Freihandelsabkommen TTIP:Europa macht sich klein

Die Kritik an TTIP ist massiv. Doch es wäre bedauerlich, wenn das Handelsabkommen zu Fall käme. Die Europäer sollten nicht Amerika als ihren Gegner sehen. Sondern ihre Regierungen, die es nicht schaffen, die Interessen ihrer Bürger zu bündeln.

Ein Kommentar von Karl-Heinz Büschemann

Jetzt meldet sich auch noch die IG Metall Niedersachsen zu Wort: Das geplante Handelsabkommen zwischen den USA und Europa werde soziale Standards aufweichen und darum auf "erbitterten Widerstand" stoßen. Davor warnten die Theaterintendanten. Sie bangen um die Subventionen für die Kultur, wenn das im Fachjargon TTIP genannte Abkommen beschlossen wird. Die Organisation Attac fürchtet, TTIP könne dafür sorgen, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge soziale und ökologische Aspekte "nur noch sehr eingeschränkt" berücksichtigt werden.

Inzwischen fühlen sich zahllose Kritiker aufgerufen, vor den schrecklichen TTIP-Folgen für Europa zu warnen. Die Spannweite reicht von der konkreten Ablehnung genveränderter Lebensmittel in Europas Supermärkten bis zur pauschalen Furcht vor der ungezügelten Verbreitung des amerikanischen Kapitalismus auf dem alten Kontinent als Folge des Abbaus der Handelshemmnisse. Das geplante transatlantische Freihandelsabkommen ist praktisch zum Abschuss freigegeben.

Richtig ist, dass der geplante Regelrahmen für freieren Handel manches enthält, was nicht kommen sollte. Im Datenschutz drohen Gefahren, manche halten den Rechtsstaat für gefährdet, wenn Entscheidungen über grenzübergreifende Investitionen bei Schiedsgerichten und nicht mehr bei ordentlichen Gerichten liegen. Solche Fragen müssen diskutiert werden.

TTIP wird für alles verantwortlich gemacht, was schieflaufen könnte

Aber erstaunlich ist, dass das geplante Abkommen praktisch für alles verantwortlich gemacht wird, was in der europäischen Wirtschaft künftig schieflaufen könnte. Amerika wird zum Dämonen gemacht, der nichts anderes im Sinn hat, als Unglück über Europa zu bringen. Das ist unverhältnismäßig.

Zur Wahrheit gehört, dass Amerika in jüngerer Zeit eine kaum glaubliche Rücksichtslosigkeit gegenüber seinen europäischen Partnern an den Tag gelegt hat. Die Exzesse der NSA beim Absaugen von Daten in Europa haben das Misstrauen gegenüber der führenden Wirtschaftsmacht geschürt. Mit unfassbarer Ignoranz haben die Amerikaner dem transatlantischen Verhältnis geschadet und die ablehnenden Reaktionen am Handelsabkommen befördert. Auch das ist unverhältnismäßig.

Die EU muss machtvoller auftreten

Amerika kann Europa keine Handelsbedingungen einfach diktieren, und die Europäer sollten sich klarmachen, dass sie den USA nicht hilflos gegenüberstehen. Sie müssen nicht alles schlucken, was Washington oder US-Konzerne sich ausdenken. Europa scheint vergessen zu haben, dass es selbst eine Macht sein könnte. Die EU hat mehr Einwohner als die USA. Das Sozialprodukt der Gemeinschaft ist genauso groß wie das der Vereinigten Staaten. Um die Leistungsfähigkeit ihrer Industrie werden die Europäer von den Amerikanern beneidet. Es gibt wirtschaftlich keinen Grund, sich gegenüber den Amerikanern machtlos zu fühlen.

Die EU muss aber machtvoller auftreten. Stattdessen stellt sich Europa noch immer so dar, wie es den Regierungen in Berlin, Paris oder London am besten gefällt: als eine Sammlung von 28 Einzelstaaten, in denen die nationalen Regierungen wichtiger sind als die Institutionen der EU. Die Europäische Union ist ein riesiger Markt, aber sie ist keine Macht, die ihre Interessen in der globalisierten Welt auch selbstbewusst vertritt. Deshalb fürchten viele Menschen in Europa, von den Amerikanern untergebuttert zu werden.

Die Zurückhaltung Europas ist umso schädlicher, als Amerika keineswegs wild entschlossen ist, den Europäern ein Handelsabkommen vorzuschreiben. Auch in den superkapitalistischen USA gibt es national orientierte Kräfte, die freien Handel mit der Welt nicht wollen und vor der Liberalisierung des transatlantischen Handels warnen. Viele Amerikaner haben schon das vor zwei Jahrzehnten abgeschlossene Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) mit Mexiko und Kanada kritisch gesehen. Sie fürchteten das Abwandern von US-Jobs nach Mexiko. Barack Obama hat als Präsidentschaftskandidat noch 2007 den freien Handel mit seinen Nachbarn als "einen Fehler" bezeichnet. Amerika ist keineswegs der Treiber des freien Welthandels. Es gibt daher keinen Grund für die Europäer, sich deshalb vor Amerika kleinzumachen.

Es wäre bedauerlich, wenn die inzwischen massive Kritik am TTIP das Handelsabkommen ganz zu Fall brächte. Freier Handel bringt für die Völker mehr Vorteile als Nachteile. Die Kritiker des TTIP sollten aber nicht Amerika als ihren Gegner sehen, sondern ihre nationalen Regierungen, die es nicht schaffen, die Interessen ihrer Bürger gegenüber der Großmacht Amerika zu bündeln. Die Debatte um das Handelsabkommen macht es deutlich: Das kleinteilige Europa kann in der globalisierten Welt nur verlieren.

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