Freihandel:Abkommen zwischen EU und Japan ist längst nicht sicher

Jena-Claude Juncker, Donald Tusk, Shinzo Abe

Sie verstehen was von Symbolpolitik: Ratspräsident Donald Tusk, Japans Premier Shinzo Abe und Kommissionschef Jean-Claude Juncker.

(Foto: François Walschaerts/AP)
  • Kurz vor dem G-20-Treffen haben sich die Europäische Union und Japan scheinbar auf umfassendes Freihandelsabkommen geeinigt.
  • Interne Dokumente, die der SZ vorliegen, zeigen jedoch: In Wahrheit ist hinter den Kulissen noch vieles offen.
  • Demnach könnte das Abkommen trotz der jetzigen Übereinkunft noch scheitern.

Von Markus Balser, Berlin, und Jan Willmroth, Brüssel

Allein die Begriffe verdeutlichen, dass es längst um mehr geht als um ein Freihandelsabkommen zwischen zwei der größten Wirtschaftsmächte der Erde. Als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstag den japanischen Premier Shinzō Abe empfingen, sprachen sie nicht mehr von einem Handelsabkommen. Das Ganze heißt, auf Vorschlag der Japaner, jetzt zweigeteilt "Wirtschaftliches Partnerschaftsabkommen". Natürlich geht es dabei klassisch um den Abbau von Handelsschranken. Viel wichtiger aber ist den Beteiligten das Signal, das pünktlich zum G-20-Gipfel von diesem ein Schulterschluss ausgeht: die EU und Japan als Bollwerk gegen Protektionismus.

Tusk sagte nach Gesprächen mit Abe: "Diese Einigung betrifft nicht nur den Handel, sondern vor allen Dingen die gemeinsamen Werte unserer Gesellschaften: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte." Japans Premier sagte, man halte gemeinsam "die Fahne des Freihandels hoch". Die politische Einigung auf gute Teile des Abkommens stand zuvor bereits fest, Abes Besuch in Brüssel hatte vor allem symbolischen Charakter.

Die Partnerschaft ließe den größten Wirtschaftsraum der Welt entstehen und wäre das bislang größte jemals geschlossene Handelsabkommen. Mehr als vier Jahre haben die Parteien bisher verhandelt. In den letzten Tagen vor dem EU-Japan-Gipfeltreffen räumten sie unter Hochdruck einige strittige Punkte aus dem Weg. So einigten sie sich auf Übergangsfristen für den Abbau von Zöllen, die langfristig für 99 Prozent aller Produkte verschwinden sollen. Japan akzeptiere, dass der Einfuhrzoll auf japanische Fahrzeuge von derzeit zehn Prozent erst nach sieben Jahren komplett wegfällt, hieß es. Die EU-Kommission nehme lange Fristen für den Abbau der japanischen Agrarzölle in Kauf. Bis Ende des Jahres soll das Abkommen fertig sein und im Frühjahr 2019 in Kraft treten.

Tatsächlich ist hinter den Kulissen noch vieles offen

Doch so sehr die Spitzen beider Seiten ihre Einigkeit beschwören: Diplomatische Korrespondenz, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, verdeutlicht, wie viel hinter den Kulissen tatsächlich noch offen ist. So viel, dass es Zweifel gibt, ob das Abkommen am Ende überhaupt unterzeichnet wird. Ende Juni informierte demnach EU-Chefunterhändler Mauro Petriccione die Mitgliedsstaaten nach Gesprächen in Tokio über den letzten Stand der Verhandlungen. Er kündigte bei einem einstündigen Frühstück das am Donnerstag verkündete Abkommen "im Prinzip" bereits an. Denn Europa und Japan hätten "vor dem Hintergrund der isolationistischen US-Handelspolitik" die Bedeutung eines solchen Signals erkannt. "Der Teufel aber steckt noch im Detail", gaben deutsche Diplomaten nach Berlin weiter.

Aus der internen Kommunikation wird klar, wie Brüssel wirklich denkt. Offen sei, ob es der japanischen Regierung gelingen werde, Parlament und Öffentlichkeit vom Nutzen des Abkommens zu überzeugen, "das für einige Sektoren (vor allem Landwirtschaft, Automobile) schmerzhaft sein werde - 'Sabotage' von dieser Seite sei nicht ausgeschlossen, die Situation bleibe fragil". Eine exzessive Liberalisierung, gestand Petriccione ein, könne den Milchsektor Japans "nachhaltig beschädigen". Auch beim Automarkt sei Japan "hochnervös". Von einer Einigung sei man noch weit entfernt. Noch sei offen, ob sich Japan wirklich auf eine Liberalisierung innerhalb von sieben Jahren einlassen werde.

Das endgültige Abkommen kann immer noch scheitern

Eine grundsätzliche Einigung im Juli bedeute deshalb auch nicht, dass das endgültige Abkommen nicht danach auch noch scheitern könne, heißt es weiter. Die laut Umfragen in den vergangenen Tagen drastisch sinkende Popularität von Japans Premierminister Abe sei ein Grund für die EU, die Verhandlungen so schnell wie möglich, zu einem Abschluss bringen zu wollen. Der rechtlich verbindliche Text des Abkommens solle bis Ende des Jahres fertig sein.

Das Bundeswirtschaftsministerium lobte den Vorstoß am Donnerstag. "Ein moderndes Freihandelsabkommen EU-Japan mit hohen Standards würde die Stellung der europäischen Wirtschaft in Ostasien weiter stärken", teilte das Ministerium mit. Die Verhandlungsführung liege zwar bei der EU, hieß es daneben in Kreisen der Bundesregierung. Aber auch in Berlin sei bekannt, dass es noch offene Fragen gebe. "In Japan öffnet sich vieles", sagte dagegen ein EU-Vertreter und betonte, es bewege sich vieles in die richtige Richtung. Die Organisation Lobbycontrol forderte am Donnerstag mehr Transparenz in den Verhandlungen. Die Euphorie der Politiker und Konzernmanager in Europa und Japan verdecke, dass hinter den Kulissen um knallharte wirtschaftliche Interessen gerungen wurde, etwa beim Datenschutz, sagte Max Bank, Handelsexperte der Organisation. Da die Regierungen ähnlich wie bei Ceta und TTIP im geheimen verhandelten, habe die Öffentlichkeit keine Chance, überhaupt darüber zu diskutieren.

Die EU-Kommission hat inzwischen die Berichte aus den Verhandlungsrunden sowie Teile der Verhandlungsdokumente veröffentlicht. "Wegen des großen öffentlichen Interesses werden wir besonders transparent sein", hieß es in EU-Kreisen. Zumindest die EU-Positionen werden also bald offiziell nachzulesen sein. Ende Juni hatten Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR Einblick in Hunderte Seiten geheimer Verhandlungstexte erhalten. Die EU-Kommission hatte Zweifel zurückgewiesen, dass Umwelt- und Verbraucherschutz in dem Abkommen ausreichend berücksichtigt seien. "Die Veröffentlichungen haben daran nichts geändert", hieß es nun in Brüssel.

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