Geburten und Wirtschaftswachstum:Weniger Kinder, mehr Wohlstand

Wen Changlin and Zhang Feng pose for a picture with their son at home in Ningxiang

China hat die Ein-Kind-Politik beendet, die Bevölkerung altert trotzdem.

(Foto: China Stringer Network/Reuters)

Der Harvard-Forscher David E. Bloom weiß, wann Gesellschaften wachsen - und wann sie wieder schrumpfen. Und warum das so wichtig ist für die wirtschaftliche Entwicklung.

Von Jan Willmroth, Augsburg

Weniger Kinder bedeuteten in China mehr Zeit, mehr Geld und mehr Ressourcen für anderes. Jedenfalls war das mal so. Es begann irgendwann in den Siebzigerjahren, dass die Frauen in der Volksrepublik weniger Kinder bekamen, noch einmal verstärkt durch die Anfang der Achtzigerjahre eingeführte Ein-Kind-Politik. Gute drei Jahrzehnte konnte das Land die sinkende Geburtenrate für seine wirtschaftliche Entwicklung ausnutzen: Die Bevölkerung bekam im Schnitt weniger Kinder, die Menschen arbeiteten mehr, vor allem Frauen, sie sparten mehr, sie hatten mehr Zeit, um in ihre Ausbildung zu investieren.

Jetzt verkehrt es sich ins andere Extrem: Bis 2030 könnte ein Drittel der chinesischen Bevölkerung - mehr als 500 Millionen Menschen - älter als 60 sein. Der Effekt ist verflogen.

Wissenschaftler haben lange den Effekt der Gesundheit verkannt

China ist das Paradebeispiel für das, was David E. Bloom mit dem Begriff "demografische Dividende" beschreibt. Der Amerikaner ist Professor für Ökonomik und Demografie an der School of Public Health der Harvard-Universität, er hat das Konzept mit Publikationen um die Jahrtausendwende geprägt. Das Konzept der demografischen Dividende bezeichnet eine Periode von etwa 20 bis 30 Jahren, in der zuerst die Kindersterblichkeit und dann die Geburtenraten in einer Volkswirtschaft sinken. Daraus entsteht eine Situation, in der nach und nach mehr Menschen das arbeitsfähige Alter erreichen als es Kinder, Jugendliche und Alte gibt. In den entwickelten Volkswirtschaften ist dieses Phänomen durch die "Baby-Boomer" bekannt geworden, von denen ein Großteil vom kommenden Jahrzehnt an das Rentenalter erreichen wird.

Wenn man heute vom Aufstieg Chinas spricht, das bald die USA als größte Volkswirtschaft der Welt ablösen wird, dann hat das also auch viel mit der demografischen Entwicklung in dem Land zu tun. "China hat die demografische Dividende hervorragend ausgenutzt", sagt Bloom, "sie hat über Jahrzehnte hinweg um die zwei Prozent zum Wirtschaftswachstums pro Kopf beigetragen." Wenn aber jetzt die geringeren Wachstumsraten in China diskutiert werden, geht es vor allem um den Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und weniger um die Altersstruktur - dabei sollte man deren Effekt nicht unterschätzen.

Die makroökonomische Entwicklung der Volksrepublik hat aber nicht nur mit sinkenden Geburtenraten zu tun, sondern auch mit einer Verbesserung der öffentlichen Gesundheit. Die Lebenserwartung bei Geburt liegt in China heute jenseits der 70, im Jahr 1958 lag sie noch unter 50 Jahren. Es gibt heute kein Land auf der Erde, in dem die Lebenserwartung geringer wäre als Mitte des vorigen Jahrhunderts. Das hat in vielen Ländern ein enormes Wachstumspotenzial freigesetzt.

Denn erst, wenn die Kindersterblichkeit sinkt, bekommen Menschen weniger Kinder. Erst, wenn die Lebenserwartung steigt, erhöht sich auch das Potenzial für Wachstum. Seit dem zweiten Weltkrieg hat sich die gesundheitliche Situation weltweit fast flächendeckend verbessert. "Viele Millionen Menschen sind einer Welt der Krankheit und materiellen Entbehrung entflohen", schreibt der Princeton-Ökonom Angus Deaton, Wirtschaftsnobelpreisträger im vergangenen Jahr. An seinem Lehrstuhl hat Bloom einst gearbeitet.

In den Wirtschaftswissenschaften wurde dieser Effekt der Gesundheit auf das Wirtschaftswachstum allerdings lange verkannt. Gesundheit galt und gilt als ein Indikator für wirtschaftliche Entwicklung, aber weniger als deren Auslöser. "Es ist noch nicht lange her, dass sich das verändert hat", sagt Bloom. Zumindest in der Makroökonomik, dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften, der sich auf gesamtwirtschaftliche Fragen konzentriert. Öffentliche Ausgaben für Gesundheitsvorsorge seien deshalb immer nur ethisch-moralisch rechtfertigt worden, sagt Bloom. Durch Forscher wie ihn hat sich das geändert. "Gesundheit muss ein Produktionsfaktor in Wachstumsgleichungen sein", fordert der Harvard-Ökonom. Damit liefert er auch starke Argumente, Geld für Aids-Prävention auszugeben, die Bekämpfung von Malaria oder für verbesserte Impfprogramme. "Gerade afrikanische Länder haben ein großes Potenzial, von der demografischen Dividende zu profitieren", sagt Bloom.

In anderen Teilen der Welt, sagt er voraus, sehe die Zukunft nicht so rosig aus. Denn zur demografischen Dividende gehört auch, dass man sie irgendwann zurückzahlen muss. Das erfährt China gerade, wenn es sich auf eine alternde Gesellschaft einstellt: Der Bevölkerungsanteil der Menschen im arbeitsfähigen Alter hat schon begonnen zu sinken. Das erfährt Deutschland, während es sich darauf vorbereitet, immer mehr Rentner versorgen zu müssen. Bloom rät nun, konsequent zu sein: "Das Renteneintrittsalter wird steigen müssen. Die Menschen müssen sich darauf einstellen, länger zu arbeiten."

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