Italien:Steuerrabatt fürs Straßenfegen

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  • Die toskanische Kleinstadt Massarosa erlässt ihren Bürgern einen Teil der Abfallsteuer, wenn sie dafür Arbeiten für das Rathaus übernehmen.
  • Der Gemeinde entgehen dadurch zwar Einnahmen - zugleich spart sie aber auch Geld, weil die Bürger Arbeiten übernehmen, die vorher bezahlte Firmen erledigten.

Von Oliver Meiler

Vielleicht wird es einmal heißen, diese Revolution habe in Massarosa begonnen, einem geschichtslosen Ort in der Toscana, 23 000 Einwohner, zwischen Lucca und Viareggio. Denn revolutionär ist es schon, was dort gerade geschieht.

Franco Mungai, der Bürgermeister von Massarosa, sagt es so: "Wir sind dabei, eine alte italienische Mentalität über den Haufen zu werfen." Er tritt nun im Fernsehen und im Radio auf, um den Italienern von seinen Erfahrungen zu künden. Auch große Städte möchten das Modell imitieren, etwa Mailand, Bologna, sogar Neapel. Es handelt von einem geglückten Tauschhandel in Zeiten der Krise.

Halbe Abfallsteuer für "aktive Bürgerschaft"

Massarosa rief seine Bewohner vor einiger Zeit auf, sich zu melden, wenn sie gegen eine Steuerreduktion soziale Arbeiten verrichten möchten. Als Grundlage für den Tauschhandel dient ein Gesetz der nationalen Regierung: Artikel 24 im sogenannten Dekret "Sblocca Italia", mit dem Premier Matteo Renzi dem Land Beine machen will. Mungai, ein ehemaliger Bankangestellter ohne Parteibuch, getragen von einer linken Mehrheit, konnte als Avantgardist auftreten, weil er die Idee schon vor der Regierung gehabt hatte. Es fehlte nur das Gesetz, um sie umzusetzen. Er bot seinen Bürgern an, ihnen die Hälfte der Abfallsteuer, der ungeliebten "Tari", zu erlassen, wenn sie an seinem Programm der "aktiven Bürgerschaft" teilnehmen würden - und Straßen putzen, Schulzimmer streichen, Parks und Waldwege pflegen. Solche Dinge.

Angesprochen waren Bürger, die in der Krise den Job verloren hatten und ihre Schulden bei der Stadt nicht begleichen konnten. Es meldeten sich 250 Bewohner aus allen Schichten. Wären es noch mehr gewesen, hätte sich Mungai Auswahlkriterien ausdenken müssen, weil dann der Steuerausfall zu groß gewesen wäre für das Gleichgewicht des Gemeindebudgets. Nun verliert Massarosa im Jahr zwar etwa 70 000 Euro, kann aber auf einige der Auftragsfirmen verzichten, die bisher die Arbeiten gemacht haben. Der Ort gewinnt an Lebensqualität, an Gemeinschaftssinn.

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Vertrag, Ausrüstung, Versicherung - alles da

"In Italien", sagt Mungai, "war es ja bisher so, dass das, was öffentlich ist, niemandem zu gehören schien." Dem trug man keine Sorge, das ließ man verfallen. "Nun machen sich die Bürger den öffentlichen Raum zu eigen." Freiwillig und vergolten.

Die Gemeinde teilte ihre "aktiven Bürger" in kleine Gruppen auf, stattete sie mit allem nötigen Arbeitsmaterial aus, einer fluoreszierenden Jacke, einem Ausweis und einem Vertrag, versicherte sie. Für jede Aktivität wurde ein Parameter festgelegt: Damit man es mit Straßenpflege zum Steuererlass bringt, muss man sich um mindestens 1,2 Kilometer Straße kümmern. Tutoren der Gemeinde weisen die Bürger in Kurzkursen in ihre Aufgaben ein und wachen dann darüber, dass die Vorgaben erfüllt werden.

Nötig sei die Kontrolle nicht, sagt Mungai, es entwickle sich eine neue Tugendhaftigkeit: "Die Stadtviertel rivalisieren, wo es sich besser lebt, wo die Straßen und Plätze sauberer sind." Es sei auch so, dass die "aktiven Bürger" nicht mehr einfach tatenlos zusähen, wenn jemand seinen Abfall auf der Straße entsorge. Das mehrt ihre Arbeit und trifft sie obendrein in der Würde.

© SZ vom 01.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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