Geldanlage:Ruhe ist riskant

In unruhigen Zeiten bewerben Finanzanbieter Fonds, die besonders wenig schwanken und nur geringe Verluste machen, wenn der Kurs nach unten rauscht. Das klingt zwar gut. Doch das Konzept hat auch seine Tücken.

Von Lukas Zdrzalek

André Kostolany war vielleicht der größte Finanzpoet des vergangenen Jahrhunderts. Kostolany, Jahrgang 1906, war Gentleman - und Spekulant. Mal zockte er mit Aktien, mal mit Rohstoffen, mal mit Ramsch-Anleihen. Bis zu seinem Tod 1999 schrieb er auch noch rund ein Dutzend Bücher, in denen er unzählige Börsenweisheiten notierte. Eine davon lautet: "Beim Kauf soll man romantisch, beim Verkauf realistisch sein - zwischendurch soll man schlafen." Kostolanys Satz spielt darauf an, dass die Aktienkurse langfristig schon steigen werden, Investoren aber Kursabstürze aushalten müssen.

Wenn das nur jeder könnte.

Euro-, Schwellenländer-, Brexit-Krise: Mit den Politikproblemen nehmen auch die Schwankungen an den Börsen zu. Die Kursanstiege und die Kurseinbrüche werden extremer - und damit steigt das Risiko für Anleger, größere Verluste zu erleiden als in ruhigeren Zeiten. Dadurch erhöht sich bei vielen die Furcht vor den Finanzmärkten, vor diesen ewigen Zockerbuden, die nichts garantieren außer Schlafmangel. Jetzt bieten Finanzfirmen immer mehr Produkte an, die den Investoren die Panik vor der Panik nehmen sollen. Sie heißen beispielsweise Low-Volatility-Fonds, Fonds mit niedriger Volatilität, die wenig schwanken. Sie machen den Anlegern ein großes Versprechen: Sie wollen nur einen geringen Verlust machen, wenn die Börsenkurse nach unten rauschen.

Traders work on the floor of the NYSE

Manche Börsenhändler sitzen ruhig in ihrem Büro, dieser Händler an der New York Stock Exchange stürzt sich lieber ins Getümmel.

(Foto: Brendan McDermid/Reuters)

Das Prinzip schwankungsarmer Fonds: Nach Ablauf eines Zeitraums, etwa nach einem Quartal, nehmen sie die Aktien auf, die besonders wenig schwankten. Die Zusammensetzung der Fonds kann sich also ändern. Typischerweise sind jedoch Unternehmen aus einigen Branchen besonders stark vertreten, etwa Gesundheits- und Telekommunikationskonzerne. "Die Aktien dieser Firmen schwanken vergleichsweise wenig, weil es etablierte Unternehmen sind, die relativ konstante Gewinne erzielen", sagt Natalia Wolfstetter, Expertin des Analysehauses Morningstar. Denn es ist egal, wie gut oder schlecht es der Wirtschaft geht, die Menschen werden nun mal krank, sie möchten miteinander telefonieren und ins Internet gehen.

Schwankungsarme Fonds könnten in einigen Jahren an ihrer Popularität scheitern

Viele der schwankungsarmen Fonds sind bisher erfolgreich, zeigen Daten des Marktforschers Thomson Reuters Lipper. 14 von 18 untersuchten Fonds haben in den volatilen Monaten von Ende April bis Ende Oktober 2016 zwischen einem und elf Prozent besser abgeschnitten als ihr herkömmlicher Vergleichsindex, etwa der Euro Stoxx.

Doch dieses Verhältnis kann sich umkehren, denn in Zeiten konstant steigender Kurse können die Fonds weniger Rendite erzielen als gewöhnliche Papiere. Ein Kursanstieg geht normalerweise einher mit einem Wirtschaftsaufschwung, von dem relativ konjunkturunabhängige Unternehmen wie Gesundheits- und Telekommunikationsfirmen kaum profitieren. Die Gewinner sind konjunkturabhängige Firmen wie Automobilkonzerne. Deren Gewinne steigen stärker, sie schütten mehr an ihre Aktionäre aus. Deshalb steigen die Kurse der konjunkturabhängigen Firmen im Aufschwung stärker. "Schwankungsarme Fonds bieten also nicht nur weniger Risiko, sondern häufig auch weniger Chancen", sagt Natalia Wolfstetter von Morningstar .

