Gelbe Felder:Rapsodie mit Misstönen

Lesezeit: 6 min

Seit Autofahrer mit Biodiesel Geld sparen können, blüht das Geschäft mit der Ölfrucht. Doch Ökonomen sehen ein Ende des Wachstums - und Ökologen hoffen darauf.

Arne Boecker

Dieser Strom hat mittlerweile viele Mündungen, auf eine stoßen wir in Niendorf. In dem mecklenburgischen Dorf, das an der Bundesstraße zwischen Schwerin und Wismar liegt, betreibt Dieter Reichenbach eine Tankstelle. Sie sieht aus wie jede andere, wenn man von der Zapfsäule absieht, an der "Biodiesel" steht. Die Seitenwand zeigt das Foto eines Rapsfeldes in voller, grell gelber Blüte. Die Preistafel an der Straße verrät dem Durchreisenden, dass Biodiesel ein Schnäppchen ist.

Liefert Öl für Tisch und Auto: ein Rapsfeld in Schleswig-Holstein (Foto: Foto: dpa)

Für den Liter nimmt Dieter Reichenbach dieser Tage einen Euro und eineinhalb Cent, für den Liter regulären Diesel dagegen einen Euro und zehneinhalb Cent. "Ich habe Biodiesel seit sechs Jahren im Angebot", sagt Dieter Reichenbach. "Ist technisch eine problemlose Sache, in der gesamten Zeit gab es nicht eine Reklamation." Er schlägt schnell mal in seinem Abrechnungsbuch nach. Reichenbachs Tankstelle hat im Mai 190 000 Liter Diesel abgegeben - und immerhin 10 000 Liter Biodiesel.

Seit der Zeitgeist grün weht, ist der Strom, der Biodiesel in Autotanks spült, heftig angeschwollen. Ständig bilden sich neue Mündungen, vulgo: Tankstellen. Weil Biodiesel boomt, wird auch die Pflanze, aus deren Öl der Ökokraftstoff gepresst wird, stark nachgefragt: Raps. Als Rapskammer der Nation gilt Mecklenburg-Vorpommern. Wer sich im Mai im westlichen Landesteil Mecklenburg auf einen Hügel stellt, sieht weithin Gelb, vor allem im Klützer Winkel mit seinen fetten, fruchtbaren Böden. Das Logo des Landesmarketings wirbt unter dem Slogan "MV tut gut" mit dem Gelb des Rapses - neben dem Blau des Meeres und dem Grün der Wälder. Wer sich mit Mecklenburger Raps-Menschen unterhält, lernt jedoch schnell, dass die Karriere von brassica napus an natürliche und künstliche Grenzen zu stoßen droht.

Von wegen Öko-Klitschen

Wenn wir den Biodiesel von der Mündung zur Quelle zurückverfolgen, kreuz und quer durch Mecklenburg, gelangen wir von Niendorf zunächst nach Sternberg. Den Biodiesel, den Dieter Reichenbach verkauft, hat Jens Quandt produziert. Naja, der Betriebswirt schafft das natürlich nicht allein. Hoch ragen die Silos des Biodieselwerks ecoMotion in den Himmel, mal glänzend, mal matt, mal geriffelt, mal glatt. Wer das blitzsaubere Werk sieht, verabschiedet sich schnell von dem Klischee, Biodiesel werde von Öko-Klitschen zusammengerührt, die es sich in Nischen gut gehen lassen.

Der 27-jährige Quandt ist in seinem Büro umgeben von Hightech. Ein Ölgemälde, das einen alten Fischerschuppen zeigt, wirkt fast ein bisschen fehl am Platz. Fischerei war gestern, heute ist Raps. Schnell muss er per Computer noch einen Lastwagen umdirigieren, dann hat er Zeit. "Wenn die Saat bei uns ankommt, rütteln Siebe sie erstmal sauber, bevor sie in den Silos gelagert wird", sagt Quandt.

