General Motors:Ein Konkurs, geplant mit chirurgischer Präzision

Wie Präsident Obama und seine Auto-Eingreiftruppe alle rechtlichen Tricks nutzen, um GM das Überleben zu ermöglichen.

Nikolaus Piper

Seit mehr als drei Jahren muss sich Rick Wagoner Forderungen nach seinem Rücktritt als Chef von General Motors anhören. Am vergangenen Freitag kam schließlich die letzte, die endgültige dieser Forderungen. Steven Rattner, Chef der Auto-Eingreiftruppe Präsident Barack Obamas empfing den GM-Chef im Washingtoner Finanzministerium und machte ihm klar: Ohne harte Entscheidungen gibt es kein Geld mehr für Detroit, ein Konkurs von GM sei dann nur noch eine Frage von Wochen. Wagoner gab nach. Am späten Sonntagabend sickerte die Nachricht von Wagoners Demission in Washington durch, rechtzeitig genug, damit die Börsenhändler sich auf die Nachricht einstellen konnten.

General Motors, dpa

Barack Obama und seine Auto-Hilfstruppe machen alles, um die Erneuerung der Branche bis ins kleinste Detail zu steuern.

(Foto: Foto: dpa)

Präsident Obama musste seit seinem Amtsantritt am 20. Januar auf brutale Weise lernen, dass er uneingeschränkt verantwortlich ist für alle Firmen, die bisher Überlebenshilfe vom Staat bekommen haben. Ein Schlüsselerlebnis für ihn waren die Boni, die der gescheiterte Versicherer AIG mit dem Geld der Steuerzahler gezahlt hat. Die öffentliche Empörung darüber war so groß, dass sie zeitweise das gesamte Krisenprogramm aus den Angeln zu hebeln drohte. Danach war klar, dass die Regierung weitere Hilfen für notleidende Firmen nur noch dann würde durchsetzen können, wenn dort sichtbar durchgegriffen wird.

Alleine nicht überlebensfähig

Obamas Auto-Team hat sich unter dem Druck der Ereignisse jedenfalls entschlossen, die Erneuerung der Autoindustrie bis ins Detail zu steuern. Vergleichbares hat es zuletzt in der Weltwirtschaftskrise gegeben. Genau um Mitternacht veröffentlichte das Weiße Haus dazu eine sechsseitige Fakten-Sammlung. Darin heißt es unter anderem, die Pläne, die GM und Chrysler am 17. Februar in Washington vorgelegt hätten, zeigten "keinen glaubwürdigen Weg zur Sicherung des Überlebens". In ihrer "gegenwärtigen Form" seien die Pläne nicht geeignet, substantielle neue Investitionen der Steuerzahler zu rechtfertigen. Amerikas Autoindustrie habe eine Zukunft und könne dazu beitragen, die Energieabhängigkeit der USA zu verringern, aber nur nach einem umfassenden Umbau.

Konkret bedeutet das: Chrysler, der kleinste der drei Detroiter Konzerne, ist alleine nicht mehr überlebensfähig. Nachdem Obama eine Allianz mit dem italienischen Fiat-Konzern bis zum 30. April gefordert hatte, meldeten mehrere US-Medien am Abend, Chrysler habe sich mit Fiat auf eine Verbindung geeinigt. Damit steigen die Chancen, dass Chrysler mit einem weiteren Sechs-Milliarden-Dollar-Kredit vor dem Konkurs gerettet wird.

Im zweiten Teil: Die Vorteile eines GM-Konkurses - und warum Konzernchef Wagoner scheitern musste.

