Geldwerkstatt:Viel Papier, wenig Hilfe

Eine europaweite Regelung soll Privatkunden bei der Anlage ihres Vermögens schützen. Banken und Fonds klagen über den zusätzlichen Aufwand, Verbraucherschützer bezweifeln die Wirksamkeit.

Von Nils Wischmeyer

Am Ende mussten sie um ihr Erspartes bangen. Dabei hatten die Berater ihnen die Zertifikate von Lehman Brothers wärmstens empfohlen. Sicher seien sie, und eine tolle Rendite gebe es oben drauf. So oder so ähnlich verkauften die Vertreter hochriskante Zertifikate an ältere Anleger, die intern oft als "a&d" bezeichnet wurden - alt und doof. Als die US-Investmentbank Lehman Brothers 2008 in die Insolvenz ging, wurde schnell klar, dass die angepriesenen Zertifikate vor allem eins waren: Ramsch. Viele Anleger verloren ihre Altersvorsorge und ihr Erspartes noch gleich mit. Die meisten wurden zwar entschädigt, aber erst viele Jahre später.

Sinnbildlich stehen die "Lehman-Omas" seither für die geprellten Anleger und die unzureichende Beratung. Jetzt, etwa zehn Jahre später, tritt eine neue Regelung in Kraft, die die Anleger vor solch riskanten Investments schützen soll. Heftig haben Politiker, Banker und Verbraucherschützer um die endgültige Fassung gerungen. Am Ende ist daraus die neue Finanzmarktrichtlinie, die "Markets in Financial Instruments Directive 2" (Mifid II) entstanden. Diese tritt am 3. Januar in Kraft, weshalb Banken jetzt ihre Kunden informieren.

Dokumentation

Wer sich nicht durch die vielen Seiten an Text wühlen will, wird die erste Änderung beim nächsten Gespräch mit seinem Berater erleben. Mit Inkrafttreten der neuen Richtlinie müssen die Banken alle Telefongespräche, die zu einer Beratung führen, aufzeichnen. Diese Aufnahme müssen sie mehrere Jahre aufbewahren und dem Kunden zur Verfügung stellen. Damit will die europäische Behörde sicherstellen, dass der Verbraucher etwas in der Hand hat, sollte es Probleme mit dem Investment geben. Bei Beratungsgesprächen in der Bank läuft aber weiterhin kein Tonband mit. Dort wird das übliche Beratungsprotokoll durch eine "Geeignetheitserklärung" ersetzt. Darin muss der Verkäufer bestätigen, dass der Kunde in der Lage oder "geeignet" ist, das Produkt zu kaufen. Ausschlaggebend sind sein Einkommen, sein Anlageziel und sein Finanzwissen.

Businessman taking money at an ATM in the city model released Symbolfoto PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTx

Schutz bei Geldgeschäften: eine neue Regelung soll bei der Geldanlage schützen.

(Foto: imago/Westend61)

Auch die Hersteller der Finanzprodukte nimmt die EU in die Pflicht. Sie müssen angeben, für welchen Zielmarkt sie ihre Fonds oder Zertifikate entwickelt haben. Berater in den Banken werden je nach Kunde eine gefilterte Auswahl an Produkten anbieten. "Dass Produkte empfohlen werden, die völlig am Bedarf vorbei gehen, dürfte unwahrscheinlich werden", sagt Christian Ahlers vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Glücklich ist er mit der Regelung trotzdem nicht. "Laufende Kosten von zwei oder mehr Prozent machen es extrem schwer, mit Investmentfonds eine brauchbare Rendite zu erzielen", sagt er. Hinzu kommen Ausgabeaufschläge, also Geld, das der Kunde bezahlt, um den Fonds überhaupt kaufen zu können. Diese können teils sehr happig sein. "Obwohl die Kosten einer Geldanlage ein absolut entscheidendes Produktmerkmal sind, gibt es keine Vorgaben", sagt Ahlers. Für ihn ein absolutes Manko.

