Gastbeitrag:Gefährliche Deflation

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Zentrale der EZB in Frankfurt: Die europäischen Währungshüter halten ihre Strategie, Staatsanleihen zu kaufen, für erfolgreich. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Die Europäische Zentralbank wehrt sich gegen den Vorwurf, sie habe mit ihrem Bestreben, die derzeitige Inflationsrate zu heben, ihre Strategie verändert.

Von Peter Praet

Die EU-Verträge setzen der Europäische Zentralbank (EZB) als oberste Aufgabe die Sicherung der Preisstabilität. Diese Verträge lassen aber die genaue numerische Definition von Preisstabilität offen. 1998 definierte der EZB-Rat Preisstabilität als eine mittelfristige Preissteigerungsrate von unter zwei Prozent. 2003 stellte der EZB-Rat zudem klar, dass er eine Preissteigerungsrate unter, aber nahe zwei Prozent anstrebt. Seit Mitte 2013 liegt die Inflation bei unter einem Prozent und nach Monaten mit negativen Preissteigerungsraten lag die Inflation im Dezember bei 0,2 Prozent.

Kritiker, die im Bestreben der EZB, die derzeitige Inflationsrate anzuheben, eine Änderung Ihrer geldpolitischen Strategie sehen, irren. Im Gegenteil. Eine Änderung der geldpolitischen Strategie wäre es, das Ziel einer Inflation von mittelfristig nahe zwei Prozent aufzugeben. In Zeiten, in denen eine Zielerreichung schwieriger erscheint wäre dies opportunistisch und würde die Glaubwürdigkeit der EZB beschädigen. Gerade in schwierigeren Fahrwassern muss am Ziel festgehalten werden. Seit Februar 2013 hat sich die Inflation in der Eurozone von dem von der EZB avisierten mittelfristigen Zielwert entfernt. Auch hat die anhaltend niedrige Inflation sich auf die mittel- und langfristigen Inflationserwartungen ausgewirkt, die deutlich unter den Niveaus früherer Jahre liegen.

Eine längerfristig niedrige Inflation bietet nur wenig Puffer gegen nachhaltige Deflation. Die Erwartung fallender Preise verzögert Käufe oder Investitionen. Relativ zur Produktivität steigende Reallöhne belasten Firmen und Beschäftigung. Dazu kommt, dass bei Deflation der reale Wert von nominalen Schulden steigt. Deflation kann nicht zuletzt die Effektivität der Geldpolitik beschränken, da die Zentralbank die Kontrolle über die realen Zinsen verlieren kann.

Die Maßnahmen der EZB leisten einen zentralen Beitrag zur Sicherung der Preisstabilität

Die Gefahr von Deflation herunterzuspielen wäre fahrlässig, insbesondere zu Zeiten einer anhaltenden niedrigen Inflation. Zwar haben die fallenden Ölpreise in der niedrigen Inflation zuletzt eine wichtige Rolle gespielt. Dennoch ist der Effekt auf die Inflation nicht vernachlässigbar oder temporär. So wirken sich fallende Ölpreise schnell auf andere Sektoren, wie den Transportsektor aus. Auch ist Zweitrundeneffekten auf die Inflation, zum Beispiel durch niedrigere Lohnabschlüsse, Vorschub zu leisten.

Die geldpolitischen Maßnahmen der EZB leisten einen zentralen Beitrag zur Sicherung der Preisstabilität im Euroraum. Darüber hinaus unterstützen sie Wachstum und Beschäftigung. Am 3. Dezember 2015 hat die EZB Ihr Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) durch eine Verlängerung bis mindestens März 2017 sowie die Reinvestition auslaufender Anleihen ausgeweitet und den Einlagenzins um zehn Basispunkte auf minus 0.3 Prozent gesenkt.

Die Entscheidung, die bestehenden Maßnahmen auszuweiten, sorgt dabei für Kontinuität zu den seit Juni 2014 beschlossenen Maßnahmen und beruht auf der Erkenntnis, dass das APP und die Negativzinsen ausgesprochen effektiv wirken. Vor allem hat das APP dazu beigetragen hat, dem Rückgang der Inflationserwartungen entgegenzuwirken. Auch das Risiko der Deflation hat das APP reduziert. Stabilere Inflationserwartungen sind eine notwendige Voraussetzung für eine Rückkehr zu mittelfristiger Preisstabilität.

Dazu kommen die positiven Effekte aus der Übertragung der geldpolitischen Impulse auf die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und Haushalte. Die Finanzierungskosten für Firmen und Haushalte haben sich in den Märkten deutlich verbessert. Die Kreditkosten für Firmen bei Banken sind gefallen. Die positiven Effekte waren dabei in denjenigen Staaten größer, in denen der Übertragungsmechanismus der Geldpolitik vorübergehend beeinträchtigt war. Damit haben unsere Maßnahmen auch zu einer einheitlicheren Geldpolitik im Eurogebiet beigetragen.

Auch das Volumen der Bankkredite an Firmen und Haushalte hat begonnen, sich zu erholen. So zeigte die letzte SAFE (Survey on the Access to Finance of Enterprises) Umfrage, dass gerade kleine und mittelständische Unternehmen einfacher an Kredite kommen. Generell haben die verbesserten Finanzierungsmöglichkeiten die Nachfrage im Euro-Raum erhöht, und das obwohl sich das weltweite Wachstum und gerade die Nachfrage aus Schwellenländern abgeschwächt haben.

Ein Großteil unserer Arbeit in der EZB beschäftigt sich damit, auch die Kosten von Maßnahmen, ebenso wie ihre unbeabsichtigten Nebenwirkungen zu quantifizieren und evaluieren. Wir sehen keine Anzeichen für Schreckensszenarien, wie sie von Kritikern gerne an die Wand gemalt werden. Hauspreissteigerungsraten, zum Beispiel, sind in den meisten Euro-Ländern geringer als vor der Krise und liegen in allen Ländern unter dem Trend, der auf Grund historischer Durchschnitte als normal zu erachten ist. Dazu werden Preisanstiege besonders dann problematisch, wenn sie primär von massiv wachsenden Krediten getrieben werden. Im Euro-Raum kämpfen wir derzeit eher mit einem zurückhaltenden Kreditwachstum. Auch in anderen Märkten, wie jenen für Unternehmensanleihen oder Aktien, bewegen sich die Entwicklungen derzeit im Rahmen historisch vergleichbarer Verläufe.

Auch die Widerstandsfähigkeit des Bankensystems gegen negative Schocks hat sich seit der Krise deutlich verbessert. Die Banken haben ihre Kapitalbasis gestärkt. Die EZB trägt seit der Übernahme der Bankenaufsichtsfunktion im Rahmen des Single Supervisory Mechanism dazu bei, dass die Banken europaweit hohe und einheitliche Standards einhalten. Sollten sich trotz alledem problematische Entwicklungen abzeichnen, können makro-prudentielle Instrumente Risiken im Finanzsektor am besten entgegen wirken, was der Geldpolitik erlaubt, sich auf ihr primäres Ziel der Gewährleistung von Preisstabilität zu konzentrieren.

Traditionell wirkt Geldpolitik durch Veränderungen der Leitzinsen. Als Reaktion auf die Finanzkrise hat die EZB, ebenso wie andere wichtige Zentralbanken, ihr Instrumentarium erweitert. Der Negativzins folgt dabei dem traditionellen Ansatz der Leitzinsänderung, nur mit der Besonderheit, dass er das Halten von Liquidität weniger attraktiv machten soll, um den Kreditvergabeprozess seitens der Banken gezielt zu stimulieren.

Dazu sind die Wertpapierkaufprogramme geldpolitisch geboten. Durch die Beeinflussung von längerfristigen Zinsen, die besonders wichtig sind für Investitionen und den Kauf von langlebigen Konsumgütern, kann die Geldpolitik also ihren Handlungsspielraum aufrecht erhalten - in einem gesamtwirtschaftlichen Umfeld, in dem traditionelle Geldpolitik an ihre Grenzen stößt.

Bei der Ausgestaltung der Kaufprogramme für Wertpapiere wird darauf geachtet, Verzerrungen in den Märkten zu vermeiden. So sind die Käufe in dem Sinne marktneutral, dass sie im Schnitt gleichmäßig über die Anleihen im Markt verteilt sind.

Auch die Regierungen auf nationaler und europäischer Ebene müssen ihren Teil beitragen

Auch beobachten wir ständig die Liquidität in den Märkten, in denen wir kaufen. Wichtig ist auch, dass die EZB nur bis zu 33 Prozent von jeder Anleihe kauft, um bei keinem Wertpapier eine marktbeherrschende Stellung zu erhalten. So können Marktteilnehmer ihre Preise frei setzen und es können sich marktgemäße Prämien für Kredit- und Liquiditätsrisiken bilden.

Als im Januar 2015 der EZB-Rat den Kauf von Staatsanleihen beschlossen hat, herrschte in dem Gremium Einstimmigkeit darüber, dass solche Käufe im Prinzip ein legitimes geldpolitisches Instrument zur Gewährleistung von Preisstabilität darstellen. Fraglos haben Anleihekäufe auch Einfluss auf die Refinanzierungskosten der Staaten. Das ändert nichts am geldpolitischen Charakter der Maßnahmen in der gegenwärtigen Situation einer anhaltend zu niedrigen Inflation. Ohnehin gilt, dass ja auch das traditionelle Instrument der Leitzinsänderung die Refinanzierungskosten der Staaten beeinflusst.

Umso wichtiger ist es, dass die Regierungen ihren fiskalischen Konsolidierungsprozess fortsetzen. Die gemeinsame Geldpolitik kann nur erfolgreich sein, wenn, wie die EZB stets betont hat, die strukturellen Probleme im Euro-Raum an der Wurzel angegangen werden. Hier sind die Regierungen in der Pflicht und müssen mehr beitragen. National müssen die Regierungen die Konsolidierung ihrer Finanzen konsequent fortsetzen und das Wachstumspotenzial erhöhen.

Auch dürfen die nötigen Strukturreformen auf den Arbeit- und Produktmärkten nicht verschleppt werden. Aber auch auf europäischer Ebene brauchen wir mehr von der politischen Seite. Es ist an der Zeit, die Währungsunion mit einer vertieften Wirtschaftsunion zu ergänzen. Auf Dauer ist eine komplette Währungsunion ohne Wirtschaftsunion schwer vorstellbar. Weitere Schritte zur Wirtschaftsunion werden auch die Aufgabe der Geldpolitik erleichtern.

Peter Praet ist Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank

© SZ vom 13.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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