Gefahren aus dem Internet:Vorsicht vor der Cyberzeitbombe

Hans-Georg Maaßen

Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, sieht in den Cyber-Angriffen zunehmend auch den Versuch, die Infrastruktur zu treffen.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die Behörden warnen die Wirtschaft vor wachsenden Gefahren aus dem Netz. Ausländische Geheimdienste und Kriminelle greifen deutsche Unternehmen an. Es geht zunehmend um Sabotage.

Von Markus Balser, Berlin

Hackerangriffe auf die Stromversorgung eines Landes - bislang war das vor allem Stoff für Gruselplots in Bestsellern. Doch was kurz vor Weihnachten im Westen der Ukraine begann, beschäftigt inzwischen auch deutsche Sicherheitsexperten: Unbekannte infizierten Kraftwerke mit Schadsoftware, kaperten zuerst Computer, später das ganze Netz und lösten einen Blackout aus. Hunderttausende Haushalte der Region Ivano-Frankiwsk saßen für viele Stunden im Dunkeln. Die Hacker hatten ihrem Schadprogramm den Namen "Blackenergy" gegeben. Auch die Nato und polnische Regierungsbehörden haben die schwarze Energie inzwischen zu spüren bekommen. Absender: unbekannt.

Angesichts solcher Hackererfolge sind Behörden auch in der Bundesrepublik alarmiert. "Die deutsche Wirtschaft ist das Ziel von wirtschaftspolitischen und extremistischen Angriffen", ist sich Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sicher. Es gehe bei den häufig von Geheimdiensten oder der organisierten Kriminalität gesteuerten Attacken längst nicht mehr nur um Spionage, sagte er am Donnerstag in Berlin. Der Verfassungsschutz sieht immer häufiger Hinweise auf Sabotageversuche. Das betreffe vor allem kritische Infrastrukturen wie die Wasser- oder Stromversorgung. Man beobachte, dass internationale Hacker mit der Macht ausländischer Geheimdienste an derartigen Angriffen arbeiteten. "Da werden Trojaner mit dem Ziel gesetzt, sie zu einem politisch genehmen Zeitpunkt freizuschalten", sagte Maaßen. "Wir sprechen hier von regelrechten Cyberzeitbomben."

Die Bundesregierung nimmt die Warnungen offenbar ernst. Erst am Mittwoch hatte das Bundeskabinett eine schnelle Eingreiftruppe für Cyberangriffe beschlossen. Sie soll künftig wichtigen Institutionen im Krisenfall zur Seite springen. Das mobile Team ist Bestandteil der neuen Cyber-Sicherheitsstrategie der Bundesregierung. Angesiedelt werden soll die Gruppe beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Von dort aus soll sie Behörden sowie Betreibern von Versorgungsnetzen helfen, Angriffe im Ernstfall abzuwehren. Auch im Bundeskriminalamt (BKA) und beim Verfassungsschutz sollen Sondereinheiten und mobile Cyberteams gebildet werden. Dass Unternehmen in der Produktion und bei Produkten einen neuen Digitalisierungsschub erleben, macht die Arbeit von Hackern leichter. "Es gibt inzwischen kaum noch ein Unternehmen, das nicht verwundbar wäre", sagt Linus Neumann vom Chaos Computer Club. "Wir sehen eine neue Gefährdungslage", warnt auch BSI-Präsident Arne Schönbohm auf einer Sicherheitskonferenz in Berlin. Die zunehmende Vernetzung biete Angreifern fast täglich neue Angriffsflächen, heißt es im neuen Lagebericht seiner Behörde. Täglich würden etwa 380 000 neue Varianten von Schadprogrammen entdeckt. Die Anzahl von Spamnachrichten mit Schadsoftware im Anhang sei im ersten Halbjahr 2016 geradezu explosionsartig um 1270 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) benennt inzwischen ohne Umschweife jene Regionen, die nach Ansicht der Bundesregierung zu den bedrohlichsten Absendern gehören. Es gebe zunehmend Cyberattacken aus dem Ausland, die meist aus Russland und China gesteuert würden, sagt er. Die Folgen der Angriffe beschränkten sich nicht auf den Cyberraum, sondern könnten auch gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und auch persönliche Schäden verursachen. Die Bürger sollten deshalb besser über Gefahren und Schutzmöglichkeiten informiert werden. "Wir wollen der digitalen Sorglosigkeit entgegenwirken", kündigt de Maizière an.

Neu ist für hiesige Sicherheitsbehörden, dass es ausländischen Geheimdiensten im Kampf um internationale Märkte nicht mehr nur darum geht, die beste Technik an Land zu ziehen. Der Verfassungsschutz fürchtet inzwischen mindestens so sehr den Einsatz von gezielter Desinformation, um Konkurrenten zu schaden. Man beobachte, dass etwa der chinesische Geheimdienst sich gezielt in internationale Konkurrenzkämpfe einmische. Es gehe beispielsweise um Falschinformationen in sozialen Netzwerken zu konkurrierenden Unternehmen und Produkten, hieß es weiter.

Die Behörden stellen die Deutschen derweil darauf ein, dass sich die Risiken so schnell nicht in den Griff bekommen lassen. Im Lagebericht des Innenministeriums heißt es dazu: "Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland werden von dieser Bedrohungslage in den kommenden Jahren in erheblichem Maße betroffen sein."

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