Geldanlage:Im Blätterwald

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Die edle Robinie sollte den Anlegern traumhafte Renditen von über 13 Prozent bringen. Tatsächlich meldete die Investmentfirma Lignum nobilis Insolvenz an. Ob die geprellten Kunden Geld zurück bekommen ist fraglich.

(Foto: imago)

Bäume, die verrotten. Geld, das versickert. Wie 3500 Kleinanleger bis zu 70 Millionen Euro verloren, weil sie von Finanzberatern in bulgarische Forstplantagen gelockt wurden.

Von Heinz-Roger Dohms, Hamburg

Alles klang so seriös. So integer. So richtig. "Angesichts der fundamentalen Krise des gegenwärtigen Finanzsystems gelangen immer Menschen zu der Überzeugung, ihr Vermögen besser nicht in der Welt des schnellen Profits anzulegen." So lautete der erste Satz in der Verkaufsbroschüre der Berliner Investmentfirma Lignum. Und weiter: "Mit ihrer Anlage in Lignum nobilis entscheiden Sie sich für ein zeitgemäßes Engagement, welches Sicherheit, Transparenz und ethische Glaubwürdigkeit in sich vereint."

Wie hätte Gisela Müller ahnen sollen, dass es sich bei der Lignum-Gruppe, der sie einen beträchtlichen Teil ihrer Altersvorsorge anvertraute, in Wirklichkeit um einen zwielichtigen Anbieter am grauen Kapitalmarkt handelte?

2006 war die Mutter gestorben. Gisela Müller, heute 53 Jahre alt, wohnhaft in Rhein-Pfalz, erbte ein hohes fünfstelliges Vermögen. Dann kam der große Knall, die Finanzkrise. Wie so viele Menschen fragte sich auch Frau Müller: Ist mein Geld jetzt noch sicher? Von einem Nachbarn hörte sie: "Ich kenne da einen Finanzberater, der macht nur ökologische Geldanlage." Sie fuhr nach Wiesbaden, wo der Berater sein Büro hatte. Er empfahl ihr Lignum nobilis, Gisela Müller investierte rund 22 000 Euro. "Heute weiß ich, dass das ein Fehler war", sagt sie. Ihren echten Namen will sie nicht in der Zeitung lesen.

Sie ist bei weitem nicht die einzige, die auf die Masche von Lignum hereingefallen ist: rund 3500 Anleger sind betroffen. Mithilfe der Lignum-Gruppe haben sie über die vergangenen Jahre knapp 70 Millionen Euro in überwiegend bulgarische Forstplantagen investiert - im Schnitt also fast 20 000 Euro pro Anleger. Laut Verkaufsprospekt funktionierte das Modell ganz einfach. Schritt eins: "Sie kaufen heute das Edelholz bei uns und zahlen den Kaufpreis". Schritt zwei: "Wir liquidieren (vermarkten) Ihr Edelholz in den Erntejahren für Sie, und Sie haben daraus ihren Geldrückfluss." Die Verzinsung? Bis zu 13,6 Prozent per annum. So lautete das Versprechen.

Ökologisch, ethisch, langfristig: von den großen Versprechen blieb wenig übrig

Doch die traumhaften Renditen flossen nicht. Stattdessen stellte Lignum vor einem Jahr Insolvenzantrag. Seitdem arbeitet sich der Berliner Konkursverwalter Rolf Rattunde durch die Hinterlassenschaften der verwinkelten Firmengruppe. Für ein finales Urteil ist es noch zu früh, Rattunde gibt sich wortkarg. Aus zwei seiner Gutachten, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, lässt sich allerdings erahnen, dass die Anleger einen Großteil ihres Geldes wohl nicht wiedersehen werden. Ein Indiz dafür: Auf einem der Geschäftskonten, es liegt bei der Commerzbank und hat die IBAN DE98 1004 0000 0642 8155 00, befanden sich nach der Insolvenzanmeldung noch 36,61 Euro. Ein Witz, wäre die Sache nicht so bitter.

Die Causa Lignum ist ein Lehrstück über den grauen, sprich: unregulierten Kapitalmarkt in Deutschland. Über die Skrupellosigkeit mancher Anbieter. Über die Hilflosigkeit vieler Anleger. Und über die eigentümliche Melange aus Gier und Naivität, die - in unterschiedlichen Mischverhältnissen - oft auf beiden Seiten anzutreffen ist. Diese Melange ist es, die letztlich dazu führt, dass Millionen, wenn nicht Milliarden von Euro Jahr für Jahr in dunklen Kanälen verschwinden, statt das zu tun, was Geld eigentlich tun sollte: nämlich sich zu einem kalkulierbarem Risiko bescheiden zu vermehren. Immerhin aber ist Lignum auch der erste bedeutende Fall seiner Art, bei dem das neue Kleinanlegerschutzgesetz Wirkung gezeigt hat. Das weckt die Hoffnung, dass ähnliche Fälle künftig zumindest eingedämmt werden können.