Die Vorteile eines GM-Konkurses

General Motors hat nach Meinung von Steven Rattner und den anderen Autoexperten zwar eine Zukunft, die bisherigen Sanierungsmaßnahmen reichen aber bei weitem nicht aus. Deshalb zwingt Rattner GM faktisch in einen geordneten Konkurs unter Regierungsaufsicht, ohne allerdings dieses Wort zu verwenden. Der Nachfolger Wagoners an der GM-Spitze, Fritz Henderson, bekommt 60 Tage Zeit, um ein neues, radikales Programm vorzulegen. Für diese Zeit stattet die Regierung GM mit Liquidität aus. Der Konzern braucht nach eigenen Angaben weitere 16,6 Milliarden Dollar, um zu überleben. Die Regierung hält diese Kredite bis auf weiteres zurück, um Druck ausüben zu können. Im schlimmsten Fall müsste GM Gläubigerschutz nach Kapitel 11 des amerikanischen Konkursrechts anmelden, womit eine Pleite eingeleitet würde mit kaum kalkulierbaren Folgen für die gesamte Branche, also auch für Zulieferer und für Kunden. Um zu verhindern, dass GM und Chrysler in der Zwischenzeit die letzten Kunden weglaufen, sichert die Regierung in einem äußerst ungewöhnlichen Schritt alle Garantien der Hersteller für Neuwagen ab.

Ein normaler Konkurs hätte für General Motors und damit für die Regierung einen großen Vorteil: Sie könnten Gläubiger und Gewerkschaften zu Zugeständnissen zwingen. Die Logik von Rattners Plan liegt nun darin, diese Zugeständnisse auch so zu erreichen, indem sie mit dem Konkurs nur drohen. In der Faktensammlung des Weißen Hauses merkt das Team um Steven Rattner an, sowohl GM als auch Chrysler sollten "das Konkursrecht auf schnelle und chirurgische Weise einsetzen". Von der Autogewerkschaft UAW verlangt Rattner, dass sie einem massiven Stellenabbau und Lohnsenkungen zustimmt. Außerdem soll es Abstriche bei den Gesundheitsleistungen für die Mitarbeiter und bei den sogenannten "Job Banks" geben; das sind Beschäftigungsgesellschaften, in die entlassene Arbeiter übernommen werden, wobei die Konzerne den größten Teil des bisherigen Lohns weiterzahlen.

Logischer Rücktritt

Genauso wichtig sind Zugeständnisse der Gläubiger; diese halten derzeit etwa 28 Milliarden Dollar an GM-Anleihen. Nach den Plänen der Regierung sollen die Gläubiger zwei Drittel der Anleihen in Aktien umwandeln. Das würde zu einer erheblichen Verwässerung des Aktienkapitals führen und daher sowohl für die Anleihebesitzer als auch Altaktionäre ein substantielles Opfer bedeuten. Um das Geschäft für die Gläubiger attraktiver zu machen, würde die Regierung das letzte Drittel der Anleihen garantieren, eine Vergünstigung, die es bei einem echten Konkurs nicht gäbe.

Der Rücktritt von Rick Wagoner ist vor diesem Hintergrund nur logisch. Der 56-jährige Manager sieht im Rückblick fast wie ein tragischer Held aus: Er sah sich immer als Diener seines Konzerns, er erkannte einige der Probleme, aber er verschätzte sich immer, was die Dimension und den Zeitpunkt anging. Er fing bereits 1977 nach seinem Abschluss an der Harvard Business School bei GM an; am 5. Oktober 1998 wurde er "President", was nach dem US-Firmenrecht die Zuständigkeit für das operative Geschäft bedeutet. Seit 1. Juni 2000 leitete er als CEO den damals noch größten Autokonzern der Welt. 2005 musste GM einen - aus damaliger Sicht - Rekordverlust von elf Milliarden Dollar hinnehmen. Der Großinvestor Kirk Kerkorian wollte GM deshalb in eine Allianz mit Nissan und Renault zwingen und Wagoner durch Nissan-Chef Charles Ghosn ersetzen. Der Versuch scheiterte.

Anfangs lehnte es Wagoner auch ab, energiesparende Hybridautos mit einer Kombination aus Elektro- und Verbrennungsmotor zu entwickeln und setzte stattdessen weiter auf spritschluckende Geländewagen und Pick-up Trucks. Erst lange nach dem Konkurrenten Toyota schwenkte er schließlich um und ließ den Chevrolet "Volt" entwickeln, der nächstes Jahr auf den Markt kommen soll. Ebenfalls nächstes Jahr tritt eine Senkung der Ausgaben für die Krankenversicherung ehemaliger Mitarbeiter in Kraft, die GM und die anderen Autokonzerne 2007 ausgehandelt hatten. Vielleicht hätte es Wagoner also sogar geschafft, wenn er so lange Zeit gehabt hätte.

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