GE und Siemens:Abstieg einer Ikone

Inside The GE Manufacturing Solutions Locomotive Factory Ahead Of Durable Goods Orders

Ein Konzern, der zu groß ist und zu komplex: Diesel-Lokomotiven von General Electric in einer Fabrik in Texas.

(Foto: Luke Sharrett/Bloomberg)

Der ewige Siemens-Rivale General Electric will Stellen streichen, Sparten verkaufen, sogar der Ausstieg aus dem Dow Jones droht den Amerikanern. Das kommt den Münchnern sehr gelegen.

Von Thomas Fromm und Kathrin Werner, New York/München

John Flannery stellt die ganz großen Fragen. "Warum gibt es uns?" ist eine davon. "Ich suche nach der Seele", sagt er. Flannery ist kein Prediger und auch kein Yogi, er ist Chef von General Electric (GE), Amerikas größtem Industriekonzern. Und über den redet er gerade.

Flannery ist erst seit 100 Tagen im Amt, und er will ab sofort alles anders machen. Klein und wendig soll GE werden; 2018 werde deshalb ein Jahr des "Resets", des Komplett-Neuanfangs, verkündete er am Montag bei seiner ersten Investorenkonferenz. Er strich sowohl die Dividende als auch die Gewinnerwartung für 2018 um die Hälfte. In seiner langen Geschichte hat der Konzern die üblicherweise fette Dividende erst zweimal gekürzt, jeweils während großer Finanzkrisen. Diesmal soll die Kürzung vier Milliarden Dollar im Jahr einspielen - es ist ein Tabubruch.

Beide Konzerne wurden durch wichtige Erfindungen im vorletzten Jahrhundert groß

Die Probleme des einen dürften einem anderen helfen: Joe Kaeser, Chef des ewigen GE-Rivalen Siemens, baut seinen Konzern gerade wieder mächtig um, und er riskiert wegen der geplanten Werkschließungen und Stellenstreichungen einen der größten Konflikte mit der Arbeitnehmerseite seit langem. Dass es GE gerade schlecht geht, dürfte den Münchner Konzernchef eher stärken. Die Botschaft ist: Seht her, was passiert, wenn man die Dinge nicht rechtzeitig angeht!

Um zu verstehen, was die beiden Konzerne gerade unterscheidet, muss man sehen, was sie gemeinsam haben. Beide sind Industrie-Ikonen, in beiden Fällen standen bahnbrechende Erfindungen am Anfang: 1847 baute Werner von Siemens den Zeigertelegrafen; ein paar Jahre später entwickelte GE-Gründer Thomas Edison Glühbirnen und baute Kraftwerke. Strom, Licht, später dann Züge, Medizintechnik und Telefone - Siemens und General Electric haben sehr ähnliche industrielle Wurzeln, ohne ihre Produkte hätten sich die modernen Industriegesellschaften kaum weiterentwickelt. GE in Zahlen: 123,7 Milliarden Dollar Jahresumsatz, zuletzt 8,2 Milliarden Dollar Gewinn, fast 300 000 Arbeitsplätze in mehr als 170 Ländern. Zum Vergleich: Siemens machte mit 350 000 Mitarbeitern umgerechnet 97,6 Milliarden Dollar Umsatz und 7,3 Milliarden Dollar Gewinn. Weil sie sich so ähnlich sind, werden sie ständig verglichen.

GE konkurriert in fast allen Bereichen mit Siemens - abgesehen davon, dass GE noch immer ein Endkundengeschäft hat, zum Beispiel mit Glühbirnen. Doch der Konzern hat sich die vergangenen Jahre immer weiter aufgebläht. Seit Anfang dieses Jahrtausends gab es mehr als 200 größere, öffentliche Zukäufe und Hunderte, die zu klein sind, um sie überhaupt zu vermelden. Und nicht genug Verkäufe, glaubt Neu-Chef Flannery.

Er will nun sogar Produkte streichen, die GE zu dem Konzern machten, der er ist: So sollen unter anderem Edisons Glühbirnen wegfallen und alles was sonst mit Beleuchtung zu tun hat. Stromnetz-Technik will er ebenfalls abstoßen, genauso wie Bahntechnik, also auch die Lokomotiven, die einst von GEs Fabriken von der Ostküste aus Amerikas Wilden Westen erschlossen. Überall auf der Welt sollen GE-Fabriken schließen. In Zukunft soll es nur noch drei Sparten geben: Strom, Luftfahrt und Medizintechnik. Auch den Anteil von 62,5 Prozent an der Ölfeld-Service-Firma Baker Hughes will Flannery verkaufen, obwohl GE hier erst vor ein paar Monaten Milliarden investiert hat.

Je nachdem wie viel Börsenwert der Konzern durch die Schrumpfkur verliert, droht sogar der Rauswurf aus dem Dow Jones-Index. Für die Aktionäre ist das ein Schock. Nicht nur, weil GE so stark schrumpfen soll, sondern auch, weil die Wahrheit über die aktuelle Lage ans Licht kam. Der Aktienkurs fiel auf ein Fünfjahrestief - dabei war GE einst der am höchsten bewertete Konzern der USA, heute ist er weniger wert als ein Fünftel von Apple. GE werde in Zukunft "simpler und einfacher zu führen" sein, sagte Flannery. "Die Komplexität hat uns geschadet."

Lange liefen sie im gleichen Takt gegeneinander an, und anderthalb Jahrhunderte nach den Anfängen waren Siemens und GE zu gigantischen Mischkonzernen - neudeutsch: Konglomeraten - geworden. Jetzt wollen sie es partout nicht mehr sein.

Klassische Glühlampen? Antiquiert im LED-Zeitalter. Gasturbinen und Großkraftwerke? Schwer verkäuflich in Zeiten der Energiewende. GE will das Gasturbinen-Geschäft zwar nicht abstoßen, aber es muss sparen.

Siemens hat seine Beleuchtungstochter Osram schon vor Jahren abgespalten und an die Börse gebracht. Es ging dann weiter mit der Häutung: Osram, inzwischen eine LED- und High-Tech-Firma, hat seine traditionellen Glühlampen an einen chinesischen Investor weitergereicht, der wiederum macht sich jetzt daran, Werke zu schließen. Siemens selbst könnte in der zweiten Hälfte dieser Woche die Streichung Tausender Stellen in der Kraftwerkssparte bekannt geben - inklusive Werksschließungen. Das Windgeschäft? Nach Spanien abgegeben. Züge und Bahnen? Fusioniert mit dem französischen Alstom-Konzern. Das Medizintechnikgeschäft? Soll im nächsten Jahr an die Börse gehen. "Wir werden bestimmt nicht die letzten sein, die als letztes Konglomerat der Welt das Licht ausmachen", sagte Konzern-Chef Kaeser schon Anfang des Jahres. Soll GE doch das Licht ausmachen, wir sind es jedenfalls nicht.

Wenn der Aktienkurs seit Jahren steigt, sagt Kaeser, dann kann die Strategie ja nicht so falsch sein

Die Aktie der Münchner ist in den vergangenen fünf Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen - Kaeser sieht dies als Zeichen für den richtigen Kurs. Was er wolle, sagte er neulich in München, seien "fokussierte Spezialisten". Kaeser weiß, dass es hier nicht nur um Technologien geht. Agiler Flottenverband statt Großtanker - wenn der Konzern im Umbau steckt, dann muss auch die Firmenkultur neu erfunden werden. Auf kleinen Schnellbooten geht es anders zu als auf Tankern und Kreuzfahrtschiffen. GE steht das nun noch bevor.

Auch das Top-Management soll hier die Umwälzungen spüren. Ihre Boni sind künftig stärker an den Aktienkurs gebunden - und der Aktienkurs fällt. Der Bonus des Chefs besteht künftig komplett aus Aktien. Die Firmenjets dürfen seit Flannerys Antritt nicht mehr fliegen, das Dienstwagenprogramm ist gekürzt. Ein Viertel aller Stellen in der Verwaltung hat GE bereits gestrichen, 1500 Jobs rund um den Erdball. Verwaltungskosten sollen im nächsten Jahr um zwei Milliarden Dollar sinken. Unternehmensbereiche im Wert von 20 Milliarden Dollar sollen ausgegliedert oder verkauft werden. Selbst Flannerys Sparpläne könnten zu kurz greifen, sagen Konzernkenner. "Sie müssen mehr Kosten streichen", sagte Scott Davis, Analyst beim Recherchehaus Melius. "GE ist noch immer ein aufgeblähtes Unternehmen mit Doppelausgaben hoch und runter in der Organisation." GEs Präsentation am Montag dauerte drei ganze Stunden. Drei Stunden voller Kürzungen, Streichungen, Entschuldigungen. Flannery gestand: "Wir haben nicht gut für unsere Eigentümer gearbeitet."

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