Geldwerkstatt:Breit streuen und lang durchhalten

Der Deutsche Aktienindex klettert von einem Rekord zum nächsten. Manche Experten warnen vor einem Zusammenbruch der Börsen. Aber der Einstieg lohnt sich immer noch.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die Geschichte der Börsen passt auf einen Chart. Der kurze Blick auf die Kursentwicklung des Deutschen Aktienindex (Dax) in den vergangenen 20 Jahren reicht, um Momente des Überschwangs und der Verzweiflung in Erinnerung zu rufen. Im Jahr 2000 erreichte das Aktienbarometer 8000 Punkte. Danach platzte die Internet-Blase an den Finanzmärkten, und das Spiel ging von vorne los. 2007 kletterte der Dax bis auf 8100 Zähler und plumpste wegen der globalen Finanzkrise in den folgenden zwei Jahren auf 3600. Viele Anleger bezweifelten damals, dass sich die Märkte je erholen würden.

Die Zweifler haben sich getäuscht, es ist wieder so weit. In diesen Tagen stieg der Dax auf 13 500 Punkte. Das ist der höchste Stand aller Zeiten. Das billige Geld der Notenbanken macht es möglich. Anleihen werfen in dieser Nullzinsphase kaum mehr etwas ab. Einzig Investitionen in Aktien versprechen noch ordentliche Renditen. Und viele, die sich in den vergangenen Jahren nicht getraut haben, stehen nun vor der Frage: Soll man noch einsteigen?

Inside Frankfurt Stock Exchange As Merkel's Coalition Uncertainty Lowers Euro

Bulle und Bär vor der Frankfurter Börse. Die Bronze-Skulpturen stehen für anhaltend steigende beziehungsweise fallende Aktienkurse.

(Foto: Alex Kraus/ Bloomberg)

Die Antwort ist leicht und schwierig zugleich. Weil Anleger niemals den richtigen Zeitpunkt für den Einstieg erwischen werden, sind langfristige Aktiensparpläne eine gute Idee. Eigentlich zu jedem Zeitpunkt - zumindest für Menschen, die das Aktienrisiko eingehen möchten.

Doch die Furcht hält viele ab. Sie sehen die steigenden Kurse, sie hören die warnenden Stimmen. Gurus wie Jim Rogers sagen, der Crash sei nah. Der Mann mit der Fliege hat in den 1970er-Jahren zusammen mit George Soros den berühmten Quantum-Hedgefonds gegründet und eine Menge Geld verdient. Viele Leute trauen seinem Urteil. Rogers warnte im Juni vor einem baldigen Kollaps der US-Aktienmärkte. Er nannte sogar einen Zeitrahmen: "In diesem oder im nächsten Jahr." Man wird ihn daran messen und darf an dieser Stelle daran erinnern, dass Rogers auch schon 2016, 2015, 2014 und 2013 vor schlimmsten Turbulenzen an den Finanzmärkten gewarnt hatte. Der Mann hat das Unken und den Pessimismus zur Lebensaufgabe erhoben.

Bill Gross, einer der bekanntesten Investoren der Welt, ist ebenfalls besorgt: Man solle sich vom blauen Himmel an den Börsen nicht trügen lassen, sagt der frühere Chef der Investmentfirma Pimco. Die Märkte seien sehr riskant. Früher habe man Aktien billig gekauft und teuer verkauft. "Heute kauft man teuer und drückt sich dabei die Daumen."

Die Finanzgeschichte lehrt, dass ein Crash immer wieder kommt. Doch niemand kennt den Zeitpunkt und den Auslöser. Man muss dieses Risiko ertragen können. Die meisten Experten gehen davon aus, dass sich die Aktienanlage über sehr lange Zeiträume immer lohnt. Der französische Mathematiker Louis Bachelier entwickelte dazu im Jahr 1900 die "Random-Walk-Theorie". Börsenkurse würden sich rein zufällig bewegen, wie die Kugel beim Roulette, und die Preise an den Aktienmärkten würden dem Gesetz der Normalverteilung gehorchen. Es besagt: Extrem-ereignisse wie ein Crash passieren extrem selten. Man darf sich das auch so vorstellen: Die meisten Männer haben eine Größe um die 1,80 Meter. Diejenigen über zwei Meter und die unter 1,60 Meter sind zu wenige, um den Durchschnitt zu beeinflussen. Darüber hinaus gebe es weder Drei-Meter-Riesen noch 20-Zentimeter-Zwerge. Auf die Börsen angewandt bedeutet das: Extreme Kursschwankungen würden die durchschnittliche Rendite von historisch sechs Prozent nicht beeinflussen.

Haben Crash-Propheten recht? Auch eine kaputte Uhr zeigt einmal am Tag die richtige Zeit an

Es ist dem 2010 verstorbenen Chaosforscher und Mathematiker Benoît Mandelbrot zu verdanken, dass dieses Mantra infrage gestellt wurde. Der in Polen geborene Wissenschaftler meinte, dass die Renditen an den Börsen von Extremereignissen bestimmt werden. Entscheidend seien also die Zwei-Meter-Männer und die Drei-Meter-Riesen.

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"Nach der konventionellen mathematischen Normalverteilung dürfte es zwischen 1916 und 2003 nur 58 Mal passiert sein, dass der amerikanische Dow-Jones-Aktienindex an einem Tag mehr als 3,4 Prozent steigt oder fällt. In Wahrheit geschah dies an 1001 Tagen", berechnete Mandelbrot, und: "Theoretisch sollte eine Sieben-Prozent-Schwankung des Dow nur alle 300 000 Jahre vorkommen, tatsächlich ist es zwischen 1916 und 2003 insgesamt 48 Mal geschehen."

Der Mathematiker zeigte der Welt: Die Börsen sind riskanter, als man gemeinhin dachte. Die jüngsten, relativ schnell aufeinanderfolgenden Crashs von 1998, 2000 und 2007 schienen seine These nur noch mehr zu bestätigen. Crash-Propheten wie Rogers machen sich diesen Umstand zunutze. Anleger hören darauf und treffen dann womöglich in ihrer panischen Angst die falschen Entscheidungen. Sicher, irgendwann kommt ein Börsenbeben, und Leute wie Rogers bekommen mit ihrer Weltuntergangsprognose recht. Aber dabei wird oft vergessen, wie oft diese Propheten zuvor danebenlagen. Auch eine kaputte Uhr zeigt einmal am Tag die richtige Zeit an.

Sollen Anleger die Börsen also meiden, aus Angst vor dem Crash? "Man sollte sich vom Auf und Ab an den Börsen nicht verrückt machen lassen", sagt Niels Nauhauser, Finanzexperte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Er rät: Aktien breit streuen, lange durchhalten und Kosten minimieren.

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