Francis Fukuyama über die USA:"Wir brauchen eine andere Kultur"

Der amerikanische Politologe Francis Fukuyama über die Finanzkrise, Bushs desaströse Wirtschaftspolitik und die künftige Rolle der USA.

Nikolaus Piper

Francis Fukuyama hat zum amtierenden US-Präsidenten eine klare Meinung: Die Wirtschaftspolitik der Ära George Bush habe in einem "Desaster" gemündet; die Außenpolitik sei "desaströs", sagt Fukuyama im SZ-Interview. Allerdings: Der Weg aus der Krise hinaus wird lange dauern, prophezeit der liberale Denker.

Francis Fukuyama über die USA: Francis Fukuyama, 55, ist Professor für internationale politische Ökonomie an der Johns-Hopkins-Universität in Washington. Weltweit bekannt wurde Fukuyama, als er 1989 nach dem Fall der Berliner Mauer in einem Aufsatz davon sprach, die liberale Demokratie sei das "Ende der Geschichte". 2006 sagte er sich in seinem Buch "Scheitert Amerika?" von der Schule der Neokonservativen in Amerika los. Den Krieg von Präsident George Bush im Irak bezeichnete er als "leninistisch". Im SZ-Interview plädiert er für eine Erneuerung des öffentlichen Sektors in den USA.

Francis Fukuyama, 55, ist Professor für internationale politische Ökonomie an der Johns-Hopkins-Universität in Washington. Weltweit bekannt wurde Fukuyama, als er 1989 nach dem Fall der Berliner Mauer in einem Aufsatz davon sprach, die liberale Demokratie sei das "Ende der Geschichte". 2006 sagte er sich in seinem Buch "Scheitert Amerika?" von der Schule der Neokonservativen in Amerika los. Den Krieg von Präsident George Bush im Irak bezeichnete er als "leninistisch". Im SZ-Interview plädiert er für eine Erneuerung des öffentlichen Sektors in den USA.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Professor Fukuyama, Amerika steckt in der schlimmsten Finanzkrise seit 80 Jahren. Was bedeutet die Krise für die Politik und für die amerikanische Gesellschaft?

Francis Fukuyama: Wir haben es mit zwei Krisen zu tun. Einmal der unmittelbare Zusammenbruch der Wall Street, zum anderen die Krise um die strukturellen globalen Ungleichgewichte, die sich im vergangenen Jahrzehnt aufgebaut haben. Ich glaube, dass die Krise tiefer geht und länger anhalten wird als frühere. Eine Ära geht zu Ende, in der Asien ein auf Dauer unhaltbares Ausgabenniveau in Amerika finanziert hat - zwei Kriege, ein riesiges Budgetdefizit, negative Ersparnisse der privaten Haushalte, entsprechend hoher Konsum. Der Übergang zu einem niedrigeren Konsumniveau wird die gesamtwirtschaftliche Nachfrage auf lange Zeit dämpfen. Daher sehe ich nicht, wie sich die Wirtschaft schnell erholen sollte.

SZ: Das jüngste Rettungspaket von Finanzminister Henry Paulson scheint aber zu wirken.

Fukuyama: Unabhängig von der kurzfristigen Stabilisierung der Märkte wird der Wachstumspfad der amerikanischen Wirtschaft flacher verlaufen. Die Generation der Baby-Boomer, die alle nicht ausreichend für das Alter gespart haben, kommt ins Rentenalter. Das wird zu einer gesellschaftlichen Krise führen. Die Erwartungen müssen sich in einem schwierigen Prozess nach unten anpassen.

SZ: Die amerikanische Gesellschaft ist auf Konsum aufgebaut. Was bedeutet diese Anpassung für die Menschen?

Fukuyama: Die Politiker müssen den Bürgern ehrlich sagen, dass sie Steuern zu zahlen haben und dass sie sparen sollten. Ich weiß nicht, ob Barack Obama dies schaffen wird, aber er ist sicher besser in der Lage, über die notwendigen Dinge zu reden.

