Frickes Welt:Abschied vom Markt

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Thomas Fricke kommentiert die Wirtschaft im Wechsel mit Nikolaus Piper. Heute: Abschied vom Markt als Wundermittel.

Von thomas fricke

In Kürze wird es acht Jahre her sein, dass im Frühsommer 2007 die Jahrhundert-Finanzkrise ihren Lauf nahm. Noch immer scheint umstritten, welche große Lehre aus dem großen Debakel zu ziehen ist. Nur eins wird zunehmend klar: dass das simple alte Leitmotiv nicht mehr zieht, wonach es für alle Leiden ein Pauschalrezept gibt - den Markt. So wie es das Gros der Wirtschaftsweisen über Jahrzehnte gepredigt haben.

Wenn das so einfach wäre, hätte es die Krise gar nicht geben dürfen. Bei allem Unmut über unsinnige Bürokratie: So viel Markt, wie es ihn weltweit vor dem Debakel gab, hat es in fast hundert Jahren zuvor nicht gegeben. Seit den 80ern sind Finanzmärkte liberalisiert, Kapitalkontrollen abgeschafft, Zölle gekappt und Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt in fast jedem Industrieland abgebaut worden. Überall sanken Spitzen- und Unternehmensteuersätze. Es folgte eine Freihandelszone der anderen. Nie zuvor konnten die Europäer in einem Binnenmarkt so frei handeln. Nie zuvor konnte auch im Sekundentakt so viele Geld bewegt werden.

Nach Lehrbuch hätte all das Wachstumswunder auslösen müssen, die auf Dauer allen zugutekommen. Hätte. Tatsächlich ist die wirtschaftliche Leistung in den Jahren nach 1980 im weltweiten Schnitt weniger gewachsen als in den Jahrzehnten davor. Kein Produktivitätswunder. Und was an Wohlstand geschaffen wurde, kam auch nicht bei allen an. Nie zuvor sind Einkommen und Vermögen so auseinandergedriftet - gerade dort, wo die Märkte am freiesten waren: In den USA verdient die untere Hälfte der Einkommensempfänger heute nicht mehr als vor 30 Jahren.

Zur bitteren Seite der Bilanz gehört, dass es seit 1980 mehr Finanzblasen und Crashs gegeben hat als in allen Jahrzehnten seit der Depression der 30er-Jahre. Und dass Privatleute in der neuen Finanzwelt verleitet wurden, sich zu überschulden. Und dass die Marktkräfte den Klimawandel eher verstärkt statt wegreguliert haben. Dazu gehört auch eine Jahrhundert-Finanzkrise, die Staatsschulden hochschnellen ließ. Und eine Nullzinspolitik, die zwar nötig war, um nach dem Platzen der Blase eine Depression zu vermeiden, aber auch neue Blasen mit sich zu bringen droht - und die Sparer heute für die irre Spekulation der Vorjahre zahlen lässt.

All das ist kein Grund, gleich den Kapitalismus abzuschaffen. Unsinn. Dafür gibt es zu viele Märkte, die funktionieren. Nur hat sich eben auch gezeigt, welche Desaster ein naiver Glaube in die Märkte bewirken kann. Ein Paradigma, das über Jahrzehnte daran scheitert, einen Großteil der Leute am Fortschritt teilhaben zu lassen, hat ein Legitimitätsproblem. Es ist höchste Zeit, auch wenn es eine Menge Positives gebracht hat, andere Rezepte zu entwickeln - für eine neu definierte Marktwirtschaft, die reale Wirtschaftsleistung stärker belohnt als Finanzakrobatik, Fortschritt nicht durch Niedriglöhne und Unsicherheit zu schaffen versucht, und Investitionen in die Zukunft animiert.

Dafür gilt es, neu zu analysieren, wo Märkte helfen - und wo sie mehr schaden. Es spricht viel dafür, Banken wieder so stark zu regulieren wie früher. Anderswo wird es lohnen, viel mehr zu deregulieren. Nur hilft da eben das alte Pauschalrezept nicht mehr, so praktisch der Reflex auch gewesen sein mag. Die Alternative ist das, was wir derzeit beobachten: dass Politiker unter akutem Druck nachlassender Legitimität ökonomisch halb durchdachte Mindestlöhne und Mütterrenten beschließen. Höchste Zeit für ein neues Paradigma.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Thomas Fricke und Nikolaus Piper im Wechsel.

Thomas Fricke bloggt unter neuewirtschaftswunder.de.

© SZ vom 17.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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