Geldpolitik:Tief, tiefer, zu tief

Lesezeit: 3 min

Leuchtender Sitz eines mächtigen Hauses: die Europäische Zentralbank in Frankfurt. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Die Debatte über Negativzinsen spaltet die Notenbanker. Die Europäische Zentralbank setzt sie ein, ihr britischer Kollege lehnt sie ab. Jetzt mischt sich der Internationale Währungsfonds ein - mit Lob und einer Warnung.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Mark Carney plagt sich mit einer kniffligen Aufgabe. Der britische Notenbankchef möchte unter allen Umständen vermeiden, dass Großbritannien nach dem Brexit-Entscheid in einer wirtschaftliche Rezession landet. In dieser prekären Situation sollte er sich eigentlich alle Handlungsoptionen offenhalten. Doch eine derzeit bei Zentralbankern weltweit beliebte Methode komme für ihn nicht in Frage: negative Zinsen. "Ich bin kein Fan davon", sagte er und brüskierte Notenbanker in der Euro-Zone, Japan, Schweden und der Schweiz, die genau das eingeführt haben. Carneys Kommentar: "Wir sehen negative Konsequenzen der Maßnahme im Finanzsystem."

Willkommen im Glaubenskrieg der Notenbanker. Der Negativzins spaltet die Gesellschaft. Er hilft der Wirtschaft beim Wachsen, sagen seine Fans. Er schadet nur, meint der smarte Carney - so sehen es auch viele Sparer. Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) stellen sich nun auf die Seite der EZB: Ihre Negativzinspolitik sei erfolgreich, urteilen sie in einem neuen Papier. Der Negativzins habe "die Finanzierungsbedingungen erleichtert und zu einem moderaten Kreditwachstum beigetragen". Der IWF gilt seit jeher als Verfechter einer ultralockeren Geldpolitik. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel - die Zentralbank der Zentralbanken - sieht dagegen den massiven Einsatz der Notenpresse schon lange kritisch. Der Graben zwischen den Experten ist tief. Dabei ist es noch gar nicht lange her, da hätte es kein Währungshüter gewagt, über negative Zinssätze auch nur zu reden. Er hätte sich damit im Kollegenkreis lächerlich gemacht, denn auch Geld, so steht es in den Lehrbüchern, müsse in der Marktwirtschaft einen Preis haben.

Doch die globale Finanzkrise 2008 hat alles verändert. Die Notenbanken wagten im Rettungsrausch der vergangenen Jahre ein historisch einmaliges Experiment. Sie haben die Zinsen immer weiter gesenkt und den Ankauf von Staatsanleihen immer weiter erhöht. In den wichtigsten Industriestaaten liegt der Leitzins jetzt nahe oder eben sogar unter null Prozent. Billionen an frischem Geld sind in die Finanzwirtschaft geschleust worden.

Die Zentralbanken wollen Investitionen, Wachstum und Inflation förmlich erzwingen. Und eigentlich müssten Wirtschaft und Kreditvergabe jetzt auch boomen. Schließlich geben die Zentralbanken umsonst Kredit. "Doch die Wachstumsdynamik und die Kreditvergabe in der Euro-Zone sind viel schwächer, als man erwarten würde. Auch die Inflation bleibt niedrig", sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ-Bank. "Die Negativzinspolitik der EZB ist bislang ein Misserfolg."

Tatsächlich liegt die Inflationsrate in der Euro-Zone immer noch nahe null Prozent. Die EZB hat als Inflationsziel knapp weniger als zwei Prozent ausgegeben, um einen Puffer zu haben zur Deflation: Dauerhaft sinkende Preise gelten als gefährlich für die Wirtschaft. Im schlimmsten Fall sinken dann die Gewinne der Unternehmen, aber ihre Lohnkosten bleiben gleich hoch - und die Firmen gehen pleite. Andererseits profitieren Konsumenten von niedrigen Preisen und kaufen vielleicht mehr.

EZB-Präsident Mario Draghi weiß natürlich, dass die niedrige Inflationsrate darauf hindeutet, dass die Maßnahmen nicht so richtig wirken. Gleichzeitig weiß aber niemand, was passiert wäre, wenn die EZB die Leitzinsen über null belassen hätte.

Sinkt der Leitzins weiter, könnten die Nachteile die Vorteile überwiegen

Vor allem in Deutschland denken viele, die EZB richte viel Schaden an. Die Sparer klagen über geringe Zinserträge und steigende Bankgebühren. Sie vergessen dabei, dass Kredite und viele Waren günstiger geworden sind. Auch die Banken klagen über die Negativzinsen. Zu Recht, meint der IWF in seiner aktuellen Analyse. "Zinssenkungen belasten die Profitabilität der Banken." Das könnte dazu führen, dass weniger Kredite vergeben werden, so der IWF. Die Nachteile weiterer Leitzinssenkungen könnten irgendwann die Vorteile überwiegen. Viel weiter sollen die Notenbanken den Leitzins also nicht mehr absenken. Zumal die Gefahr besteht, dass Banken den Strafzins auf die Kunden umlegen und ihre Kredite verteuern. Das würde der Wirtschaft schaden.

Für die meisten Beobachter scheint daher klar zu sein: Die EZB wird den Leitzins wohl nicht mehr viel weiter absenken - wenn überhaupt. Doch höhere Zinsen wird es auf Jahre hinaus wohl auch nicht geben. Die Zinswende ist in weiter Ferne. Gerade jetzt nach dem Brexit-Entscheid der Briten, der Europas Wirtschaft belastet.

Schon bei der nächsten geldpolitischen Sitzung der EZB im September könnte Draghi neue Maßnahmen ankündigen. Doch welche? Eine Ausweitung des laufenden Anleihekaufprogramms gilt als schwierig. Es gibt einfach nicht genug Wertpapiere. Außerdem weiß man nie, ob die Investoren ihre Anleihen überhaupt verkaufen wollen. Die Bank of England erlebte gerade einen solchen Verkäuferstreik. Die Anleger kleben an ihren Anleihen. Sie wissen nicht, was sie mit dem Geld anfangen sollen, das die Notenbank ihnen geben will. Draghi sucht in solchen Situationen nach neuen Wegen. Er experimentiert, weil seiner Meinung nach eine Notenbank immer handlungsfähig sein muss. Für Chefvolkswirt Bielmeier kommen auch völlig neue Ideen infrage. "Die Notenbank könnte direkt Steuersenkungen und reformbedingte Haushaltslücken finanzieren", sagt er. "Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Fantasie und Bereitschaft der Notenbank sehr groß ist." Doch ob das hilft? Geldpolitik stößt an Grenzen, so sieht es der Brite Carney. Durch die Krise würden die meisten Menschen lieber auf Nummer sicher gehen. Keine perfekte Voraussetzung für Wachstum - ob mit oder ohne Negativzins.

© SZ vom 12.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: