Geldwerkstatt:Der verflixte neunte Monat

Eine alte Börsenweisheit rät Anlegern, im September an den Aktienmarkt zurückzukehren. Dabei schneidet der Dax gerade in diesem Monat am schlechtesten ab. Experten raten ohnehin, an der Börse nicht nach der Jahreszeit zu investieren.

Von Harald Freiberger

Inside Frankfurt Stock Exchange As European Stock Selloff Intensifies

Handelssaal der Frankfurter Börse: Der Deutsche Aktienindex verlor von 1967 bis 2016 im September durchschnittlich 1,7 Prozent, auch wegen Schocks wie dem 11. September 2001 und der Lehman-Pleite.

(Foto: Martin Leissl/Bloomberg)

Eine der bekanntesten Börsenweisheiten lautet: "Sell in May and go away." Anleger sollten demnach im Mai ihre Aktien verkaufen. Dahinter steht die über Jahrzehnte gewonnene Erfahrung, dass sich die Kurse in den Sommermonaten unterdurchschnittlich entwickeln. Wer dem Rat in diesem Jahr folgte, lag nicht falsch: Zwischen Mai und Ende August fiel der Deutsche Aktienindex (Dax) um sechs Prozent auf unter 12 000 Punkte.

Die Börsenweisheit hat noch einen zweiten Teil, und der lautet: "....but remember to come back in September." Im September, wenn der Sommer vorüber ist, sollten Anleger an die Börse zurückkehren, weil es dann erfahrungsgemäß mit den Kursen wieder aufwärts geht. In der Regel verringern professionelle Investoren vor dem Sommer die Aktienquote. Sie meiden spekulative Anlagen, bei denen jeden Tag etwas passieren kann. Im September, nach dem Urlaub, suchen sie wieder nach Anlageideen und legen den Hebel bis zum Jahresende um, und das treibt tendenziell die Kurse.

Als Stichtag gilt der amerikanische Labour day, in diesem Jahr der vergangene Montag. Er markiert das Ende der Sommerferien. Dann kehren die Investoren aus dem Urlaub zurück und positionieren sich bis zum Jahresende.

Was sollen Anleger von der September-Börsenweisheit halten, und wie sieht es damit speziell in diesem Jahr aus? Blickt man auf die Statistik, ist Vorsicht geboten, denn der September ist sogar der schlechteste Monat des Jahres. Von 1967 bis 2016 verlor der Dax in diesem Monat durchschnittlich jährlich 1,7 Prozent, der zweitschlechteste Monat ist der August mit einem Minus von 0,7 Prozent. Martin Lück, der beim Vermögensverwalter Blackrock die Kapitalmarktstrategie unter anderem für Deutschland leitet, sieht zwei Gründe, warum der September an der Börse ein solch "wackliger Monat" ist: "Die Investoren kommen aus dem Urlaub oft mit einem skeptischeren Blick auf die Gewinnerwartungen der Unternehmen zurück, als sie hineingegangen sind", sagt er. Zudem würden die durchschnittlichen langfristigen Ergebnisse in dem Monat durch Schocks wie dem 11. September 2001 und die Lehman-Pleite verzerrt.

Die Börsenweisheit sollte demnach besser heißen: "Remember to come back in October." Oktober, November und Dezember gehören nämlich beim Dax mit einem jeweiligen Plus zwischen 1,5 bis 1,9 Prozent langfristig zu den besten Monaten des Jahres. "Es ist statistisch erwiesen, dass Aktienkurse zum Jahresende hin stärker steigen als im übrigen Jahr", sagt Andreas Beck vom Münchner Institut für Vermögensaufbau, einem Dienstleister für professionelle Investoren. Die Unternehmen zahlten ihre Boni aus, außerdem sähen sie klarer, wie viel Budget sie noch frei haben; ein Teil dieses Geldes lande an der Börse.

Wenn es rein nach der Statistik ginge, sollten Privatanleger also noch ein paar Wochen warten und dann auf dem Aktienmarkt einsteigen. Auch sonst spricht derzeit wenig dagegen, in Aktien zu investieren. "Für diesen September sehen wir das Risiko massiver Verwerfungen gering", sagt Blackrock-Experte Lück. Es könne zwar zu Irritationen kommen, zum Beispiel wegen des Nordkorea-Konflikts, der US-Haushaltsverhandlungen und der Tagung der US-Notenbank Fed. Grundsätzlich aber sei das Umfeld für Aktien bis zum Jahresende weiter positiv: weltweit gutes Wirtschaftswachstum, niedrige Zinsen und keine Eile der Notenbanken, diese zu erhöhen. Es könnte deshalb zu einer "verhaltenen Jahresendrallye kommen, besonders für europäische Aktien".

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Auch für Marco Herrmann, Geschäftsführer der Münchner Depotverwaltung Fiduka, bleiben Aktien interessant: "Wir werden in Deutschland noch lange keine Zinsen von zwei oder drei Prozent haben", sagt er. Deshalb könnten die Indizes zum Jahresende ihre Höchststände erreichen.

Bei jeder Krise oder Jahreszeit das eigene Depot umzuwälzen, wäre teuer

Experte Beck rät trotzdem, "auf solche saisonalen Aspekte keine Rücksicht zu nehmen". In Aktien sollten Privatanleger grundsätzlich langfristig investieren. Die meiste Rendite gehe verloren, weil sie zu kurzfristig anlegen, zum falschen Zeitpunkt kaufen und verkaufen. Wer sich an der Jahreszeit oder aktuell aufflammenden Krisen wie dem Nordkorea-Konflikt orientiere, tappe genau in diese Falle. "Wer Aktien im Mai für zu risikoreich hält, sollte auch im September seine Meinung nicht ändern", sagt Beck. Das Beste sei es, eine Aktienquote nach dem persönlichen Risikoprofil festzulegen und an dieser längere Zeit festzuhalten.

Bei jeder Krise oder Jahreszeit das eigene Depot umzuwälzen, wäre zudem teuer, weil beim Kauf und Verkauf immer Gebühren anfallen. Auch eine Stopp-loss-Order, also der Auftrag an die Bank, ein Wertpapier automatisch zu verkaufen, wenn der Kurs unter eine bestimmte Schwelle fällt, ist keine Ideallösung: Sie birgt die Gefahr, dass die Anlage gerade auf dem tiefsten Stand verkauft wird und danach wieder steigt.

Die Börsenweisheit "Sell in May and go away, but remember to come back in September" ist zwar von der Statistik gedeckt und gibt professionellen Investoren eine Orientierung. Für Privatanleger aber sollte eher ein Satz gelten, den Experte Beck sagt: "Langfristig sind Aktien im Mai genauso attraktiv wie im September."

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