Geldwerkstatt:Das neue Sparen

Bei der Geldanlage wollen die Deutschen möglichst wenig Risiken eingehen. Investitionen in Aktien waren ihnen lange Zeit suspekt, doch jetzt beginnt ein Umdenken. Die Menschen entdecken die Indexfonds.

Von Victor Gojdka

Wenn sich deutsche Banker über Sparer lustig machen wollen, dann brauchen sie für ihren Witz nur eine Zahl. 1900 Milliarden. Das war der Witz, denn dieses Riesenvermögen schlummert in Deutschland auf Sparbüchern, Tagesgeld- oder Girokonten. Dort also, wo es nur noch Micker-Zinsen gibt. Viele Banker finden das lustig, könnten die Deutschen das meiste Geld davon wohl in viel höher rentierliche Anlagen stecken. Der Deutsche sei eben ein Aktienmuffel, ein Feigling, ein Angsthase.

In jüngster Zeit jedoch verdichten sich die Zeichen, dass die Deutschen umdenken. Die Zahl sogenannter ETF-Sparpläne, bei denen Sparer Monat für Monat mit kleinen Beträgen die Entwicklung von Aktienindizes wie dem Dax nachvollziehen können, hat sich seit Jahresbeginn um 40 Prozent erhöht. Dem ETF-Retail-Marktreport zufolge sparten Anfang 2015 bei sechs befragten Online-Banken nur knapp 150 000 Deutsche auf diese Weise, nun sind es bereits knapp eine halbe Million. Die Zahlen zeigen: Auch ganz normale Sparer wagen sich langsam an Aktien. Mit Plan. Mit Spar-Plan.

Zinstief trifft deutsche Sparer

Trotz der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank in Frankfurt setzten deutsche Sparer lange auf traditionelle Anlagemöglichkeiten wie Sparbücher und Tagesgeldkonten. Doch inzwischen scheinen sie sich für Anlagen in Aktien zu öffnen.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Diese Anleger haben verstanden, dass nicht nur Reiche an der Börse etwas verdienen können, sondern auch Max Mustermann - wenn er einen langen Atem hat. Wer nach dem Studium beginnt, monatlich 40 Euro abzuzwacken und in einen großen Korb aus Hunderten Aktien zu investieren, darf binnen 40 Jahren bis zur Rente auf knapp 100 000 Euro hoffen. Wer 100 Euro spart, kann sich bei einer durchschnittlichen Rendite von sieben Prozent bei einem weltweiten Aktienindex bereits über 250 000 Euro freuen. Mit 40 Jahren kann man auf eine halbe Million kommen, wenn die Eltern Monat für Monat das Kindergeld zurücklegen und es bis 40 weiter zahlen. Das Geheimrezept dahinter: Statt sich mit einzelnen Aktien an das Schicksal eines einzigen Unternehmens zu binden, können Anleger mit Indexfonds (ETFs) auf einen ganzen Aktienkorb setzen. "Bei einem ETF suchen sie nicht nach der Nadel im Heuhaufen, sie kaufen einfach gleich den ganzen Heuhaufen", sagt Judit Maertsch, Finanzexpertin beim katholischen Verbraucherservice Bayern. So zeichnet ein Dax-ETF die Wertentwicklung der 30 wichtigsten deutschen Aktien nach, ein ETF auf den MSCI World gar die Entwicklung von 1600 Titeln aus 23 Ländern. Je breiter der Index, desto geringer das Risiko eines Kurssturzes. In den vergangenen 30 Jahren hätte der MSCI World den Anlegern eine durchschnittliche Rendite von sieben Prozent pro Jahr gebracht.

Gerade in Monaten allerdings, in denen Dax, Dow Jones und S+P 500 immer neue Allzeithochs erklimmen, zweifeln viele Deutsche wieder. Ist der Markt nicht schon zu teuer? Legen Anleger jedoch nicht einen ganzen Batzen Geld auf einmal an, sondern regelmäßig eine kleine Summe, ist es ziemlich egal, wann genau sie kaufen. Wer Monat für Monat 40 Euro in Aktien investiert, kauft mal teuer - mal aber auch billig. "Am Ende gleicht sich das weitgehend aus", sagt Finanzexpertin Maertsch. Und selbst fallende Kurse an den Märkten müssen Besitzer von ETF-Sparplänen weniger fürchten. Weil sie meist langfristig sparen, können sie eine Talfahrt der Aktienmärkte schlicht aussitzen. Einer Studie des Deutschen Aktieninstituts zufolge mussten Anleger, die in den Dax investierten, in den vergangenen 50 Jahren nie länger als 13 Jahre warten, um wieder im Plus zu sein. "Selbst große Krisen wie die Finanzkrise 2007 machen auf zwanzig Jahre gesehen nur eine kleine Delle im Kurs aus", sagt Adrian Roestel von der Vermögensverwaltung Huber, Reuss und Kollegen.

Bei Online-Banken kostet das Depot meist nichts, manchmal werden Ordergebühren erlassen

Wenn Sparer einen Sparplan mit diesen Aktienkörben füllen wollen, eröffnen sie bei einer Bank ein Depot, eine Art Konto für Wertpapiere. Dann müssen sie nur noch festlegen, wie viel sie jeden Monat sparen wollen, und einen konkreten ETF auswählen. Dabei empfehlen sich als Grundlage breit gestreute Indizes wie der MSCI World. Gerade langfristige Sparer sollten einen thesaurierenden ETF wählen, also einen, der alle Erträge automatisch wieder anlegt. "Dann erhöht sich wie beim Zinseszins die Rendite noch schneller", sagt Finanzexpertin Maertsch.

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Niedrige Zinsen, hohe Unsicherheit - wie soll man da noch sein Geld investieren? In der "Geldwerkstatt" erklären wir aktuelle Fragen zur Geldanlage.

Besonders günstige Angebote für ETF-Sparpläne finden Kunden üblicherweise bei Online-Banken. Dort kostet das Depot meist nichts, und es gibt Aktionen, bei denen Anleger für den Kauf der ETFs nicht einmal Ordergebühren zahlen müssen. Anleger sollten jedoch immer einen Blick ins Kleingedruckte werfen. Käufe außerhalb dieser Aktionen kosten bisweilen mehr als 2,50 Euro je Order. Bei Sparern, die jeweils nur 25 Euro beiseitelegen, schlüge das ordentlich ins Kontor. Wenn Anleger nach Jahrzehnten des Sparens an ihr Geld wollen, sollten sie sich bereits fünf Jahre vorher Gedanken machen: "Sie sollten sich fragen wie viel Geld sie in den ersten beiden Jahren ihres Ruhestands brauchen", sagt Vermögensverwalter Roestel, "und diesen Betrag in eine sichere Anlage stecken."

Bis dahin allerdings hat Roestel einen unkonventionellen Ratschlag, dem er sogar selbst folgt. Fragt man Roestel, wie viel er mit seinem eigenen Fondssparplan bereits angespart hat, muss der Finanzexperte passen: "Ich weiß es nicht." Er hat schlicht nie auf den Depotauszug geschaut, um sich nicht bei jeder Zuckung der Märkte verrückt zu machen. Um nicht überstürzt zu verkaufen, wenn die Kurse fallen. Es ist die einzige Nachlässigkeit, die er jedem Privatanleger empfehlen kann.

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