Frickes Welt:100 Tage im Amt

Kurzzeitjubiläum in Athen. In den vergangenen 100 Tagen haben wir viel über Brüsseler Kabale gelernt. Besser, wir hätten etwas über die richtige Politik gelernt.

Von Thomas Fricke

Seit hundert Tagen ist die griechische Regierung aus Linken und Rechten im Amt. In dieser Zeit haben wir viel gelernt. Darüber, wie wichtig es ist, in der Euro-Gruppe eine Krawatte zu tragen; über genervte Regierungsbeamte, fehlende Reformlisten, ablaufende Rückzahlungsfristen und angeblich hochgeheime Vorbereitungen für einen Tag X. Nur eins haben wir nicht gelernt: Was die Griechen jetzt tun müssten, um möglichst schnell aus der Krise zu kommen - außer alte Vereinbarungen abzuarbeiten.

Wenn Wirtschaftswachstum von der Menge an Kürzungen und Steuererhöhungen käme, müssten die Griechen vor Aufschwung strotzen. Nach Auswertungen der Industrieländerorganisation OECD hat das Land mehr Reformen gemacht als Irland, Spanien oder Portugal: In allen neu wachsenden Ländern, die den Griechen als Inbegriff schwäbischer Hausfrauenkultur vorgehalten werden, wurden Sparauflagen öfter verfehlt, sanken die Staatsdefizite nur etwa halb so stark wie in Griechenland.

Fricke, Thomas

Jetzt haben die Griechen sicher auch mehr zu reformieren, klar. Eine weitere Erklärung könnte nur darin liegen, dass die Menge nicht entscheidend ist - im Gegenteil. Jede noch so gut gemeinte Kürzung und jede Steuererhöhung bedeuten, dass jemandem Geld weggenommen wird, das er nicht mehr ausgeben kann. Und: Wenn die Konjunktur bei allzu eifrigem Geldwegnehmen einbricht, verliert der Finanzminister Steuereinnahmen - ein Teufelskreis. Schätzungen der OECD zeigen, dass jene Länder, die sachter konsolidiert haben, jetzt auch solider wachsen. Und umgekehrt. Was auch daran liegt, dass bei besonders rabiatem Kürzen jene Investitionen etwa in der Forschung gekappt werden, die ökonomisch wichtig sind.

Das ist kein Freischein, nichts mehr zu machen. Es kommt nur ganz offenbar auf die Dosierung, den Zeitpunkt und die richtigen Mittel für jedes Land an. Lohnverzicht mag im strukturell exportstarken Irland schnell für höhere Ausfuhren sorgen. In Griechenland ist das relativ mühselig, schon weil die Wirtschaft geografisch mehr vom Binnenmarkt lebt. Die Inseln halt. OECD-Ökonomen haben in neueren Studien auszuloten versucht, welche Maßnahmen den geringsten Schaden bei denkbar größter Entlastung der Staatsfinanzen mit sich bringen. Investitionen zu kürzen oder Konsumsteuern zu erhöhen bringt wenig und schadet viel. Umgekehrt kann es lohnen, das Renteneintrittsalter zu erhöhen, da so etwas langfristig entlastet, ohne in akut kritischer Zeit die Einkommen zu belasten. Und: Der beste Mix ist, wenn es daneben gezielte Investitionen gibt, die negative konjunkturelle Folgen der Konsolidierung abfedern und langfristig nutzen. Das Drama ist, dass die Griechen immer noch eher zum Gegenteil gedrängt werden. Was aber bringt es, Mehrwertsteuern zu erhöhen, wenn das Land über niedrigere Preise versucht, Touristen anzulocken? Oder bei Massenarbeitslosigkeit den Kündigungsschutz abzubauen?

20

Prozent, auf so viel Lohn haben die Griechen binnen fünf Jahren verzichtet, ihren Konsum haben sie sogar um ein Viertel gekürzt. Die Staatsausgaben sanken um ein Drittel. Und gemessen an den Lohnkosten hat sich die Wettbewerbsposition um 25 Prozent verbessert, mehr als in Irland. Nur genutzt hat es bislang wenig. Das lässt zweifeln, ob derart rabiate Programme helfen.

Was das Land braucht, ist ein Neustart nach Auslaufen des alten Programms Ende Juni. Die Zeit bis dahin sollten die Beteiligten nutzen, um gewissenhaft checken zu lassen, welche Maßnahmen den größten Aufschwungeffekt hätten - und welche nur dazu da wären, die Kürzungskeule zu schwingen. Austerität für Neandertaler. Auch Kürzen kann Kunst sein.

Je schneller die griechische Wirtschaft wächst, desto mehr von unserem Geld werden wir wiedersehen. Desto weniger müssen wir uns mit der Kleiderordnung von Finanzministern beschäftigen.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Thomas Fricke und Nikolaus Piper im Wechsel.

Mehr von Thomas Fricke
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: