Freihandelsabkommen:Vorhang auf für den zweiten Akt

The Port Of Los Angeles As Obama Fast-Track Trade Plan Heading To Narrow House Vote

Noch nicht am Ziel, ein chinesisches Frachtschiff vor Kalifornien - die weiteren Gespräche über das Wirtschaftsabkommen TPP sind keineswegs nur noch Formsache.

(Foto: Patrick T. Fallon / Bloomberg)
  • Die Verhandlungen zum Handelsabkommen TTP zwischen den USA und Pazifikanreinern könnten noch dieses Jahr abgeschlossen werden.
  • Die Republikaner haben durchgesetzt, dass bestimmte Themen ausgespart werden müssen. Zum Beispiel: Klimaschutz oder Einwanderungsregeln.
  • Befürwörter in den USA hoffen auf einen Boom in der Landwirtschafts- und Autoindustrie.
  • Kritiker befürchten den Abbau von Sozial- und Umweltstandards, vor allem aber Jobverluste.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Als das Ergebnis der Senatsabstimmung am späten Mittwochabend von Washington aus um die Welt ging, da hatte es für einen Moment den Anschein, als sei tatsächlich etwas Großes geschehen. Von einem "Durchbruch" war in den Agenturmeldungen die Rede, von einem "starken Mandat" für Präsident Barack Obama.

Und davon, dass eine große Hürde für den Abschluss der beiden wichtigsten Handelsverträge des Jahrzehnts aus dem Weg geräumt sei. Beinahe klang es, als seien die weiteren Gespräche über das transpazifische Wirtschaftsabkommen TPP zwischen zwölf amerikanischen und asiatischen Staaten sowie über das transatlantische Pendant TTIP zwischen den USA und der Europäischen Union nur noch Formsache.

Senat verzichtet auf Rosinenpicker-Recht

Richtig ist: Durch den Beschluss des Senats, Obama mit der sogenannten Trade Promotion Authority auszustatten, hat der Präsident für die Verhandlungen mit den Partnern in Ost und West erstmals freie Hand. Bisher nämlich hatte sich der Kongress das Recht vorbehalten, jeden Vertrag wieder aufzuschnüren, missliebige Paragrafen zu streichen und neue einzufügen.

Kein Land der Welt war unter diesen Umständen zu einem Abkommen mit den Amerikanern bereit. Nun also verzichtet der Senat auf dieses Rosinenpicker-Recht. Stattdessen können beide Parlamentskammern die Handelsverträge am Ende nur in Gänze billigen - oder ablehnen. Das Mandat des Präsidenten gilt für sechs Jahre, es könnte also auch von Obamas Nachfolger oder Nachfolgerin genutzt werden.

Was in vielen überschwänglichen Meldungen von Mittwochabend jedoch fehlte, war der Hinweis, dass Obama inhaltlich noch rein gar nichts erreicht hat. Im Gegenteil. "Es wäre ein großer Fehler zu glauben, jetzt stünde ein einfacher Siegeszug an", sagte Gary Hufbauer vom Peterson Institute für Internationale Wirtschaft. Die Entscheidung des Senats sei nicht mehr als "das Vorspiel für Akt Zwei des Dramas".

Die Regel "Mehr Wohlstand durch Handel" gilt nicht im Einzelfall

Ziel beider Handelsverträge ist es, wirtschaftliche Barrieren wie Zölle abzubauen und technische Standards anzugleichen, um ausländischen Firmen den Marktzugang zu erleichtern. Dahinter steckt der Gedanke, dass ein Mehr an Handel auch zu einem Mehr an Wohlstand führt. Allerdings gilt diese Formel nur im Allgemeinen, nicht aber notwendigerweise im Einzelfall: So ist denkbar, dass in einzelnen Ländern etwa Sozialstandards gesenkt werden oder Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren.

