Geheime Diesel-Akten:Kooperation oder Beschlagnahme

Das Bundesverfassungsgericht billigt die Auswertung von VW-Akten der US-Kanzlei Jones Day. Das könnte zum Problem für den Autokonzern werden.

Von WOLFGANG JANISCH, KLAUS OTT, Karlsruhe

185 Aktenordner voller Unterlagen zur Dieselaffäre hatte die US-Kanzlei Jones Day zusammengetragen, dazu umfangreiche Datenbestände auf einem Server in Belgien gespeichert. Material aus einer internen Untersuchung, die Jones Day im Auftrag des VW-Konzerns vorgenommen hatte; Hunderte Beschäftigte waren befragt, zahllose E-Mails und Dokumente ausgewertet worden. Die Suchaktion in eigener Sache war eine Reaktion auf strafrechtliche Ermittlungen in den USA wegen der Abgasmanipulationen, eine Situation, in der Unternehmen sich besser kooperativ zeigen - weil die US-Behörden hart durchgreifen. Den deutschen Ermittlern wollte VW hingegen das Material nicht zugänglich machen und berief sich auf das Anwaltsgeheimnis. Die Staatsanwaltschaft München II besorgte sich indes einen Durchsuchungsbefehl und beschlagnahmte den Datenschatz im März 2017. Nun hat das Bundesverfassungsgericht entschieden: Die Beschlagnahme war rechtens.

Damit genehmigt Karlsruhe nicht nur die Verwendung der Untersuchung durch deutsche Staatsanwälte, sondern entscheidet zudem einen Grundsatzstreit über die Reichweite des Anwaltsgeheimnisses. Denn der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Anwälten gehört zwar fraglos zu den Fundamenten des Rechtsstaats, weshalb dafür, wenigstens im Grundsatz, ein Beschlagnahmeverbot gilt. Dieser Schutz gilt aber nicht absolut; auch die Effektivität der Strafverfolgung hat dem Verfassungsgericht zufolge einen hohen Stellenwert. Damit stützen die Verfassungsrichter letztlich eine Lesart, wie sie sich in der Praxis der Strafgerichte wie auch in der juristischen Fachliteratur weitgehend durchgesetzt hat. Demnach wird das Verbot der Beschlagnahme eng ausgelegt, es gilt lediglich für das Vertrauensverhältnis zwischen Strafverteidiger und Beschuldigten in einem konkreten Ermittlungsverfahren. VW befand sich aber zu diesem Zeitpunkt nicht in einer "beschuldigtenähnlichen" Stellung - dass die Tochtergesellschaft Audi Ziel von Ermittlungen gewesen sei, reiche dafür nicht aus, ebenso wenig wie die Erwartung künftiger Strafverfahren, befand Karlsruhe.

Dahinter steht die wahrscheinlich lebensnahe Vermutung der Richter, ein allzu ausufernder Schutz berge "hohes Missbrauchspotenzial". Würde das Beschlagnahmeverbot für sämtliche Mandatsverhältnisse zwischen Anwalt und Unternehmen gelten, dann könnten Beweismittel "gezielt in die Sphäre des Rechtsanwalts verlagert oder nur selektiv herausgegeben werden; auch der gutgläubige Rechtsanwalt könnte als "Safehouse" für Spuren noch nicht entdeckter Straftaten genutzt werden", heißt es in dem Beschluss.

Solche internen Ermittlungen durch Kanzleien sind seit etwa zehn Jahren, seit den Schmiergeldenthüllungen bei Siemens, üblich geworden, etwa bei Vorwürfen wegen Korruption, Steuerdelikten, Betrug oder Geldwäsche. Die Anwälte durchforsten dann Dateien, befragen Mitarbeiter und legen am Ende ihre Ergebnisse vor. Nach Siemens war das auch bei der VW-Tochter MAN so; bei Rheinmetall und Thyssenkrupp; bei der Handelsgesellschaft Ferrostaal; bei Airbus; bei diversen Geldinstituten bis hin zur Deutschen Bank. Und schließlich sogar beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) wegen der Affäre um die Weltmeisterschaft 2006. Jahrelang hatten die Unternehmen in der Regel mit den Ermittlungsbehörden kooperiert. Das war etwa bei dem Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus und dessen Affäre um den Verkauf von Eurofighter-Kampfflugzeugen nach Österreich der Fall gewesen. Zuletzt hat sich aber abgezeichnet, dass Unternehmen und Verbände dazu übergehen, den Ermittlern die Akten vorzuenthalten. Insofern gilt die Entscheidung des Verfassungsgerichtes als deutliches Signal, dass Unternehmen gut daran tun, mit den Behörden zu kooperieren.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: