Freihandelsabkommen:TTIP - das Endspiel beginnt

Freihandelsabkommen: TTIP - fast alle Einfuhrzölle auf US-Produkte sollen laut einer detaillierten Liste der EU-Kommission fallen.

TTIP - fast alle Einfuhrzölle auf US-Produkte sollen laut einer detaillierten Liste der EU-Kommission fallen.

(Foto: AFP)
  • An diesem Montag treffen sich die Unterhändler von EU und den USA zur nächsten Runde der TTIP-Gespräche.
  • Größter Streitpunkt sind die umstrittenen Schiedsgerichte. Diese will die EU-Kommission durch einen Handelsgerichtshof ersetzen.

Von Michael Bauchmüller und Alexander Mühlauer, Brüssel

Im Vokabular der Verhandler klingt alles ganz spielerisch. Demnach sind sie gerade im "middle game", dem Zwischenspiel. Was sich zwischen den USA und der EU halbwegs geräuschlos klären lässt, soll hier aus der Welt geschafft werden. Was bleibt, sind dann die großen Streitpunkte - für das Endspiel. So gesehen ist es für die Verhandler schon ein Fortschritt, dass sie sich mit den heiklen Fragen nun zumindest befassen; von diesem Montag an, in einem dieser Glasgebäude der EU-Kommission in Brüssel.

Bislang haben beide Seiten um viele Streitpunkte einen Bogen gemacht. Die Frage etwa, wie und wo Investoren von der jeweils anderen Seite des Atlantiks künftig ihre Rechte einfordern können, wenn sie sich diskriminiert fühlen. Oder aber, inwieweit öffentliche Auftraggeber künftig Unternehmen ihres Heimatlandes noch Vorrang gewähren dürfen. Die Frage des Handels mit Dienstleistungen ist umstritten, ebenso wie der Schutz geografischer Herkunftsbezeichnungen, der aus einem Schwarzwälder Schinken auch wirklich einen Schwarzwälder Schinken macht.

Die USA drängen auf ein schnelles Ende der Gespräche

All diese Fragen sollen bei der zwölften Runde auf den Tisch kommen - oder werden am Rande diskutiert. Die Zeit drängt. Mit dem Ende der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama im Winter wäre es auch um TTIP erst einmal geschehen. Bis sich eine neue Administration sortiert hat, ist es Herbst 2017. In der Zwischenzeit könnten sich auch die Kräfteverhältnisse in wichtigen EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich geändert haben.

Vor allem die amerikanische Seite drängt auf einen schnellen Abschluss der Verhandlungen. "Wir haben große Fortschritte gemacht, in den letzten sechs Monaten gab es eine deutliche Beschleunigung", lobt Michael Froman, der Handelsbeauftragte der USA. "Wir können das in diesem Jahr noch schaffen." Ohnehin habe sich an den ökonomischen Vorteilen des Abkommens nichts geändert, "und auch nicht an den strategischen, um die transatlantische Beziehung zu stärken". Das sieht auch EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström so: "Beide Seiten sind willig, einen Deal unter der Obama-Regierung zu erreichen. Aber einfach wird es nicht."

Mittlerweile gibt es für 13 der 24 Verhandlungskapitel sogenannte konsolidierte Texte. Beide Verhandlungspartner haben ihre Positionen dargelegt, sie stehen nun in blauer (für die EU) oder roter Schrift (für die USA) in den Kapiteln. Sind die Gespräche erst einmal so weit gediehen, sind Kompromisse oft nicht fern. Im Umkehrschluss aber bedeutet es: Elf Kapitel sind noch völlig offen, nicht wenige davon äußerst kompliziert.

Experten wollen den umstrittenen Investorenschutz ganz tilgen

Beispiel öffentliche Beschaffung: Wenn US-Städte den Neubau eines Kindergartens oder die Anschaffung neuer Fahrzeugparks ausschreiben, gehen sie häufig noch weit unverblümter vor als die Europäer: Wegen spezieller "Buy American"-Klauseln kaufen sie schon aus Prinzip nur amerikanische Produkte. Freier Handel hat hier keine Chance. Die EU pocht darauf, die öffentliche Beschaffung künftig auch für europäische Firmen zu öffnen, und das nicht nur in amerikanischen Städten, sondern auch bei Firmen wie der Eisenbahngesellschaft Amtrak oder der staatlichen Luftfahrtbehörde. Erstmals sollen diese Forderungen nun ausgetauscht werden. Das Problem: Viele der Klauseln sind Gesetze einzelner Bundesstaaten - und da hat die Zentralregierung in Washington wenig Einfluss. Im übrigen verweisen US-Unterhändler darauf, EU-Firmen machten schon jetzt gute Geschäfte mit der öffentlichen Hand jenseits des Atlantiks.

Beispiel regulatorische Kooperation: Auch durch leichtere Zulassungsverfahren ließe sich der Handel auf Touren bringen. Produkte, die auf der einen Seite des Atlantiks schon alle Genehmigungen haben, müssten dann auf der anderen nicht noch einmal aufwendigen Testverfahren unterzogen werden. Dazu sollen beide Seiten auch frühzeitig darüber sprechen, was sie an Regulierungen bestimmter Bereiche vorhaben. Auch das enthält Sprengkraft, denn vor allem die Europäer befürchten, die USA könnten auf diese Weise Einfluss auf staatliche Vorgaben nehmen. Das wollen sie verhindern. Erstmals wollen beide Seiten diese Woche Textvorschläge präsentieren. "Der Punkt ist lösbar", heißt es in Verhandlungskreisen.

Der Investorenschutz ist und bleibt das schwierigste Kapitel

Das lässt sich für eine andere Baustelle so nicht sagen - das "I" in TTIP, der Investorenschutz. Es ist das schwierigste und eines der emotionalsten Kapitel. Die Verhandler müssen hier festlegen, wie sich Unternehmen von der jeweils anderen Seite des Atlantiks wehren können, wenn sie gezielt diskriminiert werden. In bisherigen Handelsabkommen gab es für solche Fälle private Schiedsgerichte. Sie tagten unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die Anwälte der betroffenen Staaten und Unternehmen tauschten hier ihre Argumente aus. Nicht selten endeten solche Verfahren in einem Vergleich.

TTIP-Kritiker fürchten, dass amerikanische Unternehmen so unverhältnismäßig viel Einfluss erlangen könnten: Schon aus Angst vor milliardenschweren Klagen könnten sie auf Gesetzgebung verzichten, die US-Investoren nicht gefällt. Die EU-Kommission hat deshalb einen neuartigen Schiedsgerichtshof vorgeschlagen, der nicht nur öffentlich tagt, sondern auch mit ordentlichen Richtern. Selbst eine Berufungsinstanz sieht der Vorschlag vor. Nur halten die USA seit jeher wenig von derlei überstaatlichen Gerichten, auch an Sinn und Zweck des EU-Konstrukts hegen sie Zweifel. Kommende Woche wird erstmals darüber verhandelt.

Schon fordern Experten, dieses Thema ganz zu tilgen. "Der Investitionsschutz ist für die Europäer toxisch", sagt Sebastian Dullien, Ökonom an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. "Es gibt keinen zwingenden Grund, diesen Bereich in das Abkommen aufzunehmen." Stattdessen gefährde dieses eine Kapitel alle Handelsvorteile, die das Abkommen bringen könnte. Im deutschen Wirtschaftsministerium findet dieser Ansatz wenig Freunde. "Es darf kein TTIP light geben", sagt Matthias Machnig, zuständiger Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. "Wir brauchen ein Abkommen, das beim Investitionsschutz eine neue Architektur auf rechtsstaatlicher Grundlage festschreibt." Noch gebe es die Chance, zu einer Einigung über TTIP zu kommen, sagt Machnig. "Aber die Uhr tickt."

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