Fundraising der Kirchen:Dein Geld komme

Kirchenaustritte und die lahmende Konjunktur verringern die Steuereinnahmen für Kirchen. Um die Seelsorge finanzieren zu können, setzen immer mehr Gemeinden auf das amerikanische "Fundraising" — oft mit skurrilen Folgen.

Von Sebastian Jost

Leere Kirchenkassen sind anstrengend. Die Mittfünfzigerin stolpert über Wurzeln. Sie ist kurz vor dem Ziel und röchelt wie ein Blasebalg. "Super, Inge", ruft ein Mann mit Fotoapparat neben der Strecke. "Eine Runde noch." Inge stöhnt — aber sie läuft weiter.

Fundraising der Kirchen: "Fundraising" nennt der Amerikaner die Kunst, Menschen zum Spenden zu animieren. Foto: dpa

"Fundraising" nennt der Amerikaner die Kunst, Menschen zum Spenden zu animieren. Foto: dpa

Es geht nicht um Stolz. Die rennende Rentnerin schwitzt im Namen des Herrn: Sie hat sich Sponsoren gesucht, die für jede Runde ein paar Euro in den Klingelbeutel der evangelischen Gemeinde Schildgen werfen. Die meisten Geldgeber sind Privatleute aus dem Dorf bei Bergisch-Gladbach, aber auch drei Firmenteams sind am Start.

Zum Spenden animieren

Selbst Pfarrer Christoph Nötzel tauscht für den guten Zweck Talar gegen Trikot. 170 Leute liefen dieses Jahr mit, die Keuch-Kollekte brachte an die 15.000 Euro ein. Ein Grundstock für neue Fenster, Lampen und Fußböden in Gemeinderäumen.

"Die Kirche kann sich nicht mehr allein aus der Kirchensteuer finanzieren", sagt Nötzel. Deshalb brauche man neue Ideen: "Man muss ein Produkt präsentieren. Die Leute sollen Spaß daran haben, etwas abzugeben."

Bisher überließen die deutschen Kirchen das "Fundraising" eher Organisationen wie Greenpeace oder den SOS-Kinderdörfern. Doch in den vergangenen Jahren mehren sich Fundraising-Profis in Landes-kirchen und Gemeinden.

Die evangelische Landeskirche Hannover hat sich allein 40 Absolventen der berufsbegleitenden "Fundraising-Akademie" in Frankfurt gesichert. "Die Protestanten haben klar die Nase vorn", berichtet Akademieleiter Thomas Kreuzer.

Plastikjetons im Klingelbeutel

So bescherten die Protestanten im südhessischen Birkenau ihrer Gemeindekasse jüngst ein besonderes Abendmahl: Sie verkauften "Kirchenbrote" mit eingeritztem Kreuz und "Kirchenwein" mit Turm-Konterfei auf dem Etikett.

Zahlreiche Gemeinden setzen inzwischen auf "Kollektenbons": Der steuerbewusste Spender wirft nicht jeden Sonntag ein paar Münzen in den Klingelbeutel, sondern Plastikjetons, die er zuvor im Paket bei der Gemeinde gekauft hat.

Dein Geld komme

Der kleine Unterschied: Dafür gibt es eine Spendenbescheinigung. Manche Gemeinden hätten dadurch innerhalb von zwei Jahren 20 bis 30 Prozent mehr Kollekte kassiert, berichtet Rüdiger Bieber, Diplom-Fundraiser bei der evangelischen Landeskirche Hessen-Nassau.

Neue Geldquellen sind nötig, weil klassische Einnahmeströme versiegen: Kirchenaustritte und die lahme Konjunktur verringern die Steuereinnahmen, mit denen die Gemeinden bislang fast ihre gesamte Seelsorge finanzieren. Zwischen 1992 und 2003 ist das Kirchen-steueraufkommen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes preisbereinigt um 19 Prozent auf 8,5 Milliarden Euro pro Jahr gesunken.

Der Nachwuchs fehlt

Einer der Hauptgründe: Der Nachwuchs fehlt. Die evangelische Kirche verlor von 1991 bis 2002 zehn Prozent ihrer Mitglieder, die Katholiken sechs Prozent — und die Zahl der Taufen fällt kontinuierlich.

Zudem setzen Einbrüche bei der Einkommen-steuer den Kirchen zu — daran wiederum ist die Kirchensteuer gekoppelt. "Die katholischen Pfarreien müssen sich auf jeden Fall auf weiter sinkende Einnahmen einstellen", sagt Elmar Niclas, Geschäftsführer der Steuerkommission des Verbandes der Diözesen Deutschlands in Münster.

Auch evangelische Pfarrer und Landeskirchen-vertreter fürchten, dass sie in zehn Jahren bis zu einem Drittel weniger einnehmen werden als heute. Auf mancher Kanzel predigt man daher nicht nur von Nächstenliebe und Fegefeuer, sondern auch von der Kunst, aus Wasser Wein zu machen.

Durch ein Werbewunder zum Beispiel, wie an der Marienkirche in Lübeck. 2,9 Millionen Euro soll die Sanierung des Gebäudes kosten. Ein garstiges Baugerüst verstellte im Winter den Südturm — bis ein schlauer Fuchs von einer Bausparkasse kam und ein Plakat ans Gerüst hängte: 70 Meter hoch und 15 Meter breit, versehen mit dem Slogan "Werte erhalten".

Sparsamkeit allein reicht nicht

Schwäbisch Hall sponsorte den Umbau mit einem fünfstelligen Betrag und profitierte vom Werbeeffekt des größten Transparents, das je an einem sakralen Gebäude hing. Zusätzliche Einnahmen seien dringend nötig, sagt Propst Ralf Meister vom Kirchenkreis Lübeck.

Mit Sparsamkeit allein sei kaum etwas zu holen: Der Kirchenkreis habe in den letzten zwei Jahren ein Viertel seines Haushalts gestrichen. "Wir haben alle Ausgaben geprüft, bis hin zum Kaffee beim Senioren-nachmittag", sagt Meister. Die bunte Turmverhüllung habe den Kirchenoberen zwar Bauchschmerzen bereitet. Aber zum Schluss überwog die Meinung: "Wenn es unbedingt sein muss, dann ja."

Dein Geld komme

Derlei Diskussionen kennt auch Pastor Ulrich Hentschel. In seiner Gemeinde in Hamburg-Altona geht es nicht nur um Plakate, sondern um Marmorstein erschütternde Techno-Rhythmen, knapp bekleidete Frauen und Firmenmeetings — das alles in einer neugotischen Kirche.

Halbnackte Raver

Die Gemeinde teilt am Sonntag Brot und Wein dort, wo am Vorabend halbnackte Raver gezappelt haben. Denn nur noch einmal in der Woche haben die Protestanten die Kirche für sich — die restlichen sechs Tage vermietet die gemeinnützige KulturKirche Altona GmbH das Gebäude. "Sonst frisst der Unterhalt der Kirche jedes Jahr die Hälfte unseres Etats auf", sagt Pastor Hentschel.

Ein Prozent der GmbH gehört der Kirchengemeinde, der Rest der Hamburger "Benno und Inge Behrens Stiftung". Die baut Altenheime, fördert Kulturveranstaltungen in der Kirchengemeinde selbst und hilft Obdachlosen in einer Containersiedlung in Altona. Vorteil dieses Modells ist aus Hentschels Sicht der klare Schnitt zwischen Seelsorge und Vermietung:

"Wir als Gemeinde bleiben unabhängig. Wir müssen ja nicht so tun, als sei Techno jetzt auch noch was Kirchliches." 2.500 Euro Miete bringt die 600 Leute fassende Kirche freitags, an anderen Tagen 2.000 Euro. Die Gemeinde bekommt ein Viertel, vom Rest bezahlt die GmbH Heizung, Strom und Marketing. Rund 8.000 Euro blieben nach Angaben des Unternehmens 2003 für den guten Zweck übrig.

Natürlich habe es anfangs Zank gegeben in der Gemeinde, berichtet Hentschel. "Aber je frommer die Leute sind, desto weniger Probleme haben sie damit: Für die verbindet sich Gott nicht mit dem, was sonst in dem Raum passiert."

Dessous gehen zu weit

Eine Ansicht, die unter Katholiken unvorstellbar ist — und auch bei der nordelbischen Landeskirche an Grenzen stieß. Firmen-Weihnachtsfeiern und Technopartys schluckten die Oberhirten noch, eine Dessousmoden-schau ging ihnen aber zu weit: Bischöfin Maria Jepsen intervenierte, die Veranstaltung platzte.

Da hätte sie mit der Idee von Pfarrerin Dagmar Peterson wahrscheinlich weniger Probleme. In deren Gemeinde in Iggelheim in der Pfalz zerfrisst Salpetersäure die Sandsteinmauern, der Turm ist marode. 380.000 Euro kostet die Sanierung — trotz Zuschüssen von der Landeskirche übersteige das den Gemeindeetat um ein Vielfaches, sagt die Pfarrerin.

Dein Geld komme

Um an Geld zu kommen, hat sie Ende April Geld verteilt. Zehn Euro für jedes Gemeindemitglied, das den Schein annehmen wollte. Und den damit verbundenen Auftrag: Die Protestanten sollen aus diesen zehn Euro bis zum dritten Advent so viel Geld machen wie möglich.

Konfirmanden können sich davon einen Schwamm besorgen und Autos waschen. Eine Frauengruppe habe schon Wolle gekauft und stricke nun für einen Basar, erzählt Peterson. Zwar haben sich nicht viele auf das Experiment eingelassen, das die Gemeinde von einem Gleichnis im Lukas-Evangelium abgekupfert hat. Doch der Werbeeffekt sei enorm, sagt die Pfarrerin.

Man muss sich überwinden

Den nutzt sie nun: Mit Konfirmanden geht sie von Haus zu Haus und bittet um Spenden. "Das kostet schon Überwindung", sagt Peterson. "Aber man muss sich klarmachen: Man bettelt nicht für sich, es haben alle was davon." Um das zu verdeutlichen, braucht die Kirche vor allem attraktive Projekte.

"Für irgendwelche BAT-Stellen im Sekretariat bekommt man keinen Pfennig", betont Thomas Kreuzer von der Fundraising-Akademie. Neubauten, Renovierungen, Kindergärten, Kirchenmusik hießen die Zugpferde. Auch Jugendarbeit steht hoch im Kurs.

Die Gemeinde St. Matthäi in Lübeck hat es mit einem Förderverein geschafft, die Stelle eines Diakons zu retten. 40 Mitglieder haben so viel Geld gesammelt, dass der Verein die Hälfte des Gehalts bezahlen kann; den Rest stemmt die Kirchengemeinde. Der Förderverein hat sich damit zu einer Dauersammlung verpflichtet:

Bringen die Spenden nicht jeden Monat genug Geld ein, muss der Verein den Diakon feuern. Nun müssen die Förderer aber wohl bald noch lauter mit der Sammelbüchse rasseln: Weil der Kirchenkreis weiter sparen muss, bleiben demnächst drei Viertel des Diakonsalärs am Verein hängen. "Dann geraten wir an unsere Grenzen", sagt Pfarrer Johannes Ströh.

"Fundraising ist Knochenarbeit"

Denn eines haben alle neuen Finanzierungswege der Kirchengemeinden gemeinsam: Sie können die Ausfälle bei der Kirchensteuer nicht auffangen. Aber in einer Gemeinde wie Hamburg-Altona, in der man über jedes Kopiergerät diskutiere, helfe jeder Euro, meint Pfarrer Hentschel. Eine evangelische Gemeinde in Berlin-Kreuzberg deckt immerhin ein Drittel der laufenden Kosten mit Mieteinnahmen.

Doch auch dort sieht man Techno und Tanga am Taufbecken nicht als Weg zur vollen Kirchenkasse an. Der Lübecker Propst Ralf Meister hält es für möglich, dass die Gemeinden in einigen Jahren 15 bis 25 Prozent ihres Haushalts ohne Kirchensteuer decken können.

Selbst das wird anstrengend genug: "Fundraising ist Knochenarbeit", sagt Günter A. Menne, Sprecher des evangelischen Stadtkirchen-verbands Köln und Fundraising-Pionier. "Da muss man Beziehungen pflegen und die Gemeindemitglieder zu jedem Geburtstag anrufen." Und langfristig denken.

Das fehle noch so manchem Hirten, meint Menne. Er berichtet von einer Gemeinde, für die er dreißig Stunden lang über einem Fundraising-Konzept gebrütet habe. "Und dann ruft mich die Pfarrerin an und sagt: Wir brauchen kein Fundraising mehr. Wir haben geerbt."

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