Wer verstehen will, was bei Lignum falsch gelaufen ist, muss nach Bulgarien blicken. Denn dort ist die Gruppe seit 2004 tätig, nachdem sie sich vom Teakholz aus Brasilien abgewendet hat. Angeblich soll die Robinie höhere Renditen abwerfen. In Bulgarien unterhält Lignum einen riesigen Personalapparat. So wird es Andreas Nobis, der Chef der Lignum-Gruppe, später dem Insolvenzverwalter erzählen. Selbst unmittelbar vor der Insolvenz sollen noch rund 400 Mitarbeiter mit der Aufzucht der Bäume beschäftigt gewesen sein. Zum Vergleich: Der größte Forstbetrieb Europas, die Bayerischen Staatsforsten, kommen je 2000 Hektar mit sieben Mitarbeitern aus. "Ich bin zwar kein Forstwirt", sagt der Kapitalmarktrechtler Marwin Kewe von der Kanzlei Tilp, die gut 1200 Lignum-Anleger vertritt - "aber das klingt so, als hätte man die Bäume täglich gestreichelt."

Rekonstruiert man das Lignum-Debakel, dann zeigen sich Parallelen zur bekanntesten Graumarktpleite der vergangenen Jahre, dem Itzehoer Windkraftunternehmen Prokon. Dort waren die Dimensionen zwar ungleich größer - gut 70 000 Sparer hatten insgesamt rund 1,4 Milliarden Euro investiert. Davon abgesehen ähnelten sich die Modelle aber auf verblüffende Weise. So umgarnten beide Firmen die Kleinanleger mit einem kruden Gemisch aus hohen Renditeversprechen, populistischer Angstmache und antikapitalistischen Ressentiments.

Prokon bewarb seine Anteilsscheine als "grünes Sparbuch". Lignum behauptete, seine Plantagen hülfen der Umwelt. Dabei trugen beide Fälle in Wirklichkeit starke Züge eines Schneeballsystems - also eines Geschäftsmodells, das mangels echter Erlöse nur so lange funktioniert, wie die Zinsen der Altanleger mit dem frischen Geld neuer Investoren bedient werden können. Dass dieses System im Falle Lignums selbst schwache Jahre überstand, lag offenbar daran, dass die Ansprüche der Investoren weit in die Zukunft verlagert wurden. Begründung: Die Bäume müssen ja erst einmal wachsen. In dem alten Anlageprospekt ist von einer "Lieferung in etwa 20 Jahren" die Rede - viel Zeit, um den Schneeball immer weiter rollen zu lassen. Auch Gisela Müller erzählt, dass ihr Ausschüttungsplan erst nach sechs Jahren die erste Zahlung vorsah. Bis zur zweiten hätten sie weitere drei Jahre, bis zu den weiteren Ausschüttungen nochmals sechs Jahre warten sollen.

Es ist ein Fall voller Ungereimtheiten, wie der Berliner Anlegeranwalt Walter Späth feststellt. Zumal sich in dem großen Skandal allem Anschein noch ein kleiner verbirgt. Denn bei allen Parallelen zu Prokon - einen Unterschied gibt es: Prokon gewann seine Anleger per Direktvertrieb, etwa mittels regelmäßiger Verkaufsabende in wechselnden deutschen Städten. Die bulgarischen Forstplantagen hingegen wurden in erster Linie über freie Finanzvermittler vertrieben. Also über Anlageexperten, denen man als Sparer eigentlich vertrauen können sollte.

Einer dieser Vertriebe war das Finanzzentrum Filderstadt, ein mittelständischer Vermittler, der seiner Klientel laut Eigenwerbung "auf ihre Bedürfnisse und ihre Risikobereitschaft individuell zugeschnittene Anlagemöglichkeiten" bietet. In einem Newsletter aus 2011 widmete das Finanzzentrum der Investmentgesellschaft Lignum nobilis eine ganze Seite. Überschrift: "Schnelles Geld? Nein! - Hohe Erlöse? Ja!" Heute sagt Geschäftsführer Oliver Friesch: "Wir haben uns intensiv mit dem Produkt auseinandergesetzt, waren sogar zweimal in Bulgarien, um die Baumschulen persönlich unter die Lupe zu nehmen. Zudem waren die Zahlen, die uns vom Unternehmen gezeigt wurden, bis zuletzt immer hervorragend. Insofern fühlen wir uns in diesem Fall selbst als Betrogene."

Doppelter Skandal: vermeintliche Anlegerschützer kassierten Kunden noch mal ab

Mag sein, dass manche Vermittler nach bestem Wissen und Gewissen handelten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Vertriebe verdienten offenbar exzellent am Vertrieb von Lignum nobilis. So lagen die Abschlussprovisionen ausweislich des alten Lignum-Prospekts bei "bis zu 8 Prozent des angelegten Betrages". Außerdem erhielt der Vermittler "unter bestimmten Voraussetzungen jährliche Bestandsprovision in Höhe von bis zu 0,5 Prozent" der investierten Summe. Geht man davon aus, dass Lignum nobilis tatsächlich überwiegend über freie Vertriebe verkauft wurde, dann haben die Vermittler über die Jahre Provisionen in mittlerer einstelliger Millionenhöhe kassiert.

Wie soll die Politik mit dem Graumarkt umgehen? Gehört es nicht zum Wesen einer jeden Kapitalanlage, dass sie auch schiefgehen kann? No risk, no fun? Ohne Risiko keine Rendite? "Die Existenz eines legalen grauen Kapitalmarkts ist an sich kein regulatorischer Missstand, sondern Ausdruck der Grundsätze von Gewerbefreiheit und Privatautonomie." So stand es vor ein paar Jahren mal in einer offiziellen Publikation der deutschen Finanzaufsicht Bafin. Seit dem Prokon-Desaster allerdings hat sich der Perspektive verschoben. Das Argument, man dürfe die Kleinanleger eben doch nicht schutzlos den Kräften des freien Marktes aussetzen, gewinnt immer mehr Befürworter. So erließ der Bundestag 2015 ein Gesetz, das gern als "Lex Prokon" bezeichnet wird, korrekterweise aber "Kleinanlegerschutzgesetz" heißt. Die neuen Regeln sind zwar oft kritisiert worden. Im Fall Lignum allerdings trugen sie dazu bei, dass die Bafin dem Treiben irgendwann ein Ende setzen konnte.

Tatsächlich hat es Lignum nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Jahr 2012 geschafft, den Vertrieb wieder in Gang zu bringen. 2013 spülen neue Anleger 8,9 Millionen Euro in die klammen Kasse, ein Jahr später sogar 11,7 Millionen Euro, für 2016 rechnet Lignum-Chef Nobis nach eigenen Angaben mit einem Rekordumsatz. Dann aber verlangt die Bafin auf Basis der neuen Gesetzeslage von Lignum plötzlich ein ordnungsgemäßes Verkaufsprospekt.

Das neue Anlegerschutzgesetz zeigt Wirkung: die Aufsicht stoppte den Vertrieb

Weil das aber monatelang auf sich warten lässt, dekretiert die Bafin am 17. März 2016 einen vorübergehenden Vertriebsstopp. Kurz danach ist Lignum mangels frischer Anlegergelder pleite. Am 8. April stellt die Geschäftsführung beim Amtsgericht Charlottenburg den Insolvenzantrag.

Zu den Eigenheiten des grauen Kapitalmarkts gehört, dass das Drama mit der Pleite eines Anbieters nicht endet, sondern nahtlos weitergeht. Denn dann treten die - mitunter selbsternannten - Anlegerschützer auf den Plan. Bei Lignum taucht bereits kurz nach der Pleite eine "Anleger Interessenvertretung Lignum" (AIL) auf. Dahinter verbirgt sich ausgerechnet ein Zusammenschluss jener Finanzvermittler, die die Kleinanleger überhaupt erst in das bulgarische Waldinvestment gelotst hatten. Dass sie sich für den Schaden verantwortlich fühlen - verständlich. Doch die AIL versteht ihr Engagement offenbar nicht nur als Wiedergutmachung, sondern lässt es sich zünftig vergüten.

100 Euro soll jeder Anleger zahlen, damit die AIL ihre Interessenvertretung übernimmt. Rund 2500 Anleger, darunter auch Gisela Müller, unterschreiben die entsprechende Vollmacht. Das trägt den Vermittlern weitere 250 000 Euro ein. "Wir haben das Geld verwendet, um mithilfe renommierter Spezialisten ein Sanierungskonzept zu schnüren", sagt der "AIL"-Vorsitzende Christian Hick. "Leider mussten wir später feststellen, dass ein wirtschaftliches Sanierungskonzept unter den gegebenen Umständen unmöglich war. Dazu hätte man uns viel früher einschalten müssen."

Wie es weitergeht? Die Bäume soll es tatsächlich geben, irgendwo in Bulgarien, verteilt auf gut 2000 Hektar, was in etwa der Fläche des Frankfurter Flughafenareals entsprich. Das Problem: Die Besitzverhältnisse der Plantagen sind unklar, die Verträge auf Bulgarisch abgefasst, für einen Übersetzer fehlt dem Insolvenzverwalter das Geld. "Ohnehin sind die meisten Bäume noch sehr klein", sagt einer, der sich auskennt in dem Fall. Daher sei fraglich, wie sich die Robinien ohne die nötige Pflege entwickeln.

Andreas Nobis, der langjährige Chef der Lignum-Gruppe, war für die Süddeutsche Zeitung trotz diverser Versuche nicht zu erreichen. Glaubt man allerdings, was die Lignum-Manager vor ein paar Monaten in einem Brief an die Anleger schrieben - dann haben nicht sie selbst das Desaster zu verantworten, sondern die Finanzaufsicht Bafin wegen des von ihr verhängten Vertriebsstopps. In dem Schreiben wird sogar angedeutet, dass Andreas Nobis Schadensersatz fordern könnte.

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