Zwei Fondsarten stehen zur Auswahl

Wer schwankungsarm anlegen will, kann sich zwischen aktiven Fonds und sogenannten Smart-Beta-ETFs entscheiden. ETFs bilden herkömmliche Aktienindizes wie den Dax nach, ohne dass ein Mensch entscheidet, welche Aktien gekauft werden. Smart-Beta-ETFs sind spezielle ETFs. Sie imitieren Indizes schwankungsarmer Aktien, etwa den MSCI World Minimum Volatility. Die US-Fondsgesellschaft Blackrock, die französische Bank BNP Paribas und die Deutsche-Bank-Tochter Deutsche Asset Management verkaufen beispielsweise diese Produkte.

Zweitens können Anleger in einen aktiven Fonds investieren. Im Gegensatz zu ETFs wählt bei einem aktiven Fonds ein Manager die Aktien aus. Aktive Fonds bilden daher keine Indizes nach. Die Kölner Privatbank Sal. Oppenheim, ebenfalls eine Deutsche-Bank-Tochter, und die Deutsche Asset Management bieten schwankungsarme aktive Fonds an.

Die Kosten für ETFs sind relativ gering. Anleger zahlen kaum mehr als 0,5 Prozent der Anlagesumme. Wer 100 Euro anlegt, zahlt also 50 Cent Gebühren. Aktive Fonds dagegen sind teurer, es entstehen Kosten von 1,5 bis 2 Prozent der Investitionssumme. Ein aktiver Fonds muss deshalb mehr Gewinn erzielen, um seine Kosten wieder reinzuholen. Lukas Zdrzalek

Der Grund für den Misserfolg von vier der 18 Fonds kann sein, dass die Fonds auf die falschen Unternehmen gesetzt haben. "Bislang schwankungsarme Aktien bleiben nicht zwingend schwankungsarm", sagt Detlef Glow, Analyst bei Thomson Reuters Lipper. Beispielsweise kann ein Skandal ein solides Unternehmen in Schwierigkeiten bringen. Besonders heftig kann der Kurs abstürzen, wenn der Fonds ein sogenanntes Klumpenrisiko hat. Beschränkt etwa ein neues Gesetz die Höhe der Handygebühren, brechen gleich die Gewinne und Kurse sämtlicher Telekommunikationsunternehmen ein - und plötzlich macht der schwankungsarme Fonds einen großen Verlust.

In den nächsten Jahren kann gerade der Trend zu schwankungsarmen Papieren zum Problem für die Fonds werden. Wenn mehr und mehr Anleger darin investieren, steigt folglich auch der Kurs der schwankungsarmen Aktien. Doch irgendwann zweifeln die Investoren daran, ob der Anstieg gerechtfertigt ist - und die Anleger beginnen, ihre Aktien wieder zu verkaufen. Die Kurse können einbrechen und umso tiefer fallen, desto höher sie die Fonds zuvor getrieben haben. "Anleger können dieses Risiko umgehen, indem sie Fonds auswählen, die bereits zu hoch bewertete Papiere gar nicht erst kaufen", rät Morningstar-Analystin Natalia Wolfstetter.

Das Klumpenrisiko, unerwartete Kursstürze wegen der steigenden Popularität: Schwankungsarme Fonds sind komplexe Produkte, die sich nicht für jeden Anleger eignen, findet Detlef Glow von Thomson Reuters Lipper. "Es reicht nicht aus, dass Interessenten grundsätzlich verstehen, wie die Fonds funktionieren", sagt er. Anleger sollten in jedem Einzelfall nachvollziehen können, aus welchen Papieren sich ein Fonds zusammensetzt - und wie er wann reagiert. Allen anderen bleibt nur das Credo des Finanzpoeten André Kostolany, dass tiefer, fester Schlaf das beste Mittel gegen Kursschwankungen ist. Und recht hatte der legendäre Spekulant ja eh: Langfristig sind die Kurse stets gestiegen.

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