Geheimes Finanzsystem bei Siemens:Aufgeflogen in der Schweiz

Schon in den 90-er Jahren wurden bei Siemens derart hohe Beträge auf verborgene Konten im Ausland transferiert, dass sogar die Schweizer Bundesanwaltschaft bei Siemens nachhakte. Doch erst als ausländische Behörden die deutsche Staatsanwaltschaft einschalteten, flog das System auf.

Von Markus Balser und Klaus Ott

Der Siemens-Konzern wird von einer neuen Affäre erschüttert. Ermittlungsbehörden mehrerer Länder entdeckten ein geheimes, international weit verzweigtes Finanzsystem, das offenbar dazu diente, hohe Millionenbeträge in schwarze Kassen zu schleusen. Die Fahnder prüfen, ob es sich um Schmiergeld handelt.

Geheimes Finanzsystem bei Siemens: Polizisten und Reporter vor der Siemens Firmenzentrale in der Münchner Innenstadt.

Polizisten und Reporter vor der Siemens Firmenzentrale in der Münchner Innenstadt.

(Foto: Foto: dpa)

In einer groß angelegten Razzia haben 200 Polizisten, Staatsanwälte und Steuerfahnder am Mittwoch die Siemens AG sowie Privatwohnungen von Managern und ehemaligen Mitarbeitern durchsucht. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Untreue.

"Gelder veruntreut"

Oberstaatsanwaltschaft Anton Winkler erklärte, es bestehe der Verdacht, dass "einzelne Mitarbeiter Gelder veruntreut haben". Zunächste habe es noch keine Festnahmen gegeben, sagte Winkler. Die Anschuldigungen richten sich gegen neun derzeitige und frühere Beschäftigte.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung ermitteln die Fahnder auch, ob der Konzern in großem Stil schwarze Kassen gebildet hat, um die dort deponierten Millionenbeträge im Ausland als Schmiergeld einzusetzen.

Untersucht wird beispielsweise die Zusammenarbeit mit hochrangigen Persönlichkeiten in Russland, die dort helfen sollten, Aufträge zu besorgen.

Erneutes Fiasko

Siemens erklärte, man kooperiere mit den Ermittlungsbehörden. Zu den gegenwärtig laufenden Untersuchungen äußerte sich der Konzern am Mittwoch nicht.

Aufgeflogen in der Schweiz

Der Konzern kommt nach der umstrittenen Gehaltserhöhung für Vorstände und der Pleite der ehemaligen Handysparte unter dem neuen Eigentümer BenQ erneut in schwere Bedrängnis.

Ermittlungsbehörden in der Schweiz und Italien haben, wie die SZ erfuhr, in den vergangenen Monaten ein geheimes Finanzsystem entdeckt, über das die Kommunikationssparte (Com) von Siemens in diesem Jahrzehnt mindestens 20 bis 30 Millionen Euro auf verborgene Konten geschleust haben soll.

Dreh- und Angelpunkt war die Schweiz

Aufgeflogen war dieses System, nachdem einzelne Banken die Behörden wegen des Verdachts der Geldwäsche eingeschaltet hatten. Dreh- und Angelpunkt zahlreicher Transaktionen war die Schweiz.

Die ausländischen Behörden schalteten die Münchner Staatsanwaltschaft ein, die am Mittwoch mit Hilfe des Landeskriminalamtes (LKA) zuschlug. Mehrere Manager und ehemalige Mitarbeiter von Siemens wurden im LKA vernommen, darunter auch eine frühere Führungskraft der Kommunikationssparte.

Dieser Ex-Manager agierte nach ersten Erkenntnissen zusammen mit weiteren Personen aus dem Konzern und dessen Umfeld als Treuhänder für Firmen und Konten, über die Millionenbeträge geschleust wurden. Die Transaktionen liefen beispielsweise über Firmen aus den USA oder den in der Karibik gelegenen Virgin Islands.

Auffälliges Konto

Diese Gesellschaften rechneten bei der Siemens-Kommunikationssparte hohe Beträge für teure Dienstleistungen ab, etwa Beratung oder Projektentwicklungen. Die Ermittler prüfen, ob es sich um Scheinrechnungen von Briefkastenfirmen handelt.

Nachdem hohe Millionenbeträge auf diese Weise aus Siemens herausgezogen worden waren und mit dem Konzern offiziell nicht mehr zugeordnet werden konnten, verfügten die Treuhänder über dieses Geld. Zu welchem Zweck das geschah, ist Gegenstand der Ermittlungen.

Nicht aus eigenem Antrieb

Als gesichert gilt, dass der ehemalige Kommunikations-Manager und die weiteren Treuhänder nicht aus eigenen Antrieb, sondern auf Anweisungen aus dem Konzern handelten. Hochrangige Mitarbeiter von Siemens sollen in die Affäre verstrickt sein.

In einem Fall soll die Bundesanwaltschaft in der Schweiz einen hohen Millionenbetrag beschlagnahmt haben, der dort auf einem auffällig gewordenen Konto lagerte.

Dem Vernehmen nach handelt es sich um Mittel aus dem geheimen Finanzsystem, die Siemens in Griechenland einsetzen wollte. Angeblich fragte die Bundesanwaltschaft in der Schweiz vergeblich bei Siemens in München an, wofür diese Mittel genutzt werden sollten.

Spur nach Österreich

In diesen Teil der Affäre sei ein führender Manager von Siemens in Griechenland verwickelt, hieß es. Eine andere Spur führt nach Österreich, wo zwei geheime Konten entdeckt wurden, die ein Münchner Siemens-Manager betreute.

Über diese beiden Konten wurden vor allem in den neunziger Jahren hohe Beträge hin- und hergeschoben. Das sei ein Vorläufermodell des in den vergangenen Jahren praktizierten Geheimsystems gewesen, war zu erfahren. Durch Österreich soll damals weit mehr Geld geschleust worden sein als bei dem vor allem in der Schweiz angewandten Nachfolgemodell in diesem Jahrzehnt.

Das Ermittlungsverfahren rund um den Konzernbereich Kommunikation ist auch deshalb brisant, weil der heutige Konzernchef Klaus Kleinfeld von Anfang 2004 bis zum Sommer dieses Jahres für diese Sparte verantwortlich war. Derzeit löst Siemens die Com-Sparte auf und bringt große Teile des Geschäftsfeldes in ein Joint Venture mit Nokia ein, das Anfang nächsten Jahres starten soll.

Nokia wollte sich zunächst nicht zu den Vorgängen äußern. Nach Siemens-Richtlinien sind Schmiergeldzahlungen verboten. Dennoch waren in den vergangenen Jahren immer wieder Bestechungsvorwürfe laut geworden, zuletzt im Fall des italienischen Enel-Konzerns.

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