra zur Arbeit kommt. Er verweist auf die mehr als eine Million Überstunden, die die Belegschaft 2007 bei Opel geleistet habe. "Das ist eine enorme Anstrengung. Das sollte honoriert werden. Doch die Herren Manager reden lieber über Russland", sagt er, schüttelt verständnislos den Kopf und trottet in die Fabrik. Die Leute in den Werkstätten und an den Fließbändern sind besorgt, dass die Osteuropa-Euphorie, in der ihre Chefs schwelgen, in wenigen Jahren für sie bittere Folgen haben könnte. Zukunftsängste plagen sie.

Der Argwohn bleibt

Tags zuvor wollte der Vorgesetzte der "Schrauber" sein Team aufzuklären. Seine Botschaft: Die GM-Pläne im Osten seien eine Chance; Gefahren für Jobs in Deutschland gebe es keine. Nicht jeder glaubte ihm. Äußerungen von Forster im Mitarbeiter-Blatt Opel Post, wonach die neuen GM-Werke im Osten "nicht automatisch" bedeuteten, dass Produktionsvolumen aus Westeuropa abgezogen werde, lesen viele Arbeiter.

Doch ihr Argwohn bleibt, zumal Forster sagt: "Auch in Westeuropa werden wir weiter Autos bauen, aber in welchem Umfang kann im Moment niemand ehrlich beantworten." Und er fügt hinzu: "Ich kann hier leider keine Entwarnung geben." Das klingt nach berechtigten Ängsten der Opelaner, denen auch eine Studie von Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research kaum verborgen geblieben sein dürfte.

Der Wissenschaftler rechnet mit einem drastischen Stellenabbau bei deutschen Autobauern nach 2009, weil deren Exporte nach Russland und in die USA schrumpfen wegen der forcierten Produktion vor Ort. 15.000 bis 20.000 Arbeitsplätze seien bedroht. Die deutschen Produktionskapazitäten müssten um 370.000 Autos sinken. Der Abbau treffe Ford, VW - und Opel.

GM soll die Standort nicht gegeneinander ausspielen können

Hans Demant will nicht über Stellenabbau oder Werksschließungen sprechen. Er verkündet sogar: "Eine Unruhe in der Belegschaft wäre mir neu." Aber natürlich müssten alle Fabriken "permanent an ihrer Produktivität und Effizienz arbeiten und die Qualität immer weiter verbessern. Das tun wir", sagt er. Der Frage, ob und wann es in Rüsselsheim wieder eine dritte Schicht geben werde, weicht der Opel-Chef aus. Er sagt lediglich: "In jedem Fall steht vor einer Produktionsentscheidung eine sorgfältige Analyse. Über Standorte werden wir nicht spekulieren."

Im zweiten Stock in Gebäude D10 im Werk Rüsselsheim sitzt Klaus Franz in seinem Büro, den Blackberry stets griffbereit. Hinter ihm an der Pinnwand hängen Zettel mit Produktions- und Verkaufszahlen. Franz ist Gesamtbetriebsratschef von Opel und Vorsitzender des Europäischen GM Arbeitnehmerforums.

Er sorgt sich also nicht nur um die Werke in Rüsselsheim, Bochum, Eisenach und Kaiserslautern, sondern auch um jene etwa im schwedischen Trollhättan, im belgischen Antwerpen, in Saragossa in Spanien und Ellesmere Port in Großbritannien. Franz kämpft für Solidarität der Standorte. Er will verhindern, dass GM die Werke gegeneinander ausspielen kann. Franz ist zwar nicht unumstritten, doch kennt er die Nöte der Leute.

Es sei "äußerst kontraproduktiv", wenn Manager immer über das Ausland redeten. Er sei zwar der Meinung, dass dort produziert werden solle, "wo die Märkte sind". Doch wehre er sich dagegen, "wenn menschliche Ressourcen vernichtet werden" durch den Bau zusätzlicher Kapazitäten im Osten. Komme es dazu, gebe es Konflikte, kündigt er selbstbewusst an.

Fortsetzung auf der nächsten Seite: Das Hauptmanko in Deutschland ist das schlechte Image der Marke.

Rüsselsheim contra Russland

Schreckgespenster malt Franz noch nicht an die Wand. Mit der Astra- und Zafira-Produktion hält er das Werk Bochum bis 2016 für gesichert, was er "gefixt" nennt. In Rüsselsheim gehe es vorerst bis 2018 weiter, meint er, weil künftig drei Opel- und drei Saab-Modelle produziert würden.

Derzeit ist die Fabrik aber chronisch unterausgelastet. 135.000 Fahrzeuge werden produziert - die Kapazitätsgrenze liegt bei 293.000 Einheiten. Franz möchte Rüsselsheim "bis an die Halskrause" auslasten und fordert die zusätzliche Produktion eines Chevrolet-Modells, weil dies zu "reinen Materialkosten" möglich sei, da Kapazität und Beschäftigte vorhanden seien. Auf eine Antwort des Managements darauf wartet er noch.

Etwa Mitte 2010 rechnet Franz damit, dass es in der hessischen Stadt auch wieder eine dritte Schicht geben wird, die vor wenigen Jahren abgeschafft worden war. Opel-Chef Demant verkneift sich allerdings Äußerungen zu einer weiteren Schicht.

"Ich hab nur einen Chef und das ist meine Mutter"

17.000 Beschäftigte hat er momentan im Stammwerk, darunter 4500 in der Produktion. Nachdem der Verkauf des Komponentenwerks Kaiserslautern zunächst gescheitert ist, will Opel dort "Produktivitätsreserven" heben. Eine Trennung von der Fabrik in der Zukunft gilt aber keineswegs als ein Tabu.

Bleibt das Opel-Werk in Eisenach. Es läuft 2009/10 mit der Corsa-Fertigung in einen Standortwettbewerb mit Saragossa und dem Gemeinschaftswerk in Warschau hinein. "Um Eisenach mache ich mir schon Gedanken", sagt Franz. Zumal es sich um ein kastriertes Autowerk handelt, das ohne Presswerk auskommen muss. Die benötigten Teile zur Montage kommen aus Spanien. Für Franz ist das "Harakiri" bei Frachtkosten von mehr als einer Milliarde Euro. Er pocht auf ein Presswerk für Eisenach. Demant lehnt das entschieden ab.

Das Hauptmanko Opels ist in Deutschland das schlechte Image der Marke. Das ist Folge des "Kampfes der Kulturen" (Franz) mit den Amerikanern von GM, die vor Jahren bei Opel Ingenieure und Budgets abzogen und Zulieferer auspressten. Die Qualität litt, die Kunden blieben aus. Der Marktanteil halbierte sich auf unter zehn Prozent.

"Die heutigen Fahrzeuge sind viel besser als ihr Ruf", sagt Franz und rügt, es werde zu wenig getan, um die Marke zu pflegen. Daher kämen auch die Sorgen der Mitarbeiter. Die "hohe Qualität" der Opel-Modelle den Käufern bewusst zu machen, sei eine Aufgabe, "an der wir hart arbeiten", sagt Demant und fügt an: "Imagewandel ist ein Ausdauersport."

Schub verleihen soll der lädierten Marke das gehobene Mittelklassemodell Insignia, das im November in die Schauräume der Händler kommt. Auch wenn der Insignia wie erhofft ein Hit wird, könnte dem Opel-Ruf schon bald ein neuer Schlag drohen: GM plant, den künftigen Corsa in Südkorea zu entwickeln - für viele in Rüsselsheim ist das eine Horrorvision. Der sperrige Spritfresser Opel Antara stammt von dort; er ist ein gnadenloser Flop und müsste längst vom Markt genommen werden. Dennoch: GM will den Go-East-Trip fortsetzen.

Kurz nach drei Uhr am Nachmittag tauchen Georg und Tobias im Tunnel hinter Tor 45 wieder auf, durch den sie morgens verschwunden waren. Sie haben Feierabend. Angesprochen auf die Rolle der Manager reagiert Tobias sauer und sagt trotzig: "Ich habe nur einen Chef und das ist meine Mutter." Die "Schrauber" steigen in ihre Autos und fahren davon.

Rund um die Adam-Opel-Figur am Hauptportal rücken bald wieder Bautrupps an. Das von Opel an die Firma Bauwert Property verkaufte Areal des Altwerks soll für 240 Millionen Euro zu einem Einkaufs- und Erlebniszentrum werden - "ganz nach amerikanischem Vorbild", heißt es. Dem deplatzierten Adam Opel bleibt wohl nichts erspart.

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