Frickes Welt:Zeit für neue Glaubenssätze

Der Mindestlohn hat alles andere als jene dramatischen Folgen am Arbeitsmarkt gebracht, vor denen so viele gewarnt hatten.

Von Thomas Fricke

Wenn das Standing unserer führenden Ökonomen börsentäglich notiert würde - die ohnehin wackeligen Kurse dürften irgendwann in den vergangenen Wochen noch einmal abgesackt sein. In etwa zu der Zeit, als klar wurde, dass der Mindestlohn 2015 alles andere als jene dramatischen Folgen am Arbeitsmarkt gebracht hat, vor denen viele gewarnt hatten. Der Fehlalarm hat das Zeug, für Deutschlands Vordenker zum zweiten PR-Desaster zu werden - seit der Nichtvorhersage der Jahrhundertfinanzkrise.

Zwar haben die Prognostiker nie gesagt, dass der Arbeitsmarkt nach Einführung des Mindestlohns sofort kollabiert. Sehr viel richtiger werden die Prognosen dadurch nicht. Nach Kalkül der führenden Forschungsinstitute hätte es 2015 immerhin schon 200 000 Arbeitsplätze kosten sollen, weil viele Betriebe sich 8,50 Euro pro Stunde Arbeit nicht leisten könnten - was den Anstieg der Beschäftigung im Land auf mickrige 0,2 Prozent hätte bremsen müssen. In Wahrheit hat sich das Jobwachstum nach Einsetzen des Mindestlohns stark beschleunigt. Außerdem gab es 2015 am Ende fast 800 000 Beschäftigte mehr im Land. Eine irre Fehlprognose.

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Was die Mindestlohnskeptiker seitdem zur Erklärung anführen, macht die Sache nicht besser. Die Konjunktur sei so gut gelaufen, dass die Betriebe das verkraften konnten. Klar. Nur: Wo ist dann das Problem? Und: Hatten dieselben Sachverständigen nicht im Herbst 2014 gesagt, die Konjunktur kippe wegen des Mindestlohns? Jetzt war die Einführung nicht so schlimm, weil es mit der Konjunktur doch geklappt hat. Das wirkt wie Argumentation nach Gusto.

Noch etwas hilfloser klingt die zweite Erklärung: Es sei viel zu früh, irgendein Urteil zu fällen. Das werde sich erst über Jahre zeigen. Na ja. Klar, könnte der höhere Lohn für Billigkräfte dem einen oder anderen Betrieb in kritischerer Zeit noch einmal Probleme bereiten. Komisch nur, dass die Prognostiker vorher für 2015 schon gruselige Jobprognosen machen konnten - wenn man das gar nicht sagen kann. Nach der positiven Bilanz 2015 ist unwahrscheinlich, dass der Mindestlohn plötzlich doch einen Schock auslöst. Die Unternehmen werden sich längst arrangiert haben. Wichtiger ist, wie stark die Sätze künftig angehoben werden.

Frickes Welt

SZ-Grafik; Quelle: Bundesbank, GD Institute

Für unsere Leitökonomen hieße das, alte Modelle dringend zu überarbeiten. Offenbar funktioniert der Arbeitsmarkt doch nicht so einfach, dass die Beschäftigung prompt fällt, wenn Arbeitskosten steigen. Wie erste Detailauswertungen zeigen, sind etwa die Hälfte jener 90 000 Minijobs, die nach Einführung des Mindestlohns Anfang 2015 tatsächlich wegfielen, in ordentliche Stellen mit Sozialversicherungspflicht umgewandelt worden. Toll, oder? Das bestätigt eher jene, die vermutet hatten, dass viele Unternehmen nicht nur in Not oder bei besonderen Qualifikationsmängeln auf (subventionierte) Billigkräfte zurückgriffen, sondern diese als günstige Dauerlösung ausnutzten - obwohl sie auch mehr zahlen können. Das mag im Einzelnen nachvollziehbar sein, insgesamt ist es aber kein guter Deal. Die Wirtschaft braucht auch Leute, die genug Geld verdienen, um bei der Wirtschaft einkaufen zu gehen. Wie im Konsumjahr 2015. Dass der Markt es schon regelt, hatten die Gläubigen auch vor der Finanzkrise gedacht. Und mit dem Großbanken-Crash nicht gerechnet. Jetzt haben sie mit der Krise gerechnet, weil der Markt es so regeln sollte, zu einer Arbeitsmarktkrise ist es nicht gekommen. Zeit für neue Glaubenssätze.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Nikolaus Piper und Thomas Fricke im Wechsel.

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