Während die Verhandlungen über den amerikanisch-asiatischen Vertrag TTP womöglich noch dieses Jahr abgeschlossen werden, wird das amerikanisch-europäische Gegenstück wohl nicht mehr in Obamas bis Januar 2017 dauernder Amtszeit ratifiziert werden. Hier stocken die Gespräche seit Monaten, auch wegen des teils großen öffentlichen Widerstands in Europa. Eine Vereinbarung der Pazifik-Anrainer würde die Europäer jedoch unter Druck setzen, denn ohne TTIP bestünde die Gefahr, dass die technischen, aber auch die sozialen und ökologischen Grundregeln der Weltwirtschaft künftig von anderen bestimmt oder zumindest geprägt würden.

Allerdings sind auch bei TPP noch jede Menge Fragen offen. So wollen etwa Japan und Kanada ihrer Agrarmärkte nicht so weit öffnen, wie andere Staaten das gerne hätten. Umstritten ist auch, wie lange neue Medikamente Patentschutz genießen sollen, welche Rechte Arbeiter in vietnamesischen Staatsbetrieben künftig haben und wie der peruanische Regenwald verwaltet werden soll. Neben den erwähnten Ländern sind Mexiko, Chile, Malaysia, Australien, Neuseeland, Singapur und Brunei an den Verhandlungen beteiligt.

Kritik von links und rechts

Zu den inhaltlichen Problemen kommt, dass mit der Entscheidung des US-Senats zwar Hürden beseitigt, aber auch neue geschaffen wurden. So setzten die Republikaner durch, dass Handelsverträge keinerlei neue Klimaschutz-Verpflichtungen für die USA enthalten dürfen. Auch Bestimmungen zur Lockerung der Einwanderungs- und Visa-Regeln sind unzulässig. Zudem darf der Präsident einen fertig ausgehandelten Vertrag zwei Monate lang nicht unterzeichnen, bis zur Beratung im Kongress müssen weitere zwei Monate vergehen.

Damit droht das Thema in den US-Präsidentschaftswahlkampf hineingezogen zu werden. Vor allem Kandidaten von ganz rechts und ganz links könnten einzelne missliebige Punkte herausgreifen, um sie propagandistisch auszuschlachten. Dies fiele wohl auf durchaus fruchtbaren Boden, denn anders als in Europa häufig angenommen wird, sind die geplanten Handelsabkommen auch in den USA umstritten.

Die schärfsten Einwände kommen vom linken Flügel der Demokraten, von Gewerkschaften, Umweltgruppen und Verbraucherschützern, aber auch von Politikern der rechtskonservativen Tea Party. Befürchtet werden unter anderem die Aufweichung von Sozial- und Umweltstandards, höhere Arzneimittelpreise für Arme, vor allem aber der Verlust von Arbeitsplätzen.

Gegner setzen auf inhaltliche Konfrontation

Selbst Befürworter des Pazifik-Abkommens TPP in den USA bestreiten nicht, dass bei einem Abschluss einfache Jobs ins billigere Ausland verlagert werden und US-Löhne unter Druck geraten könnten. Sie setzen jedoch darauf, dass durch die Erschließung zusätzlicher Märkte für US-Firmen umgekehrt noch mehr neue Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten entstehen. Vor allem die amerikanische Landwirtschafts- und die Autoindustrie hoffen auf einen Boom, wenn sich der asiatische und später auch der europäische Markt stärker für sie öffnet. Die Filmindustrie setzt auf einen besseren Schutz geistigen Eigentums, die IT-Branche auf einen ungehinderten Datenfluss. Umgekehrt haben viele kleine und mittlere US-Betriebe auch Angst vor einer Verschärfung des Wettbewerbs.

Nach dem gescheiterten Versuch, TPP und TTIP durch bürokratische Hemmnisse zu torpedieren, setzen Obamas Gegner im Kongress nun voll auf die inhaltliche Konfrontation: "Ich werde noch härter als bisher dafür arbeiten, eine echte inhaltliche Auseinandersetzung über diese Fragen in Gang zu bringen", sagte Sander Levin, ein führender Abgeordneter der Demokraten im Repräsentantenhaus. Der Senatsbeschluss sei nicht das Ende der Diskussion, sondern erst ihr Anfang.

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