Er muss laut reden, um gegen das Dauerrauschen der Produktion anzukommen. Nach der Rüttelei brechen Walzen, die gegeneinander arbeiten, die Saat auf und quetschen sie zusammen. 110 Grad heißer Dampf, gefangen im so genannten "Konditionierer", erhitzt die Saat, bevor sie nochmal gepresst wird. "Indem wir unter Hitze arbeiten, erhöhen wir die Ausbeute", ruft Quandt und linst durch ein "Bullauge" in den "Konditionierer". Das dunkle, zähe Zeug muss zum Schluss nur noch von Trüb-, Bitter- und Schleimstoffen befreit werden. Dazu wird es in Zentrifugen umgeleitet. Computer mischen genau dosiert Säure und Lauge dazu, bis die Suppe goldgelb glänzt. Das Pflanzenöl ist endgültig zum Kraftstoff mutiert. "Rapsmethylester" heißt er unter Fachleuten; 120 000 Tonnen davon will ecoMotion im Jahr ausstoßen.

Bislang belegt der Staat den Biodiesel nicht mit Steuern, er ist also billiger als normaler Diesel. Deswegen hat Biodiesel an Beliebtheit in dem Maß gewonnen, in dem die "Benzin-Wut" von Otto Normal-Autofahrer stieg. Technisch macht das "Bio" im Tank keine Zicken. Seit einigen Jahren wird Biodiesel sogar regulärem Diesel beigemengt, ohne dass es irgendjemandem groß auffällt.

Den Rohstoff für den Biodiesel, den Quandt produziert, hat Hans Rotermann geliefert. Der Biodiesel-Strom hat nämlich nicht nur viele Mündungen, er kennt auch viele Quellen. Eine davon heißt "Agrargemeinschaft Lübstorf" und deren Chef Hans Rotermann. Die Agrargemeinschaft ist Nachfolgerin der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, die hier zu DDR-Zeiten ackerte. Der 71-jährige Hans Rotermann steckt voller Anekdoten und Geschichten aus jener versunkenen Zeit, als 18 "Fortschritt"-Mähdrescher das Korn vom Halm holten. "Heute steht Raps auf etwa 1000 unserer 4000 Hektar", sagt Rotermann. Nach der Wende waren es etwa 600 Hektar gewesen.

Im Mai blüht der Raps, dieser Tage reift sein Korn in unauffälligem Grün vor sich hin, spätestens Anfang August werden Rotermanns Leute ihn vom Feld holen. "4500 Tonnen wären für uns ein schönes Ergebnis", sinniert Rotermann. Ölmühlen zahlen ihm zwischen 22 und 25 Euro pro Tonne. "Damit zählt der Raps durchaus zu den lukrativeren Pflanzen", sagt Hans-Jürgen Schwonbeck, einer von Rotermanns Leuten; 50 sind es noch, gegenüber 220 vor der Wende. Landwirte sind es gewohnt, kühl zu kalkulieren. Nur weil Raps im Frühjahr so schön gelb in die Landschaft hineinleuchtet, baut ihn niemand an. "Hier bei uns findet der Raps natürlich auch gute klimatische Bedingungen", sagt Rotermann. "In der Magdeburger Börde zum Beispiel sind die Böden zu trocken."

Ein Zehntel der deutschen Ackerfläche für Ölfrüchte

Der Siegeszug des Biodiesels erfordert zwingend, dass Landwirte zunehmend Raps anbauen. Ein Zehntel der elf Millionen Hektar Ackerfläche in Deutschland ist mit Ölfrüchten bepflanzt, in Mecklenburg-Vorpommern ist es sogar ein Fünftel. Bundesweit hat sich die Fläche innerhalb von 15 Jahren verfünffacht. Mit Blick auf den Raps wähnt Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Till Backhaus seine Bauern kurz vor der Promovierung zu "Energiewirten". Zu später Stunde in Festzelten tituliert er sie auch schon mal als "Ölscheichs von morgen". Backhaus weiß genau, dass sich deutsche Landwirte auf dem globalisierten Lebensmittelmarkt mit traditionellen Produkten wie Brot oder Fleisch nicht behaupten können. Die Energie vom Acker könne für viele ein weiteres Standbein sein, glaubt Backhaus. Die Ansiedlung von verarbeitendem Gewerbe solle außerdem dazu beitragen, junge Menschen im Land zu halten - so wie Jens Quandt bei ecoMotion. Seit der Schiffbau in Sternberg nach der Wende auf Grund lief, liegt der Arbeitsmarkt brach.

