Geldanlage:Gewagt, gewonnen

Viele Sparer in Deutschland scheuen noch immer die Risiken der Börse. Das ist ein Fehler, wie die Entwicklung zeigt.

Von Jan Willmroth

An der Schwelle zum neunten Jahr des weltweiten Börsenaufschwungs - bald wird es der längste in der Geschichte sein - muss die Mehrheit der deutschen Sparer einmal mehr mit einer traurigen Gewissheit leben: Von den Kursanstiegen seit der Finanzkrise hat nur eine Minderheit profitiert, lediglich 14 Prozent der Deutschen halten in irgendeiner Form Anteile an Unternehmen. Das ist einerseits beruhigend, weil sie ohne solche Anteile kein Risiko ein eingehen. Und zugleich traurig - keine Unternehmensanteile, keine Rendite.

Seit Jahren müssen die deutschen Sparer damit leben, als "Aktienmuffel" verunglimpft zu werden. Über die Gründe für diese traditionelle Zurückhaltung lässt sich streiten. Zweifellos ist Misstrauen im Spiel, übersetzt in die Sprache der Marktpsychologen heißt das: Risikoaversion. Die empirische Finanzmarktforschung liefert seit Jahrzehnten immer neue Belege dafür, dass Verluste schwerer wiegen als Gewinne; es schmerzt Menschen mehr, 100 Euro zu verlieren, als dass es sie freut, 100 Euro zu gewinnen. Die Angst davor, Geld zu verlieren, hält sie deshalb davon ab, überhaupt welches zu investieren.

Anlageberater fragen deshalb aus gutem Grund immer zuerst: Wie viel Risiko wollen Sie eingehen? Es ist schwierig, darauf eine allgemeingültige Antwort zu geben, denn, auch das haben Psychologen belegt, die Risikotoleranz kann sogar in einem Tag enorm variieren. Das mag eine Erklärung sein, warum viele trotz ihrer Scheu vor der Börse im vergangenen Jahr Geld in Bitcoin oder andere Kryptowährungen gesteckt haben, obwohl die Verlustrisiken gewaltig und kaum zu kalkulieren sind. Der alte Mechanismus des Herdenverhaltens, wie er beispielsweise auch während der Dotcom-Blase zu beobachten war, er funktioniert noch immer.

Anstatt der Herde hinterherzulaufen, irgendwelchen Trends zu folgen oder leichtgläubig Geld am grauen Kapitalmarkt aufs Spiel zu setzen, tun Sparer gut daran, langfristig auch an der Börse zu investieren und sich der Fallstricke bewusst zu sein. Schritt eins: die eigene Scheu überwinden. Schritt zwei: Ziele definieren, also die Frage beantworten, was man eigentlich erreichen möchte mit dem gesparten Geld. Und der dritte Schritt: klare Regeln aufstellen, an die man sich unbeirrbar hält, trotz zwischenzeitlicher Verluste.

Aber soll man ausgerechnet jetzt noch einsteigen, wo Aktien teuer, Anleihen kaum noch ertragreich und so ziemlich alle sinnvollen Anlageklassen in den vergangenen Jahren gut gelaufen sind? Ja und nein. In dieser Marktphase ist es ziemlich beruhigend, einen gewissen Geldbetrag zu horten - um dann so richtig loszulegen, wenn die Kurse das nächste Mal abstürzen. Kaum jemand hat diese Kunst je treffender beschrieben als Sir John Templeton, einer der berühmtesten Investoren des 20. Jahrhunderts: "Zu kaufen, wenn andere verzweifelt verkaufen, und zu verkaufen, wenn andere gierig kaufen, erfordert größte innere Stärke und macht sich am meisten bezahlt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: