Geldmärkte:Man gewöhnt sich an alles

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Die Börsenhändler in Frankfurt haben die dramatischen Entwicklungen in Griechenland fest im Blick - beunruhigen lassen sie sich von ihnen aber nicht mehr sonderlich. (Foto: dpa (2), Bloomberg, Reuters)

Die Anleger nehmen das griechische Referendum fast gelassen auf. Aber es gibt noch weitere Krisenherde.

Von Harald Freiberger und Alexander Hagelüken, München

Stell dir vor, Griechenland verlässt den Euro, und kein Anleger regt sich darüber auf: Mit bemerkenswerter Gelassenheit reagierten die Finanzmärkte am Montag auf das griechische Referendum, das einen Grexit immer wahrscheinlicher werden lässt. Der Deutsche Aktienindex (Dax) startete mit einem Verlust von 2,5 Prozent, am Abend betrug das Minus nur noch 1,5 Prozent bei knapp unter 11 000 Punkten. Die Investoren sind vielleicht besorgt. Panik aber sieht anders aus.

Der Euro, der eigentlich leiden müsste, wenn eines seiner Mitglieder vor dem Ausstieg steht, notierte kaum verändert zum Vortag. "Der Devisenmarkt gewöhnt sich an Griechenland-Schocks", sagte der Commerzbank-Experte Ulrich Leuchtmann. "Es ist erstaunlich, wie unglaublich stabil der Euro ist", meinte Lars Edler von Sal. Oppenheim. Offenbar sehen die Investoren einen Grexit nicht als großes Problem für den Rest der Eurozone. Das bedeutet aber nicht, dass für europäische Anleger keine Risiken mehr bestünden: Es gibt weitere Krisenherde, die die Entwicklung der Aktienkurse in den nächsten Monaten belasten könnten. Eine Übersicht.

Griechenland

Die heftigsten Reaktionen gab es am Montag bei griechischen Staatsanleihen: Die Rendite zehnjähriger Papiere schnellte von 14,85 Prozent auf über 18 Prozent hoch. Die Investoren halten das Risiko, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlt, nach dem Referendum für deutlich höher. Die Zinsen italienischer oder spanischer Papiere stiegen nur leicht - ein Zeichen dafür, dass die Finanzmärkte keine allzu große Ansteckungsgefahr für andere Länder mehr sehen. "Die Investoren wissen, dass die Europäische Zentralbank im Extremfall mit Anleihenkäufen gegensteuert", sagt Ökonom Johannes Mayr von der BayernLB. Ein Grexit sei im Bewusstsein der Investoren noch nicht angekommen. Die Kurse könnten deshalb temporär noch deutlich sinken, wenn klarer wird, dass es in Richtung Ausstieg geht. Auch Oliver Postler, Chefanlagestratege bei der Bank HVB, kann sich vorstellen, dass der Dax in den nächsten Wochen noch einige Prozent verliert. Unter 10 000 Punkte werde er aber voraussichtlich nicht fallen.

"Griechenland genießt 98 Prozent der Aufmerksamkeit, trägt aber weniger als zwei Prozent zur Wirtschaftsleistung der Eurozone bei", sagt Postler. Für den Umsatz deutscher Firmen spiele das Land kaum eine Rolle. Er sieht daher für Anleger sogar Kaufgelegenheiten: etwa bei Qualitätsaktien von globalen Konzernen mit ausgewogener Produktpalette und stabilen Dividenden. Am Jahresende kann er sich den Dax gut bei 12 000 Punkten vorstellen.

China

Das größte Land Asiens stand wegen der Griechenland-Krise in Europa zuletzt nicht im Fokus der Aufmerksamkeit. Dabei sind die Vorgänge an seinem Finanzmarkt dramatisch: Die Börse in Shanghai verlor seit 12. Juni rund 30 Prozent. Es platzte eine Blase, die sich in den vergangenen zwölf Monaten aufgebläht hatte. Chinas Regierung steuert dagegen: Sie senkte Zinsen und Börsengebühren, blies 28 Börsengänge ab und hielt Börsenfirmen an, gut 17 Milliarden Euro in den Aktienmarkt zu pumpen. Ziel ist es, einen weiteren Absturz der Börsen zu verhindern. "Es ist nicht überraschend, dass der Markt das hohe Niveau nun korrigiert", sagt Gregor Eder, Schwellenländer-Experte bei der Allianz. Aber chinesische Aktien seien immer noch 14 Prozent mehr wert als zum Jahresanfang.

Wie gefährlich ist ein Übergreifen der China-Kracher auf Europas und Amerikas Börsen? "Chinas Finanzmärkte sind relativ abgekapselt, deshalb ist die direkte Ansteckungsgefahr für Anleger in Europa begrenzt", sagt BayernLB-Experte Mayr. Die entscheidende Frage sei, ob in China die Konjunktur drastisch einbricht oder ob es zu einer sanften Landung mit weiter sechs bis sieben Prozent Wachstum im Jahr kommt. "Dazu muss China seine Wirtschaft voranbringen, hin zu mehr Dienstleistungen, hin zu mehr Konsum der Bürger." Die Mehrheit der Marktteilnehmer glaubt, dass dies gelingt. Deshalb sollte auch die Ansteckung über die Konjunktur für Europa und die USA überschaubar sein. HVB-Experte Postler hält in diesem Jahr in China sechs Prozent Wachstum für erreichbar. Erst wenn es in Richtung drei Prozent fiele, wäre das wirklich ein Problem. In Europa wären dann insbesondere exportorientierte Branchen wie Maschinenbau und Automobil betroffen. Er bevorzugt daher Gesundheitswesen, Nahrungsmittel, Konsumgüter - die Unternehmen profitieren davon, dass in Europa der private Konsum steigt und in China eine Mittelschicht entsteht.

US-Zinswende

Die USA sind das Land, das sich weltweit mit am besten von der Finanzkrise erholt hat, die 2008 ausbrach. Das birgt jedoch auch ein Risiko für Investoren. "Erstmals seit 2004 könnten die USA auf Zinserhöhungen einschwenken", sagt Postler. Für die Aktienmärkte sind höhere Zinsen ein Problem, weil alternative Anlagen damit attraktiver werden. Allerdings glaubt Postler, dass die Märkte gut vorbereitet sind. "Bei einem US-Wachstum von etwa 2,5 Prozent sind höhere Zinsen akzeptabel." Axel Weber, Ex-Chef der Bundesbank, erwartet, dass die US-Notenbank Fed die Zinsen sacht erhöht. Am Ende des Zyklus dürften die Zinsen kaum höher als 2,5 Prozent stehen. In Europa wird es noch länger dauern, bis die Zinsen steigen. Die Unterschiede, so erwarten Experten, werden dazu führen, dass der Euro gegenüber dem Dollar abwertet. "Langfristig sehen wir deshalb ein Verhältnis von eins zu eins zum US-Dollar", sagt Mayr.

Ukraine

Die Krise mit Russland ist zuletzt fast aus dem öffentlichen Blickfeld verschwunden. Postler erinnert daran, dass die Situation in der Ukraine nach wie vor heikel ist. Neben China sieht er die Spannungen um das Land derzeit als größtes Risiko für Anleger: "Sollte es eine neue Eskalation geben, könnte das deutlich auf die Stimmung an den Märkten durchschlagen."

© SZ vom 07.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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