Gas:Das dicke Ende von Nord Stream

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"Viel Glück", schrieb der damalige russische Präsident Medwedjew 2010 beim Baustart auf eine Pipeline. (Foto: Sergei Ilnitsky/dpa)

Die deutsche Industrie und das Wirtschaftsministerium kämpfen hartnäckig um eine weitere Gaspipeline aus Russland.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die neue Gaspipeline aus Russland ist, logo, ein rein ökonomisches Projekt. So sieht es das Bundeswirtschaftsministerium seit Monaten. "Es obliegt den beteiligten Unternehmen", antwortete das Haus von Sigmar Gabriel (SPD) dieser Tage auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag, "ob die Erweiterung von Nord Stream für sie ökonomisch sinnvoll ist." Wachsende Abhängigkeit von russischem Gas, vom Monopolisten Gazprom? Regelt alles der Markt. "Die Position von Gazprom auf dem europäischen Binnenmarkt hängt in erster Linie von der Wettbewerbsfähigkeit russischer Gaslieferungen im Wettbewerb mit anderen Anbietern ab", schreibt das Ministerium. Selten schien eines der umstrittensten Energieprojekte Europas so harmlos: Nord Stream 2.

Seit Monaten findet hinter den Kulissen ein beispielloses Tauziehen um die neue Gasleitung statt. Polen fühlt sich übergangen, Italien bangt um eigene Pipeline-Pläne, die Ukraine protestiert - ganze EU-Gipfel hat das Projekt schon dominiert. Zwei neue Röhren sollen die bestehende Nord-Stream-Leitung von frühestens 2019 an ergänzen, sie sollen die Kapazität der alten Leitung verdoppeln, von 55 auf 110 Milliarden Kubikmeter russischen Gases im Jahr. Im Ostsee-Städtchen Greifswald würde damit mehr Erdgas angelandet, als Deutschland selbst verbraucht. Nur: Wohin mit dem vielen Gas?

Einen ersten Plan haben die Betreiber der Ferngas-Netze kürzlich vorgelegt. In einem Entwurf für den "Netzentwicklungsplan 2016" rechneten sie durch, was der Bau von Nord Stream 2 für das deutsche Gasnetz bedeuten würde. Neue Verdichterstationen sollen helfen, Gas durchzuleiten, Röhren werden vergrößert oder teils neu gebaut. Auch das Wirtschaftsministerium kennt den Plan und nennt in der Antwort sogar die Kosten: "ca. 500 Millionen Euro".

Ähnlich den Stromleitungen gibt es auch beim Bau neuer Gas-Pipelines ein eingespieltes Prozedere. Als erstes legen die Netzbetreiber in einem Plan dar, wo sie warum die Infrastruktur ausbauen wollen. Sie orientieren sich dabei an den Gasmengen, die voraussichtlich eingespeist werden, und an der Verteilung der Nachfrage. Anschließend prüft die Bundesnetzagentur die Vorschläge. Was sich letztendlich im Netzentwicklungsplan wiederfindet, darf auch gebaut werden - auf Kosten aller Gaskunden. Denn wie beim Strom werden auch die Kosten des Gasnetzes per Umlage und abhängig vom Verbrauch eingetrieben. Wer Gas verbraucht, zahlt mit.

Das 500 Millionen Euro dicke Ende der so wirtschaftlichen Leitung aus Russland kommt damit für viele erst, wenn sie gebaut ist. "Nord Stream 2 mag sich als Pipeline-Projekt finanziell selbständig tragen, die politischen, infrastrukturellen und klimapolitischen Folgekosten sind jedoch immens", sagt die Grünen-Klimapolitikerin Annalena Baerbock. Sie hatte die Frage an das Wirtschaftsministerium gestellt. Sie fürchtet, dass am Ende so manche Investitionsruine entstehen könnte: Etwa dann, wenn künftige Bundesregierungen ernst machen mit dem Klimaschutz. "Die Gasnachfrage sinkt", sagt Baerbock. "Die Infrastrukturinvestitionen sind längst nicht so sicher, wie suggeriert wird."

Zumal auch der Bund noch nicht alle Kosten kennt, die Nord Stream 2 an Land nach sich zieht. Denn auf Geheiß der Bundesnetzagentur planten die Netzbetreiber erst einmal nur jene Leitungen, die zur Deckung des heimischen Bedarfs mit zusätzlichem russischen Gas nötig wären. "Es gibt aber nicht nur Bedarf in Deutschland, sondern auch in Tschechien oder Polen", sagt eine Sprecherin von Gascade, einem der großen deutschen Röhrenbetreiber. Und zwar mehr Bedarf, als Röhren da sind.

Gascade, eine gemeinsame Tochter der deutschen Wintershall und des russischen Gazprom-Konzerns, arbeitet schon kräftig an einer neuen Leitung namens "Eugal". 485 Kilometer lang, soll sie vom Ostsee-Ort Greifswald quer durch Ostdeutschland nach Tschechien führen, mit zwei Röhren. Schon im Mai sollen erste Antragskonferenzen stattfinden, Mitte des Jahres sollen betroffene Bürger und Kommunen beteiligt werden, heißt es bei dem Kasseler Unternehmen. Wenn tatsächlich 2019 schon neues Gas aus der neuen Nord-Stream-Leitung fließt, soll der Anschluss sitzen.

Dann soll sich die Leitung auch im nächsten Netzentwicklungsplan wiederfinden, dem für 2018; auch in Kreisen der Bundesnetzagentur wird das vermutet. Die Folge wäre klar: Ähnlich wie die anderen Leitungen würde auch diese nach dem üblichen Prozedere abgerechnet - über die Gesamtheit der Gaskunden. Welche anderen Leitungen konkret nötig werden, das ist immer noch offen. Es könnten ein paar sein, wenn das vorpommersche Greifswald tatsächlich der neue Hauptumschlagplatz für Russlands Gas wird.

Die EU-Kommission warnt vor der Abhängigkeit von einem Lieferanten

Genau das macht das Nord-Stream-Projekt zum politischen Zankapfel. Die EU-Kommission etwa warnt vor zu großer Abhängigkeit von einem einzelnen Lieferanten und bangt um die Zukunft der Ukraine, der Milliarden an Pipeline-Einnahmen wegfielen, sollte das Geschäft künftig über die Ostsee laufen - vom schwierigen Verhältnis zu Russland ganz zu schweigen.

Brüssel sähe lieber wachsende Gasmengen aus dem kaspischen Raum oder aber Flüssiggas, wie es etwa Katar im großen Stil verschifft. Doch das Wirtschaftsministerium würde auch beides nehmen. "Die Bundesregierung kann keinen Widerspruch zwischen dem Importzuwachs von verflüssigtem Erdgas und dem parallelen Ausbau von Pipeline-Infrastruktur für die Verbesserung der europäischen Versorgungssicherheit erkennen", heißt es lapidar in der Antwort des Ministeriums.

Auch die Gaswirtschaft drängt. Nord Stream 2 biete "Erdgas zu wettbewerbsfähigen Preisen ohne Transitrisiko", warb Wintershall-Chef Mario Mehren am Donnerstag in Kassel. Und wenn sechs Unternehmen aus fünf Ländern zusammenarbeiteten, dann sei das doch ein "wahrlich europäisches Projekt."

© SZ vom 08.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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