Geldpolitik:Zeitalter der Extreme

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Einmal im Jahr wird Jackson Hole, ein Tal in den Rocky Mountains, zum Zentrum der internationalen Finanzwelt. (Foto: John Locher/AP)

Am Wochenende treffen sich die Großen der internationalen Notenbanken in den Rocky Mountains. Die Unsicherheit über den künftigen Kurs der Geldpolitik war nie so groß - das Misstrauen auch nicht.

Von Nikolaus Piper und Markus Zydra, München/Frankfurt

Längst ist es ein unverzichtbares Ritual geworden: Jedes Jahr Ende August treffen sich Notenbanker aus der ganzen Welt mit namhaften Ökonomen in den Rocky Mountains. Das Skiresort Jackson Hole am Rande des Grand-Teton-Nationalparks ist Kulisse für ein wissenschaftliches Symposium, von dem die Finanzmärkte ein bisschen mehr Klarheit über die künftige Geldpolitik erwarten. Selten jedoch war die Unsicherheit so groß wie in diesem Jahr. Höhepunkt wird am Freitag die Rede von Janet Yellen sein, der Präsidentin der amerikanischen Federal Reserve (Fed). Von ihr erhofft man sich Hinweise darauf, ob die Fed im September den Leitzins (derzeit 0,25 bis 0,50 Prozent) erhöhen wird.

Aber es geht nicht nur um den September. In Jackson Hole steht in diesem Jahr Grundsätzliches zur Debatte, nämlich die Frage, wie ein "robuster Rahmen für die Geldpolitik der Zukunft" aussehen könnte (so das offizielle Motto). Selten waren sich die Herren des Geldes so uneinig wie heute Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, strebt Negativzinsen an, sein britischer Kollege Mark Carney hält genau dies für einen Fehler. Die Protokolle der jüngsten Fed-Sitzung vom 26. und 27. Juli zeigten, dass die Führung der Notenbank selbst tief gespalten ist. Esther George, Präsidentin der Federal Reserve Bank of Kansas City und offizielle Gastgeberin in Jackson Hole, hat sich schon lange gegen Yellen gestellt. In einer Rede mahnte sie, der derzeitige Kurs der Fed werde das langfristige Wachstum schädigen. "Ich bin für weitere Schritte in Richtung Normalisierung", sagte George.

In der Öffentlichkeit herrscht Misstrauen gegen die Geldpolitik. Deutsche Sparer fühlen sich von Draghi enteignet, in den USA kündigte Präsidentschaftskandidat Donald Trump an, er werde Yellen ersetzen, sollte er gewählt werden. Der Ökonom Paul Krugman erklärte, Yellens Politik sei "ziemlich ineffektiv". Der Chef der angeschlagenen Deutschen Bank, John Cryan, hat die EZB ungewöhnlich deutlich kritisiert. Zwar habe sie in der Staatsschuldenkrise viel dafür getan, Europa zu stabilisieren. "Inzwischen aber wirkt die Geldpolitik den Zielen entgegen, die Wirtschaft zu stärken und das europäische Bankensystem sicherer zu machen", schrieb Cryan im Handelsblatt. Auch Michael Hüther, Präsident des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, hält die Negativzinsen der EZB für kontraproduktiv, da sie die Banken belasten. "Dadurch, dass sie das Zinsergebnis der Banken schmälern, bremsen Negativzinsen die Kreditvergabe."

Doch eine Kursänderung ist nicht in Sicht. EZB-Direktor Benoît Coeuré, der Draghi in Jackson Hole vertritt, deutete bereits an, dass die EZB ihr bis März 2017 angesetztes Kaufprogramm verlängern könnte. Die EZB könne zu weiteren Schritten gezwungen sein, sollten Struktur- und Fiskalreformen im Währungsraum ausbleiben. Das wäre dann aber mit Nebenwirkungen verbunden, so Coeuré Anfang der Woche. "Nichts ist umsonst." So müssten Folgen für die Finanzstabilität beachtet werden. "Bislang haben wir diese Risiken im Griff gehabt", sagte der Notenbanker. Aber wie lange noch?

Alles sieht danach aus, als würde aus dem einst Undenkbaren das neue Normale

In den Fachabteilungen der EZB werden Pläne entwickelt, ob und wie man von März 2017 an mit den Anleihekäufen weitermachen soll. Das Angebot vor allem an Bundesanleihen wird langsam knapp. Man müsste deshalb einige Regeln weiter lockern, was im EZB-Rat umstritten ist. Draghi könnte schon nach der nächsten EZB-Ratssitzung am 8. September erste Details präsentieren. Die EZB steckt in der Bredouille: Das 1,7 Billionen Euro schwere Anleihekaufprogramm wirkt nicht wie erwartet. Die Inflationsrate in der Eurozone liegt mit 0,2 Prozent immer noch weit weg von der Zielmarke zwei Prozent. Das spräche dafür, das Programm einfach auslaufen zu lassen. Allerdings fürchten viele in der EZB dann neue Unruhe an den Finanzmärkten. Ein Stopp des Kaufprogramms könnte als Zinswende interpretiert werden - doch höhere Zinsen sind genau das Signal, das die EZB gerade überhaupt nicht geben möchte. Möglicherweise begeht die EZB auch noch einen weiteren Tabubruch und kauft Aktien am Markt.

Es ist ein Zeitalter der Extreme. Finanzminister Wolfgang Schäuble verdient Geld einfach dadurch, dass er sich welches leiht. Die Notenbanken haben ihre Bilanzen auf ein Vielfaches des Vorkrisenniveaus aufgebläht. Und alles sieht danach aus, als würde aus dem früher Undenkbaren das neue Normale. Nach Analysen aus der Fed wächst die Produktivität der amerikanische Wirtschaft langsamer als zuvor. Deshalb ist der so genannte "neutrale" Zins, bei dem die Wirtschaft weder angeheizt noch gebremst wird, niedriger als früher. John Williams, Präsident der Federal Reserve Bank von San Francisco, forderte daher, die Fed solle offiziell ihr Inflationsziel von derzeit zwei Prozent erhöhen. James Bullard, Chef der Fed von St. Louis, glaubt, dass die US-Wirtschaft in einer Falle von niedrigem Wachstum und niedriger Produktivität steckt. Deshalb müsse der Leitzins noch mehrere Jahre unter 1,0 Prozent bleiben. Kaum vorstellbar, dass aus Jackson Hole Signale für eine Wende kommen.

© SZ vom 25.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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