Für Fatih Birol ist das Ende billigen Tankens schon in Reichweite. An diesem Dienstag will der Chef der Internationalen Energie-Agentur (IEA) den neuen "Weltenergie-Ausblick" vorlegen - mitsamt dem Abschied von der "50-Dollar-Welt". Seit gut einem Jahr schweben die Industriestaaten in dieser Welt, immer kostet das Fass Öl ungefähr diesen Preis. "Ich erwarte nicht, dass eine 50-Dollar-Welt sehr wahrscheinlich ist", sagte Birol der Süddeutschen Zeitung, "nicht über einen längeren Zeitraum." Im Haupt-Szenario der IEA wird schon für 2020 ein Preis von 80 Dollar unterstellt, "mit weiteren Anstiegen danach". Das läge dann näher am Durchschnitt der vergangenen Jahre.
Grund für den Anstieg wären nach Einschätzung der Pariser Organisation vor allem nachlassende Investitionen im Ölsektor. Weil sich viele Vorhaben nicht mehr rechnen, ziehen sich Geldgeber zurück. Im laufenden Jahr sanken die Investitionen nach Erhebungen der IEA um 20 Prozent, 2016 erwarte man einen weiteren Rückgang, sagt Birol. "In 25 Jahren haben wir niemals einen Rückgang der Investitionen in zwei aufeinanderfolgenden Jahren gesehen." Werde aber weniger gefördert, werde die Menge am Weltmarkt zwangsläufig knapp - und der Preis steige. Vor allem in den USA, Mexiko und Brasilien würden Vorhaben gestrichen. Oft ist die Förderung dort, etwa in der Tiefsee, besonders aufwendig und teuer.
IEA sieht Abhängigkeit von Öl aus Nahem Osten kritisch
Sorgen macht sich die IEA nicht wegen der höheren Preise, im Gegenteil. Bleibe der Ölpreis auf dem derzeitigen Niveau, könnten auf Dauer nur Ölexporteure im Nahen und Mittleren Osten profitabel arbeiten. "Heute kommt die Hälfte unseres Öls von dort, in einer 50-Dollar-Welt wären es zwei Drittel", warnt Birol. "Angesichts der politischen Lage in der Region wäre eine solche Abhängigkeit nicht die beste Nachricht." Die IEA war 1974 gegründet worden, um die Interessen westlicher Industriestaaten und Ölnachfrager zu vertreten - als Gegengewicht zur Opec, der Organisation der erdölexportierender Staaten. Der jährliche Energie-Ausblick ist ihr Flaggschiff.
Entscheidende Signale verspricht sich nun auch Birol, seit September neuer Chef der Organisation, vom Klimagipfel in Paris. Die Konferenz, die ein neues globales Klimaabkommen schmieden soll, könne die Weichen stellen für erneuerbare Energien und mehr Effizienz. "Wenn der Energiesektor kein klares Signal bekommt, gehen die Investitionen weiter in die falsche Richtung", sagt Birol. Dann gerate auch das Ziel, die Erderwärmung bei plus zwei Grad zu stabilisieren, außer Reichweite.
Kohle wird Marktanteile verlieren
Einen Verlierer bei den fossilen Energien allerdings sieht die IEA jetzt schon: die Kohle. Sie werde in den nächsten Jahren signifikant Marktanteile verlieren, schon wegen der sinkenden Nachfrage in China. "Wenn es bei der Pariser Konferenz ein klares Signal für erneuerbare Energien gibt, wird dies die Entwicklung noch beschleunigen", sagt Birol. Angesichts wachsender Investitionen in Schwellenländern seien grüne Energien schon jetzt "der große Gewinner".
Zu ähnlichen Schlüssen für die Kohle kommt auch eine Studie ganz anderer Herkunft: von Greenpeace. Die Umweltorganisation überschlug die Nachfrage in den wichtigsten Kohleländern, allen voran China, Indien und die USA. Ergebnis: Das Jahr 2015 markiert bei der Kohle den stärksten Rückgang in der Geschichte ihrer Nutzung. Demnach sei die Nachfrage allein in den ersten neun Monaten des Jahres um 2,3 bis 4,6 Prozent schwächer als im Vorjahreszeitraum. Neue Märkte, etwa in Südostasien, hätten diesen Rückgang nicht auffangen können. Stattdessen gerate die Kohle vielerorts unter Druck - von erneuerbaren Energien.