Geldpolitik:Noch lange nicht normal

Zitat

"Die Zinswelt vom Kopf auf die Füße zu stellen, ist ein langwieriger Prozess. Eine Normalisierung der Leitzinsen werden wir in den nächsten Jahren sicher nicht sehen - weder in den USA noch in Europa."

Elmar Völker, Anleihenexperte der LBBW

Die US-Notenbank Fed drängt endlich die Geldflut zurück. Für Anleger ändert das nichts: Anleihen bringen weiter wenig, Aktien bleiben attraktiv.

Von Harald Freiberger

Es ist ein großer Schritt für die US-Notenbank Fed, aber ein kleiner Schritt für die Menschheit: Über fast zehn Jahre flutete die Zentralbank die Kapitalmärkte mit Geld, indem sie Anleihen kaufte. Damit bekämpfte sie die Folgen der Finanzkrise und verhinderte einen Absturz der Wirtschaft. Nun geht es erstmals seit Langem in die andere Richtung: Die Fed lässt Anleihen auslaufen und verringert so Monat für Monat ihre auf fünf Billionen Dollar aufgeblähte Bilanz.

Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer Normalisierung. Seit Jahren steht die Welt des Geldes Kopf mit den bekannten Folgen: Es gibt keinen Zins mehr für sichere Anlagen, teilweise werden sogar Negativzinsen fällig. Und da es keine Zinsen mehr gibt, sind die Anleger in Aktien und Immobilien geflüchtet, was zu einem Boom auf diesen Märkten geführt hat, Blasengefahr inklusive.

Wenn die Fed nun die Wende einleitet und die Geldflut zurückdrängt, birgt dies auch die Hoffnung auf normalere Zeiten an den Kapitalmärkten. Die Reaktionen auf die Entscheidung der Fed am Mittwoch waren aber moderat: Weder die Kurse von Anleihen noch die von Aktien veränderten sich auffällig. "Der Bilanzabbau durch die Fed wird zwar ein Belastungsfaktor für den US-Staatsanleihemarkt sein und sich indirekt auch auf Europa auswirken", sagt Elmar Völker, Anleihenexperte der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Die Folgen seien aber moderat, da sich der Prozess schleichend über Jahre erstrecke. Daher erwarte er "keine größeren Verwerfungen".

"Methadon-Programm der Fed": Sie mildert Abhängigkeit, befreit aber nicht von der Sucht

Zu solchen Verwerfungen käme es, wenn Investoren amerikanische oder deutsche Staatsanleihen panikartig verkaufen, weil sie stark fallende Kurse erwarten. Einen solchen Anleihe-Crash gab es etwa im Jahr 1994, als die Fed überraschend die Zinswende einleitete. Auch als die Notenbank 2013 erstmals davon sprach, die Anleihenkäufe zu verringern, kam es zu scharfen Marktreaktionen. Das hat die Fed aufgeschreckt, deshalb geht sie nun sehr vorsichtig vor.

Robert Halver, Chefvolkswirt der Baader Bank, spricht von einem "ruhigen Schonwaschgang der Fed": Sie verringere ihre Investitionen in Anleihen binnen eines Jahres um 300 Milliarden Dollar, das seien lediglich sieben Prozent ihrer Bilanzsumme. Diese Fed-Politik erinnert Halver an ein Methadon-Programm: "Es kann zwar die akuten Abhängigkeiten mildern, aber eine Befreiung von der Sucht ist nicht möglich." Er meint die Abhängigkeit der Kapitalmärkte vom billigen Geld.

Die Folgen der Fed-Entscheidung sind auch deshalb überschaubar, weil in anderen Regionen der Welt noch lange keine Wende in Sicht ist. Japans Notenbank fährt seit mehr als 20 Jahren eine Nullzins-Politik, ein Ende ist nicht in Sicht. Und die Europäische Zentralbank (EZB) hinkt der Fed inzwischen um etwa vier Jahre hinterher: Das heißt, dass höhere Zinsen in Europa frühestens 2019 zu erwarten sind.

Die Zinsen von Staatsanleihen dürften zwar steigen, aber in einem nicht zu raschen Tempo. Völker erwartet, dass sich die Rendite von Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit bis Ende 2018 von derzeit 0,46 Prozent auf etwa 1,0 Prozent erhöht. "Das wäre der konjunkturellen Lage angemessen und auch für die Schuldenstaaten in Europa noch tragbar", sagt er. Die EZB müsse bedenken, dass die Zinsen nicht zu stark steigen dürfen, weil sonst die Schuldenkrise wieder hochkäme.

Der moderate Zinsanstieg ist jedenfalls nicht dazu angetan, die Kapitalmärkte nachhaltig zu verändern. "Die Zinswelt vom Kopf auf die Füße zu stellen, ist ein langwieriger Prozess", sagt Völker. "Eine Normalisierung der Leitzinsen auf ein Niveau von vier bis fünf Prozent werden wir in den nächsten Jahren sicher nicht sehen - weder in den USA noch in Europa."

Das heißt auch, dass sich für Anleger so schnell nichts ändern wird: Sichere Anleihen bringen weiter wenig Zinsen, Aktien bleiben trotz des jahrelangen Booms attraktiv, weil es an Alternativen fehlt. Chefvolkswirt Halver empfiehlt deshalb auch, "Aktien weiter überzugewichten".

Wie die Welt aussehen könnte, wenn die Zeiten wieder normaler werden, skizziert Georg von Wallwitz, Vermögensverwalter in München: "Die Zinsen werden nach der Entscheidung der Fed mittelfristig steigen, in den USA schneller, in Europa mit Verzögerung", sagt er. Zehnjährige deutsche Staatsanleihen könnten in drei oder vier Jahren wieder eine Rendite von 2,5 Prozent bringen. Das bedeute, dass Anleger mit sicheren Anleihen auch real, nach Abzug der Inflationsrate, wieder eine Rendite erzielen können. Die Inflation sieht Wallwitz in den nächsten zehn Jahren nicht zurückkehren, weil Digitalisierung, Automatisierung und Globalisierung zu geringer Preissteigerung führten. "Tendenziell werden Aktien damit unattraktiver, weil es wieder eine Alternative zu ihnen gibt", sagt der Vermögensverwalter. Das gelte besonders für Aktien mit hohen Dividenden, zu denen die Investoren in den vergangenen Jahren häufig als Ersatz für Zinspapiere griffen. Auch Gold werde unattraktiver, wenn andere Anlagen wieder Zinsen abwerfen, weil es selbst keine Erträge bringt.

So kann es kommen, aber erst in einigen Jahren. Vorerst bleibt alles, wie es ist.

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