SZ: Besser als John McCain?

Fukuyama: McCain weiß nicht, was er will. Manchmal spricht er wie ein Goldwater-Republikaner über einen Minimalstaat und immer niedrigere Steuern (Barry Goldwater war ein konservativer Senator aus Arizona, der 1964 erfolglos als Präsident kandidierte). Manchmal redet er wie Teddy Roosevelt (Präsident Theodore Roosevelt regierte von 1901 bis 1909 mit vielen Staatsinterventionen in die Wirtschaft und hatte populistische Neigungen). Täglich wechselt er vom einen zum anderen. Man kann es positiv formulieren: McCain ist pragmatisch. Weniger freundlich würde ich sagen: Ihm fehlt das fundamentale Verständnis dafür, wie die Wirtschaft funktioniert.

SZ: Nehmen wir an, Barack Obama wird Präsident und er fragt Sie, was er im Januar in seiner Antrittsrede sagen soll. Was würden Sie ihm antworten?

Fukuyama: Was mir wirklich Sorgen macht, ist der Niedergang des öffentlichen Sektors, ein Ergebnis der Steuersenkungen der Reagan-Ära. Das hat man im Irak gesehen, beim Umgang mit dem Hurrikan Katrina und man sieht es an vielen anderen Fällen, in denen die Verwaltung nicht leisten kann, was sie leisten sollte. Deshalb würde ich mir von Obama so etwas wie John F. Kennedys Antrittsrede wünschen, der seinerzeit den Dienst für die Gemeinschaft würdigte und eine Generation von Amerikanern aufrief, sich dem Staat zur Verfügung zu stellen. In den vergangenen 30 Jahren wurde das Gegenteil gepredigt: Der Staat steht der Privatinitiative nur im Wege. Wir brauchen eine andere Kultur, um den öffentlichen Sektor wieder aufzubauen.

SZ: Lag Ronald Reagan mit seinen marktwirtschaftlichen Reformen denn falsch?

Fukuyama: Nein, Reagan hatte recht. Die Menschen vergessen leicht, wie überreguliert Amerika und Europa damals waren. Der wichtigste Beitrag, den Reagan leistete, war die Liberalisierung der Arbeitsmärkte. Man kann diese Märkte so deregulieren, dass die Produktivität und die Anpassungsfähigkeit gefördert werden. Deshalb können die Vereinigten Staaten auf Schocks besser reagieren als viele europäische Staaten. Das Modell funktioniert, aber nicht in den Finanzmärkten Hier gibt es große Probleme mit der Unterregulierung.

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SZ: Was lief in der Ära George Bush falsch?

Fukuyama: Oh je, wo soll ich da anfangen? Eine desaströse Außenpolitik, das muss man gar nicht weiter ausführen. Es gibt aber noch ein anderes Thema: Die Nachlässigkeit der Republikaner mit Budgetdefiziten, wenn es um Steuersenkungen geht. Man ist eher bereit, ein Defizit bei niedrigen Steuern als einen ausgeglichenen Haushalt bei höheren Steuern zu akzeptieren. Und das hat in ein Desaster geführt. Alles wurde über Schulden finanziert. Das makroökonomische Management der Bush-Jahre war schrecklich.

SZ: Sie wussten, dass die Frage kommen würde: Sie haben nach dem Fall des Kommunismus das "Ende der Geschichte" und den Sieg der liberalen Demokratie ausgerufen. Haben Sie sich nicht furchtbar geirrt?

