G 7:Alarm in Shanghai

Key Speakers At Day Two Of The Institute of International Finance G20 Conference

Geldpolitik ersetzt keine Regierungspolitik, sagt Christine Lagarde.

(Foto: Qilai Shen/Bloomberg)

IWF-Chefin Lagarde warnt Teilnehmer des vertraulichen Treffens davor, Reformen aufzuschieben. Regierungen müssten geeignete Maßnahmen durchsetzen, sonst werde die Politik des billigen Geldes wirkungslos.

Von Cerstin Gammelin, Shanghai

Der Ort einer Veranstaltung beeinflusst dessen Teilnehmer nachhaltig. Hätte es eines neuen Beweises dafür bedurft, hat ihn das Treffen der G-20-Finanzminister und -Notenbankchefs in Shanghai in beeindruckender Manier geliefert. Normalerweise regt sich die westliche Weltgemeinde darüber auf, dass in China die Freiheit dort endet, wo sie die Macht der Regierenden bedroht. Vor Kurzem verbot etwa Peking den Medien in der Provinz Guangdong, nach einem tödlichen Unfall mit einem Testwagen über mögliche Designfehler des E-Autos zu berichten. Oder: Ein Reporter, der schrieb, eine Finanzfirma habe zu Aktienverkäufen geraten, musste 23 000 Dollar Geldstrafe zahlen. Grundsätzlich erinnert die Regierung Reporter regelmäßig daran, dass sie verpflichtet seien, Partei und Land zu nutzen.

Nicht, dass die chinesische Regierung auch der globalen Gemeinde der G-20 einen Maulkorb verpasst hätte, die sich vergangenen Freitag und Samstag traf. Das taten die Teilnehmer gewissermaßen selbst. Sie versicherten unisono, dass eine globale Krise nicht in Sicht sei. Gastgeber China wachse zwar nur einstellig, aber das sei normal in einem Land, das sich vom Schwellen- zum Industrieland entwickle, konsolidiere und auf Binnennachfrage setze. Sicher, auch die Weltwirtschaft wachse langsamer als prognostiziert, geopolitische Krisen nähmen zu, das Kapital sei volatil und die hohe, zunehmende Zahl von Flüchtlingen besorgniserregend. Aber eine globale Wirtschaftskrise oder eine des Finanzsektors, die sei nicht zu erkennen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte, es habe "eine breite Übereinstimmung unter den Kollegen gegeben", dass die reale Lage und die grundlegenden Wirtschaftsdaten besser seien als es scheine. Und Bundesbank-Präsident Jens Weidmann assistierte: "Die konjunkturelle Lage ist besser als ihr Ruf".

Was man gerne glauben würde, wären da nicht Nachrichten aus den vertraulichen Runden nach außen gedrungen, die am Rande des G-20-Treffens stattfanden und der eigentliche Grund sind, warum Finanzminister für 36 Stunden um die halbe Welt reisen. Der Umstand, dass die gemeinsame G-20-Runde nur den Rahmen gibt für die vertraulichen Gespräche, die Mitglieder am Rande führen und in denen Klartext gesprochen wird, zieht diverse Kuriositäten nach sich. Etwa die, dass die Abschlusserklärung des G-20-Gipfels schon 24 Stunden vor Beginn des Treffens fertig geschrieben war. Keine einzige strittige Passage gab es, nichts, was auf Chefebene geklärt werden musste. Schäuble fühlte sich veranlasst zu erklären, dass die Tatsache, dass die Abschlusserklärung schon gut einen Tag vorher fertig gewesen sei, von guter Arbeit zeuge. Überhaupt hätten die Chinesen alles bestens organisiert.

Vielleicht wollten die Finanzminister auch einfach mal gute Nachrichten verkünden - und deshalb nicht offen über Sorgen reden, die sie umtreiben. Ein Teilnehmer des streng vertraulichen G-7-Treffens, das am frühen Samstagmorgen stattfand, berichtet, dass Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, regelrecht Alarm geschlagen habe: Die extrem lockere Geldpolitik der vergangenen Jahre werde wirkungslos, wenn Regierungen sie nicht durch strukturelle Reformen und fiskalische Maßnahmen unterstützten. Hintergrund ist, dass die Notenbanken seit Jahren die Zinsen niedrig halten und Geld in den Markt pumpen. Unternehmen sollen Investitionen vorziehen und dafür zinsgünstige Kredite bekommen. Die Notenbanken verschaffen den Regierungen so Zeit, strukturelle Reformen durchzuziehen, um Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen. Zugleich sollen die Regierungen selbst fiskalische Spielräume nutzen, um Investitionen zu befördern.

Das Prekäre aber ist: Die Regierungen lassen die Notenbanken allein, sie verlassen sich auf die Geldpolitik und scheuen sich, nicht-populäre Reformen durchzuziehen. Lagarde hat Alarm geschlagen, weil die Wirkung des billigen Geldes inzwischen nachlässt; trotz der Billionen geht das wirtschaftliche Wachstum weltweit zurück. Sie hat auch dafür gesorgt, dass zumindest ein Halbsatz in der Abschlusserklärung auf das Problem hinweist: "Geldpolitik allein kann nicht zu ausgewogenem Wachstum führen". Er ist besonders an die G-7-Runde gerichtet. Egal, ob Japan, die USA, Deutschland, Italien oder Frankreich - viele westliche Industriestaaten schieben seit Jahren Reformen und Investitionen auf, und damit die Verantwortung auf die Notenbanken. Schäuble deutete die Bereitschaft an, neue Strukturreformen anzugehen. "Das müssen wir mehr diskutieren", sagte er. Deutschland leide unter einer strukturellen Wachstumsschwäche, über die aber nicht geredet werde, weil viele vom Haushaltsüberschuss beeindruckt seien.

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