Geldanlage:Fremde Kultur

14 Prozent

In Deutschland besitzen knapp neun Millionen Menschen Aktien und/oder Aktienfonds. Das entspricht einem Anteil von 14 Prozent. Die Zahl ist 2015 gegenüber dem Vorjahr um 560 000 Personen angestiegen. Das entspricht einem Plus von 6,7 Prozent, wie das Deutsche Aktieninstitut (DAI) mitgeteilt hat. Das gestiegene Interesse der Deutschen an Aktien kommt zu einem Zeitpunkt, da die Aktienmärkte in große Turbulenzen geraten sind. Das DAI rät, diese Marktunruhe auszusitzen. Den Höchststand an Aktionären verbuchte Deutschland zu Zeiten des Börsenbooms. Im Jahr 2001 war die Zahl der Aktienanleger in Deutschland auf fast 13 Millionen gestiegen.

Die Deutschen und ihr schwieriges Verhältnis zu Aktien. Nur 14 Prozent der Anleger besitzen Aktien. Doch sind sie im Grunde gar nicht so aktienfeindlich.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Dass die Deutschen als ganz schreckliche Aktienmuffel gelten, das wird zumindest regelmäßig von nicht ganz unabhängiger Seite behauptet. Wenn dem tatsächlich so ist, dann lassen sich dafür auch gute Gründe finden. Die Börsenturbulenzen der vergangenen Wochen dürften all die Skeptiker bestätigt haben, denen die Börse viel zu riskant ist, als dass man dort sein Geld für die Altersvorsorge ansparen sollte.

Christine Bortenlänger, 49, kennt dieses ängstliche Gerede. Sie hält es für ziemlich bizarr. "Fragt man die Deutschen nach der größten Verlierer-Aktie, hört man Telekom und Neuer Markt", sagt die Geschäftsführerin des Deutschen Aktieninstituts (DAI). "Doch fragt man nach den Aktien, deren Wert sich verdreifacht hat, dann kommt gar nichts."

Blenden die Menschen hierzulande die guten Börsennachrichten aus?

Bortenlänger muss für Aktien trommeln. Das ist ihr Job. Immerhin 14 Prozent der deutschen Bevölkerung besitzen Aktien. "Das ist zu wenig", sagt Bortenlänger und wird grundsätzlich. "Von einer Aktienkultur wie in anderen Industrienationen ist Deutschland weit entfernt."

Eine Frage der Kultur? Sind die Deutschen kulturlos in Geldangelegenheiten, weil sie das Risiko der Börse scheuen? Kapieren sie einfach nicht, was ihnen gut tut? Warum kaufen die Amerikaner, Briten und Schweden mehr Aktien?

Die Deutschen standen dem Finanzkapitalismus schon immer skeptisch gegenüber. Die Amerikaner begannen in den 1970er Jahren mit der Liberalisierung der Finanzmärkte. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher importierte das neue Paradigma der Kapitalfreiheit 1986 nach Europa. Amerikanische Investmentbanken schwärmten fortan nach London aus, um britische Finanzfirmen aufzukaufen und fit zu machen für das große Monopoly. Es war das Ende des "Gentlemen-Kapitalismus".

Der Finanzplatz Deutschland zog erst ein gutes Jahrzehnt später nach, und zwar ganz gemächlich. So richtig populär war das hierzulande niemals. Die Kultur des Finanzkapitalismus blieb den Deutschen stets fremd. Das Platzen der Internet-Blase in den Jahren ab 2000 und die Heuschreckendebatte Mitte des ersten Jahrzehnts verstärkten das Unbehagen der Deutschen. Die Aktienkurse, so der Verdacht, würden von obskuren Hedgefonds manipuliert. An dieser Einschätzung hat sich auch zuletzt wenig geändert.

Wenn man diese kritische Finanzmarktkultur ganz praktisch verstehen möchte, genügt ein Blick auf die Aktie der Deutschen Bank. Deren Preis liegt derzeit gerade mal so hoch wie 1992, zwei Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung. Die zwischenzeitlich hohen Aktienkurse des Instituts in den vergangenen fast 25 Jahren wirken wie ein exzessiver Rausch, der nun einer Ernüchterung gewichen ist.

Kann man der Mehrheit der Deutschen wirklich vorwerfen, dass sie dieses Theater nicht mitmachen möchte? Doch Vorsicht. So einfach ist die Sache gar nicht.

Viele Deutsche schwören auf das sichere, wenn auch zinsfreie Sparbuch. Doch es gibt auch einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung, der den Nervenkitzel sucht. Viele haben sich vor der globalen Finanzkrise mit gefährlichen Zertifikaten verzockt und Milliarden Euro in riskante geschlossene Fonds versenkt. "Die Menschen, die mit Aktien Geld verloren haben, müssen sich fragen, was schief gelaufen ist", meint Bortenlänger. "Die Menschen kaufen sich manchmal ja auch das falsche Auto, das falsche Haus oder die falschen Schuhe." Ihr Ruf nach Vernunft in allen Ehren. Ob die Leute dazu bereit sind?

Außerdem deutet vieles darauf hin, dass die Deutschen im internationalen Vergleich im Grunde gar nicht so aktienfeindlich sind. "Die Regulierung macht den Unterschied, ob die Einwohner eines Landes viele Aktien halten oder nicht. In den USA und Großbritannien etwa wird der Aktienbesitz im Rahmen der Altersvorsorge steuerlich gefördert. Natürlich ist er dann auch in diesen Ländern höher", sagt Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI.

Der Deutsche ist deshalb nicht feiger als Amerikaner und Briten, er wird steuerlich nur nicht genug gefördert. Auch das Finanzwissen spielt eine untergeordnete Rolle. "Aktienbesitz hat weniger mit Bildung zu tun als mit Regulierung, und die ist in Deutschland nicht gerade aktienfreundlich", sagt Richter. Der BVI-Hauptgeschäftsführer macht sich aber in punkto Bildung keine Illusionen. "Die Deutschen wissen zu wenig über Finanzthemen", so Richter, "die anderen wissen aber auch nicht mehr".

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