Fukuyama: Das ist in der Öffentlichkeit immer missverstanden worden. Das Ende der Geschichte hatte nie etwas mit dem amerikanischen Modell zu tun. Ich habe mich bei meinem Aufsatz auf den russisch-französischen Philosophen Alexandre Kojève berufen. Er war der Lehrer von Jean-Paul Sartre, Raymond Aron und einer ganzen Generation von französischen Intellektuellen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Kojève sagte einmal, das Ende der Geschichte sei mit der Schlacht von Jena 1806 gekommen, als Napoleon die preußische Monarchie besiegte und die Ideen der französischen Revolution nach Europa brachte. Die Erklärung der Menschenrechte, das ist das Ende der Geschichte.

Kojève glaubte übrigens, dass diese Prinzipien besonders gut in der Europäischen Union verwirklicht würden. Er beendete seine Karriere in den sechziger Jahren als Bürokrat in Brüssel. Tatsächlich glaube ich, dass die EU eher für das steht, was mit dem Ende der Geschichte gemeint ist. Dort wird nationale Souveränität transzendiert, Machtpolitik durch die Herrschaft des Gesetzes ersetzt. In den USA sind wir mit dem Nationalstaat noch sehr zufrieden. Wir mögen nationale Souveränität, und wir mögen das Ausüben von Macht. Man kann viele Formen einer liberalen Demokratie haben, mit mehr und mit weniger Staat.

SZ: Sollten die Amerikaner von den Europäern lernen?

Fukuyama: In Europa gibt es noch einiges zu tun im Sinne der Reformen Ronald Reagans, vor allem auf den Arbeitsmärkten. Die Europäer haben sich wegen der hohen Kosten selbst aus vielen globalen Märkten vertrieben, es fällt ihnen schwerer, sich an neue technische Bedingungen anzupassen. Bei vielen anderen Dingen sieht die Bilanz Amerikas ziemlich schlecht aus. Ein Beispiel: Wenn man an den Freihandel glaubt, sollte man nicht jeden bestehenden Job erhalten wollen, aber man muss Arbeiter so schulen, dass sie einen neuen Arbeitsplatz annehmen können, wenn ihr alter wegfällt. In Amerika geben wir viel Geld für solche Programme aus, aber mit sehr mageren Ergebnissen. Da sind die Skandinavier viel besser.

SZ: Ist das nicht weniger eine Frage der Prinzipien als der guten Regierungspraxis?

Fukuyama: Einige Gesellschaften sind besser in der Lage, eine effiziente Verwaltung hervorzubringen. Da gibt es auch in Europa riesige Unterschiede. Gehen Sie nach Neapel, da sieht es eher wie in der Dritten Welt aus mit dem großen informellen Sektor und dem fehlenden Respekt vor dem Gesetz. Manches ist einfacher in Ländern mit einer langen Tradition einer effizienten öffentlichen Verwaltung wie Deutschland, Schweden oder Großbritannien. Dort kann man Dinge machen, die in Italien, Spanien oder Portugal nicht funktionieren. Die Vereinigten Staaten liegen irgendwo dazwischen. Wir hatten immer eine gute Verwaltung, wenn wir denn eine haben wollten. Aber meist wollten wir nicht.

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SZ: Besonders groß scheint der Nachholbedarf Amerikas im Erziehungswesen und in der Infrastruktur zu sein.

Fukuyama: Die Sache mit der Bildung ist kompliziert. In der Hochschulbildung haben wir immer noch das beste System unter allen Industrieländern. Schlecht sieht es in der Primär- und der Sekundärausbildung aus, und das ist zu einem Teil Folge unzureichender Mittel. Zu einem Teil hat das aber auch damit zu tun, dass das Bildungswesen bei uns so politisiert ist. Bei Infrastrukturen ist die Sache einfacher: Da fehlt einfach das Geld.

SZ: Wie wird sich das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und deren Verbündeten nach den Wahlen entwickeln?

Fukuyama: Das hängt ein wenig von Dingen ab, die niemand unter Kontrolle hat. Seit dem 7. August (dem Krieg zwischen Georgien und Russland) wissen wir zum Beispiel, dass es ein Problem mit Russland gibt. Wenn Russland plötzlich wieder eine Bedrohung wird, sieht die Welt plötzlich anders aus. Ich denke, dass die Europäer bis auf weiteres in jeder denkbaren europäischen Krise froh sein werden, wenn sie auf die amerikanische Führung zurückgreifen können. Die Finanzkrise ist allerdings insofern interessant, als die Europäer eine gewisse Führungsstärke gezeigt haben. Das ist aber das erste Mal, bis vor kurzem sah es nicht so aus, als könne Europa das Problem seiner kollektiven Entscheidungsschwäche lösen.

SZ: Sind die Europäer zu nachgiebig Russland gegenüber?

Fukuyama: Ich denke, Angela Merkel hatte insofern recht, als sie sagte: Georgien und die Ukraine gehören nicht in die Nato, ganz einfach, weil wir die beiden Länder nicht verteidigen können. Ich mache mir überhaupt keine Illusionen über Russland, glaube allerdings nicht, dass uns ein sehr aggressives Vorgehen gegenüber dem Land weiterhilft.

SZ: Wird Amerika unter dem nächsten Präsidenten enger mit internationalen Organisationen zusammenarbeiten, den Vereinten Nationen oder dem Internationalen Währungsfonds?

Fukuyama: Sicher, das passiert ja jetzt schon. Die zweite Amtszeit von Bush unterschiedet sich in diesem Punkt komplett von der ersten. Diese ideologische Feindschaft gegenüber allen multilateralen Institutionen ist eine Sache der Vergangenheit. Und unter einem Präsidenten Obama wird sich der Trend fortsetzen. Es gibt allerdings Grenzen, zum Beispiel, wenn es um den israelisch-palästinensischen Konflikt geht.

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SZ: Werden die Vereinigten Staaten eine Nachfolgeregelung zum Kyoto-Protokoll für den Klimaschutz unterzeichnen?

Fukuyama: Ich denke ja.

SZ: Und werden die Amerikaner zustimmen, dass Aufgaben der Finanzmarktregulierung an eine internationale Institution übertragen werden?

Fukuyama: Das muss kommen. Ich glaube aber nicht, dass der IWF für diese Aufgabe gerüstet ist. Auch die G7 sind kein geeinigtes Forum. Wir wissen einfach noch nicht, wie der richtige Koordinationsmechanismus aussehen könnte. Und damit sind wir wieder beim Grundsätzlichen. Die ganzen multilateralen Institutionen hätte es nach dem Zweiten Weltkrieg ohne massiven amerikanischen Druck nicht gegeben. Die Frage ist, ob Amerika die Glaubwürdigkeit, das Ansehen, die Mittel und das Interesse hat, um diese Rolle erneut zu spielen. Die Antwort weiß ich nicht.

SZ: Was müsste geschehen, damit Sie die Frage positiv beantworten können?

Fukuyama: Sie brauchen eine richtig große Krise, um große institutionelle Änderungen durchzusetzen.

SZ: Und die haben wir ja zweifellos.

Fukuyama: Ja, und jetzt schauen Sie sich die Entwicklung von Finanzminister Henry Paulson an. Er startete als jemand, der möglichst wenig Regulierung wollte. Jetzt verstaatlicht er die Banken, weil er weiß, dass es nicht mehr anders geht. Viel hängt davon ab, wie es mit der Finanzkrise weitergeht. Sie bietet auch Reformchancen.

SZ: Und was ist mit dem Ende der Geschichte? Bringt die Krise auch Gefahren für die liberale Demokratie? Der Zusammenbruch der Wall Street ist doch Gratis-Propaganda für Hugo Chavez, der am liebsten alles verstaatlichen möchte.

Fukuyama: Natürlich ist die Lage gefährlich, denken Sie an die politischen Folgen, die die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre in Europa hatte. Die Legitimität von demokratischen Systemen hängt davon ab, dass sie in der Lage sind, einigermaßen verlässlich Prosperität und Stabilität zu liefern.

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