Rapssamen besteht zu mehr als 40 Prozent aus Öl. Über Generationen war es nicht nutzbar, weil es Bitterstoffe und Gifte enthielt. Nur als Brennstoff für Lampen war es gut genug. Cleveren Züchtern gelang es, die Stör-Stoffe zu eliminieren. Seit Mitte der achtziger Jahre ist Rapsöl so sauber, dass sich damit Salat anrichten lässt. Sogar Speiseeis auf Rapsöl-Basis bietet ein Bauer aus dem vorpommerschen Varchentin an. Ein weiterer Vorteil des Trennverfahrens: Das Abfallprodukt Rapskuchen lässt sich inzwischen problemlos als Viehfutter vermarkten. Es ist reich an wertvollem Eiweiß. "Letztlich hat die Forschung dem Raps zum Durchbruch verholfen", sagt der Lübstorfer Groß-Landwirt Rotermann. Nördlich von Wismar, auf dem Inselchen Poel, sitzt Deutschlands größtes Rapszucht-Unternehmen.

Gefahr aus Berlin

Die Erfolgskurve des Biodiesels - und damit auch des Rapses - droht in naher Zukunft jedoch abzuknicken. Gefahr kommt aus Berlin. Die Bundesregierung will die Steuerbefreiung für Biodiesel, die eigentlich bis 2009 laufen sollte, kippen. Über die Details streitet die Koalition derzeit mit großer Hingabe - etwa an diesem Sonntag, wenn sich der Koalitionsausschuss zum wiederholten Mal mit dem Thema befasst. Klar aber ist: Die goldenen Zeiten sind vorbei. "Das könnte eine ganze Industrie kaputt machen", schimpft Tankstellenmann Reichenbach. Auch der nordrhein-westfälische Unternehmer Norbert Rethmann, zu dessen Firmenimperium ecoMotion zählt, ist sauer. Als er im Mai vor politischer Prominenz das Sternberger Biodiesel-Werk eröffnete, ließ er keinen Zweifel daran, dass er mit der Steuerbefreiung kalkuliert hat. "Es ist sicher nachzuvollziehen, dass wir diese Anlage mit einem Investitionsvolumen von 32 Millionen Euro kaum gebaut hätten, wenn wir die Entwicklung vorausgeahnt hätten."

Aber nicht nur Ökonomen, auch Ökologen beäugen inzwischen kritisch, dass der Raps allüberall in die Landschaft wuchert. Die gelben Meere nehmen anderen Pflanzen die Luft zum Atmen und engen die Lebensräume vor allem von Vögeln ein. Raps gilt zudem als nicht eben pflegeleichte Pflanze, die mit viel Aufwand vor Pilzen und Schädlingen geschützt werden muss. Eine Ahnung von den Problemen bekommt man, wenn man den Lübstorfer Groß-Landwirt Rotermann über den "Rapsglanzkäfer, dieses Mistvieh!" herziehen hört. In diesem Jahr war der Käfer erstmals resistent gegen die Pflanzenschutzmittel, die die Lübstorfer ausbrachten. Schließlich: Raps braucht die Fruchtfolge. Man kann nicht Jahr für Jahr auf dem selben Boden Raps in die Höhe bringen, zwischendurch muss auch mal Weizen ausgebracht werden.

Energiepflanzen können Lücke nicht schließen

"Bei der Anbaufläche ist das Maximum erreicht", heißt es in einem internen Positionspapier des Schweriner Agrarministeriums. Vor diesem Hintergrund sagt Hubert Wiggering vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung, dass in Deutschland Energiepflanzen die Lücke nicht komplett schließen können, die durch den Wegfall des Energieträgers Erdöl entsteht. Es steht nicht zu erwarten, dass irgendwann alle Autos auf Rapsöl-Basis vorankommen. Deswegen forscht die Industrie auch in Richtung vieler anderer Methoden.

Von der Tankstelle über das Biodieselwerk bis zum Landwirt: Die rückwärtsgerichtete Reise durch den Mecklenburger Raps ist zu Ende. Niendorf-Sternberg-Lübstorf, das sind etwa 180 Kilometer. Wenn wir an Dieter Reichmanns Tankstelle Biodiesel statt Diesel getankt hätten, läge die Ersparnis allein auf dieser Strecke bei etwa 1,80 Euro. Dafür bekommt man am Wochenende am Kiosk schon eine Süddeutsche Zeitung.

© SZ vom 24.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: