Der Pazifik plätschert auffallend ruhig an den Stadtstrand. Das größte Korallenriff der Welt, das Great Barrier Reef, stoppt die höheren Wellen bereits weit draußen auf dem Ozean. Es hat in etwa die Fläche von Deutschland. Cairns, eine ruhige Stadt mit 130.000 Einwohnern, lebt von der Vermarktung dieses Weltkulturerbes recht ordentlich. Meist von sonnenhungrigen Touristen besucht, beherbergt Cairns an diesem Wochenende zusätzlich etwa 2000 internationale Gäste. Die mächtigsten von ihnen sind die die Finanzminister und Notenbanker aus den 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenstaaten, den G 20, dazu kommen ihre Delegierten und Helfer.
Die australische Regierung hat die Präsidentschaft der G20 seit Jahresanfang inne. Man nimmt das sehr ernst hier unten. Das G20-Forum gilt als eine der wenigen Chancen für das Land, sich der Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Joe Hockey, der australische Finanzminister, möchte an diesem Wochenende das große Ziel seiner Regierung festzurren: Die G20-Staaten sollen sich verpflichten, mehr für Wachstum zu tun und auch konkrete Maßnahmen präsentieren. Ziel ist, dass die Weltwirtschaft in den nächsten fünf Jahren zwei Prozentpunkte mehr wachsen soll als bislang prognostiziert, ein geschätztes Plus von zwei Billionen Dollar. Dafür müsste jedes Mitglied der G20, die insgesamt etwa 85 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung repräsentieren, einiges in seiner Wirtschaftspolitik verändern.
"Die Welt muss sich ihren Wohlstand wieder verdienen", sagte Hockey in Cairns, und forderte strukturelle Veränderungen der Wirtschaft, Reformen auf dem Arbeitsmarkt und mehr Liberalisierung. "Die Ausgabenpolitik der Regierungen ist erschöpft und das viele billige Geld der Zentralbanken hat nur noch begrenzte Wirkung", erklärte der 49-jährige Jurist in einem Pressegespräch. Auch aus diesem Grund müssten die G20-Staaten zusammen mit dem Privatsektor viel mehr Geld in Infrastruktur investieren. Hockey möchte auch, dass Steuerschlupflöcher gestopft werden. Ende 2015, so der Plan, sollten die G20-Staaaten anfangen, untereinander Steuerdaten auszutauschen. "Firmen sollen dort Steuern zahlen, wo sie arbeiten", sagte der Finanzminister.
Draußen vor der Tür laufen Polizisten Patrouille. Australien hat die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Etwa 1000 Sicherheitskräfte sind vor Ort. Die Angst vor Terroranschlägen ist gewachsen. In den Großstädten Sydney und Brisbane haben Polizisten Wohnungen durchsucht und Indizien gefunden, dass australische Islamisten Entführungen und Anschläge im Land planen. Die Polizei warnt. Mancher fürchtet Terroristen von außerhalb, doch die Stadtpolitiker in Cairns verweisen darauf, dass Australiens Grenze ja "glücklicherweise" weit weg von allem anderen sei.
Europa stagniert, die USA erholen sich nur langsam, die Schwellenländer fürchten einen ökonomischen Rückschlag. Die Weltwirtschaft ist auch sieben Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise noch schwach. Die Chefin der amerikanischen Zentralbank Federal Reserve, Janet Yellen, nennt die Lage im Euroraum ein "Risiko" für die weltweite Konjunktur. Ähnlich sieht es der Internationale Währungsfonds (IWF): Es sei zu erwarten, dass die Konjunkturerholung weltweit bis zum Jahresende und 2015 wieder etwas an Fahrt aufnehme, allerdings weniger als noch im Frühjahr prognostiziert. Der IWF glaubt, dass der ohnehin schleppende Aufschwung im Euro-Raum ganz erlahmt. Insgesamt seien die Risiken für die globale Wirtschaft gestiegen, etwa durch die Ukraine-Krise.
Schäuble verbittet sich Vorwürfe wegen deutscher Stärke
Es steht also einiges auf dem Spiel. Gut möglich, dass die G20-Gespräche am Samstag und Sonntag konstruktiv verlaufen und konkrete Schritte vereinbart werden, die dann beim Abschlussgipfel der G20 Staats- und Regierungschefs Mitte November in Brisbane abgesegnet werden. Beim Thema Finanzmarktregulierung sind die Regierungen dem Vernehmen nach ein gutes Stück vorangekommen. Künftig sollen Banken mehr Sicherheitspolster vorhalten, um einer künftigen Krise besser standhalten zu können. Steht ein Institut vor der Insolvenz, sollen nicht nur die Aktionäre, sondern auch bestimmte Gläubiger der Bank mit ihrem Geld haften. Die G20 arbeiten auch daran, den Schattenbankensektor und den Handel mit Derivaten stärker zu überwachen.
Gut möglich aber auch, dass es wieder zum Fingerhakeln zwischen den Kontinenten kommt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble möchte sich jedenfalls nicht mehr für die hohen deutschen Überschüsse verteidigen. "Bei sorgfältiger Prüfung halte ich diese Kritik nicht für in sich begründet und logisch", sagte er. "Wenn man glaubt, die eigenen Probleme liegen in der Stärke der anderen, ist man auf dem Holzweg."
Australien steht selbst auch vor einem Umbruch. Der Preisverfall bei Rohstoffen trifft die Wirtschaft hart. Eisenerz ist neben Kohle und Gas wichtigstes Exportgut, sein Preis ist seit Jahresanfang um etwa 40 Prozent gefallen. Die Regierung möchte Sozialausgaben kürzen, mehr investieren und in einigen Jahren wieder mehr einnehmen als ausgeben. "Wir wollen anfangen, unsere Staatsschulden zurückzuzahlen", sagte Finanzminister Hockey. Dabei beträgt die Schuldenlast des Landes vergleichsweise niedrige 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - bei den Gästen aus der Euro-Zone ist es fast das Fünffache.