Auch die Banken sind unzufrieden. Sie monieren, dass die Telefonaufzeichnung viel Geld kostet. Bei einigen gibt es deshalb die Überlegung, das Telefongeschäft zu reduzieren. "Der bürokratische Aufwand wird für einige Institute in keinem Verhältnis zum Ergebnis stehen", sagt Markus Lange, Partner bei KPMG Law. Er rechnet damit, dass Anbieter vom Markt verschwinden.

Transparenz

Ebenfalls neu: Alle Kosten für ein Investment müssen systematisch aufgeschlüsselt werden. Dazu zählen unter anderem die Provisionen der Berater und Kosten für Studien. Insbesondere Letzteres hat zu Verwerfungen in der Branche geführt. Bisher beziehen Vermögensverwalter ihre Berichte und Einschätzungen zum Markt quasi umsonst von Analysten. Im Gegenzug wickelten sie den kostenpflichtigen Handel über die Bank des jeweiligen Analysten ab. Das hat vielen genutzt, nur nicht dem Anleger. Künftig müssen die Fondsmanager die Bank des Analysten direkt für die Studien bezahlen und die Kosten aufführen. Im besten Fall kennt der Kunde den genauen Betrag und den prozentualen Kostenanteil seines Fonds für jeden bestimmten Zeitraum.

Logo Geldwerkstatt

Niedrige Zinsen, hohe Unsicherheit - wie soll man da noch sein Geld investieren? In der "Geldwerkstatt" erklären wir aktuelle Fragen zur Geldanlage.

Auf diese Weise, so zumindest das Ziel der neuen Regeln, soll es mehr Wettbewerb bei den Beratern geben und die Kosten sollen sinken. Das kommt dem Verbraucher zugute. Banken aber verlieren Geld. "Das kann dazu führen, dass einige Anbieter keine Beratung mehr anbieten, weil sich der Aufwand nicht mehr lohnt", sagt Philipp Koch, Leiter der deutschen Bankenberatung bei McKinsey. "Im schlimmsten Fall werden Privatanleger ohne professionelle Beratung investieren."

Provision

Für die Berater ändert sich noch mehr: Bisher nämlich zahlen die Entwickler von Finanzprodukten, also zum Beispiel die Fondsgesellschaft Deka, dem Vertrieb, in dem Fall der Sparkasse, eine Provision für jedes verkaufte Produkt. Die Krux: Statt dem Kunden die beste Lösung zu verkaufen, empfiehlt der Berater wahrscheinlich das Produkt mit der höchsten Provision. Mit Inkrafttreten der neuen Regelung ändert sich das. Die Bank darf die Provision nur noch einbehalten, wenn diese die Beratung verbessert. Ahlers vom Verbraucherzentrale Bundesverband ist skeptisch. "Eine Provision schafft immer einen Vertriebsanreiz, der in einer Beratung nichts zu suchen hat." Darüber hinaus bietet die schwammige Formulierung Spielraum für Interpretation. So zählt etwa die Aufrechterhaltung eines Filialnetzes als Verbesserung der Beratung. "Wir nennen das immer die Sparkassen-Schutz-Klausel", so Ahlers. "Aber nur weil es ein Filialnetz gibt, wird ja die Beratung nicht besser." Daneben gebe es rechtliche Kniffe, die es den Beratern und Fonds erlaubten, die Klausel zu umgehen.

Ahlers Fazit: "Die neue Regulierung ist eigentlich dafür da, die Beratung zu verbessern und transparenter zu machen. Das wird nicht gelingen, da man nur einige Löcher in der Regulierung aufwendig geflickt hat." Die Verbraucherschützer plädieren für ein generelles Verbot von Vertriebsprovisionen. Solche Modelle gibt es bereits in Großbritannien oder den Niederlanden. Dort bezahlt der Anleger seinem Berater bei der Bank ein Honorar. Die Provision der Fondsgesellschaften entfällt.

Niedrige Zinsen, hohe Unsicherheit - wie soll man da noch sein Geld investieren? In der "Geldwerkstatt" erklären wir aktuelle Fragen zur Geldanlage.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: