Gefährlicher Protektionismus:Ein Schritt in die Katastrophe

Die Wirtschaft war im Sommer 1930 auf dem Weg der Besserung. Dann machte ein US-Gesetz aus der Rezession die Weltwirtschaftskrise.

N. Piper

Wer zeigen will, dass der freie Welthandel ein schützenswertes Gut ist, der muss sich mit Willis Hawley und Reed Smoot befassen. Das Smoot-Hawley-Gesetz gilt heute als eine der wichtigsten Ursachen dafür, dass aus der Rezession nach dem Börsenkrach vom 24. Oktober 1929 die Weltwirtschaftskrise wurde. Es ist ein Lehrbuchbeispiel für die schlimmen Konsequenzen, die Protektionismus nach sich zieht.

Protektionismus Ein Schritt in die Katastrophe Reuters

Die Golden Gate Bridge in San Francisco: Die USA zettelten Anfang der 30er Jahre einen Zollkrieg an.

(Foto: Foto: Reuters)

Apostel der Mormonen-Kirche

Willis Hawley war ein Lehrer aus Monroe, einer Kleinstadt im Westen des Bundesstaates Oregon, und vertrat seinen ländlich geprägten Wahlkreis seit 1907 im Repräsentantenhaus. Reed Smoot war ebenfalls ein erfahrener Mann in Washington; er stammte aus Salt Lake City, war ein Apostel der Mormonen-Kirche und saß seit 1903 für den Bundesstaat Utah im Senat. Beide waren Mitglieder der Republikaner, zu deren Programm damals, anders als heute, ganz offiziell der Protektionismus gehörte.

Der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Herbert Hoover, gewann die Wahl 1928 mit einem klar handelsfeindlichen Programm: Hoover wollte amerikanische Farmer vor ausländischer Konkurrenz schützen. Das Vorhaben war eigentlich unsinnig, denn die USA importierten kaum Agrarprodukte. Dass es den Farmern in den zwanziger Jahren sehr schlecht ging, kam daher, dass die Rohstoffpreise nach dem Ersten Weltkrieg weltweit abgestürzt waren. Dagegen konnte der schärfste Zolltarif der Welt nicht schützen. Regelrecht bizarr war die Begründung für Hoovers Pläne: Die Farmer sollten "Zoll-Gleichheit" genießen.

Die Parole bezog sich darauf, dass die Zölle für viele Industriegüter nach dem Krieg erhöht worden waren, jetzt sollten die Landwirte nachziehen.

Protektionismus mit Eigendynamik

Nach dem Wahlsieg Hoovers machten sich Smoot und Hawley im Kongress daran, das Wahlversprechen Hoovers umzusetzen. Tatsächlich war ihr Gesetzentwurf zunächst ausschließlich auf die Landwirtschaft gerichtet. Aber nun entfaltete der Protektionismus seine Eigendynamik: Jeder Abgeordnete und jeder Senator hatte in seiner Heimat Interessengruppen, die auch gerne geschützt werden wollten.

So wurde die Liste der Zölle immer länger. Allein im Senat gab es 1253 Änderungsanträge. Zum Schluss kam ein Gesetz mit etwa 21.000 Einzelpositionen heraus, das die Zölle für über 800 Einzelprodukte erhöhte. Nichts wurde ausgelassen: Der Zoll für Lebendvieh erhöhte sich von 1,50 Cent auf 2,50 Cent, der für Gusseisen von 75 Cent auf 1,125 Dollar pro Tonne, der für die Großpackung Streichhölzer von acht auf 20 Cent. Auf Schuhe wurde eine Abgabe von 20 Prozent erhoben.

Während die Abgeordneten im Kongress die Zahl der zu schützenden Produkte weiter erhöhten, hatte sich aber die Welt draußen radikal verändert: Am 24. Oktober 1929, dem "Schwarzen Donnerstag", war eine Panik an der Wall Street ausgebrochen und hatte die Wirtschaft in eine schwere Rezession gestürzt.

Das neue Gesetz wurde nun zu einer brandgefährlichen Angelegenheit. Und während andere politische Fehler in der Weltwirtschaftskrise mangels besseren Wissens begangen wurden, konnte es bei dem Zollgesetz schon damals keinen Zweifel über dessen Schädlichkeit geben. Insgesamt 1028 amerikanische Ökonomen, geführt vom angesehenen Irving Fisher aus Yale, unterzeichneten eine Petition, in der sie Präsident Hoover geradezu anflehten, das Vorhaben zu stoppen. Es half nichts: Am 17. Juni 1930 trat das Smoot-Hawley-Gesetz in Kraft.

Welthandel brach zusammen

Damals, im Sommer 1930, sah es gerade so aus, als sei das Schlimmste schon vorüber. Die Aktienkurse hatten sich ein wenig erholt, die Arbeitslosigkeit war zwar von knapp fünf Prozent im Oktober 1929 auf 8,2 Prozent gestiegen, der weitere Anstieg schien jedoch gestoppt. Die neuen Zolltarife wirkten in der Situation wie ein Schock, der Welthandel brach innerhalb weniger Monate zusammen, die USA als größte Wirtschaftsmacht der Erde verabschiedeten sich faktisch daraus.

Dabei waren die direkten Auswirkungen von Smoot-Hawley zunächst begrenzt. Nach heutigen Schätzungen erhöhten die Zölle die Preise von Importgütern um durchschnittlich sechs Prozent und verursachten einen Rückgang der Einfuhren um vier bis sechs Prozent. Viel schlimmer waren die indirekten Folgen.

Kanada reagierte mit Strafzöllen, Großbritannien und Frankreich zogen nach. Der Völkerbund in Genf rief zu einem "Zoll-Waffenstillstand" auf - vergeblich. Von 1930 bis 1933 ging der Welthandel um zwei Drittel zurück.

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