Frickes Welt:Klassensprecher ohne Mehrheit

Notenbankpolitik, Austerität, Reichtumsgefälle: Es sind wichtige Fragen, über die Deutschland diskutiert. Das Problem: Die Meinungsführer sind seit Jahren dieselben. Und sie vertreten offenbar nicht die Mehrheit.

Von Thomas Fricke

Wenn man die Umfrage unter Deutschlands Ökonomen auf einen Satz bringt, könnte es dieser sein: Die sind ja gar nicht so! Nicht so, wie wir das von Hans-Werner Sinn und anderen gewohnt sind, die mittwochs auf Anne Will einreden. Oder sonntags auf Herrn Jauch. Von wegen. Die Mehrheit der gut 1000 Wirtschaftswissenschaftler sagt zu Krisenmanagement und Mindestlöhnen oft sogar das Gegenteil von dem, was uns jene auserwählten Instituts-Chefs, Wirtschaftsweisen und Bundesbankpräsidenten predigen, die Deutschlands wirtschaftspolitische Debatten seit Jahren anführen, mit viel Liebe zur Orthodoxie. Da stimmt etwas nicht.

Die Meinungsführer sind dagegen, dass Europas Notenbank Staatsanleihen kauft, damit die Inflationsrate nicht weiter sinkt. Das ist richtig, sagen wiederum mehr als 50 Prozent der Kollegen. Die Sachverständigen wollen mehr Austerität. Es ist schon jetzt zu viel gekürzt worden in den Staatshaushalten, sagen 40 Prozent. Die Wortführer sind gegen den Mindestlohn, aber die Mehrheit hat damit per se kein Problem. Die Anführer verteidigen Deutschlands Exportüberschüsse gegen alle Kritik und halten die Aufregung um das steigende Reichtumsgefälle für übertrieben. Ähnliches Muster: Die Mehrheit sieht auch das weniger streng.

Nun kann sein, dass Hans-Werner Sinn und die anderen Klassensprecher es einfach besser wissen. Erkenntnisgewinn ist, klar, auch keine Mehrheitsveranstaltung. Nur kriegen Deutschlands prominenteste Ökonomielehrer seit Jahren auch international heftig Kontra. Amerikaner wie Briten geben sich in der Krise pragmatisch. Bundesbankchefs sitzen in Notenbanksitzungen mittlerweile ziemlich allein mit ihren Positionen. Da stimmt vielleicht bei uns etwas nicht. Natürlich musste eine Notenbank früher keine Staatsanleihen kaufen, in Panikzeiten kann das aber nötig sein. Da hilft es wenig, stoisch auf Regeln aus Schönwetterzeiten zu verweisen. Es braucht stattdessen neue Antworten aus der Ökonomie.

Ein deutsches Problem könnte sein, dass bei uns ein paar wenige Einrichtungen quasi per Amt einen ziemlich großen Teil der Debatte bestimmen. Und dass das Personal nicht so furchtbar oft erneuert wird. Es gibt Institutschefs und Sachverständige, die ganze Jahrzehnte vordenken dürfen. Da war der heutige Bundesbankchef mal Generalsekretär im Sachverständigenrat, zwischendurch war er bei Frau Merkel, davor Student bei Axel Weber, der wiederum früher einmal im Sachverständigenrat war, bevor er, na ja, Bundesbankchef wurde.

Die Bundesregierung hat derweil gerade die Amtszeit des Ratschefs verlängert, der seit 13 Jahren ohnehin schon eines der wichtigsten Forschungsinstitute leitet. Als gäbe es im Land nicht noch ein paar Tausend aktive Ökonomen. Stattdessen setzt die Regierung auf Positionen, die allmählich exotisch anzumuten beginnen. Sie sind international wie hierzulande, wie sich jetzt zeigt, nicht mehr mehrheitsfähig.

Vielleicht deutet sich in den weit bunteren Umfrageergebnissen an, dass die Basis da viel offener ist, jenseits der alten Ideologiegrenzen. Das zeigt sich auch schon in der Praxis: Auf manchem Chefposten der Institute sitzen bereits oder bald jüngere Kollegen, die sich weniger päpstlich geben. Nötig wäre in den Wirtschaftswissenschaften noch viel mehr von dem Wettbewerb, den die Ökonomen anderen so gern empfehlen. Und vielleicht auch mehr Praxistests. In den USA gehen renommierte Wissenschaftler nur für wenige Jahre in den Council of Economic Advisors des Präsidenten. Danach kehren sie wieder an die Universität zurück. Das allein ist natürlich kein Wundermittel, und es ist auch nur ein Beispiel. Es hat aber den Vorzug, dass es nicht so oft dieselben sind, die die Debatte bestimmen. Die Chancen auf neues Ideengut ist umso größer.

Die Kolumne "Frickes Welt" erscheint alle zwei Wochen, am Freitag, im SZ-Wirtschaftsteil.

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