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Forum: Heinz Grossekettler, 77, emeritierter Professor für Volkswirtschaft, lehrte bis 2007 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Forschungsgebiete sind die Finanzwissenschaft, Industrieökonomik und die Dogmengeschichte.

Heinz Grossekettler, 77, emeritierter Professor für Volkswirtschaft, lehrte bis 2007 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Forschungsgebiete sind die Finanzwissenschaft, Industrieökonomik und die Dogmengeschichte.

(Foto: oh)

Deutschland sollte in Flüchtlingsländern Lager betreiben und im Inland für ansiedlungswillige Gemeinden Prämien zahlen.

Von Heinz Grossekettler

Die deutsche Flüchtlingspolitik soll drei Hauptzielen dienen: der Reduzierung des Zustroms, der Verteilung einreise- oder aufenthaltsberechtigter Flüchtlinge und deren Integration. Hier wird erläutert, wie man vor allem die Realisation der ersten beiden Ziele aus ökonomischer Sicht verbessern könnte.

Nach einem EU-weiten Konsens soll der Flüchtlingszustrom durch eine bessere Absicherung der EU-Außengrenzen reduziert werden. Die hierfür wichtigste Grenze ist die Mittelmeerküste. Deren Schutz könnten die nationalen Grenzschutz- und die eingesetzten Marinestreitkräfte aber allenfalls dann garantieren, wenn der Europäischen Union eine intensive Luft- und Seeüberwachung ihrer gesamten Gegenküste gestattet würde.

Das Perfide ist nämlich, dass die Schleuserindustrie nur nicht-hochseetaugliche Fahrzeuge in See stechen lassen muss und unsere Marinestreitkräfte (und andere Schiffe) dann auf hoher See aus moralischen und rechtlichen Gründen dazu verpflichtet sind, die Flüchtlinge zu retten und sie bei mangelnder Aufnahmebereitschaft der Startländer in die Europäische Union zu bringen. Zu glauben, die in sich uneinige EU könne mit allen nordafrikanischen Ländern Rücknahmeabkommen wie mit der Türkei abschließen und durchführen, dürfte eine politische Illusion darstellen.

Muss Deutschland angesichts dieser Problemlage hinnehmen, dass extreme Parteien wegen des schwindenden Vertrauens in die Führungs- und Problemlösungsfähigkeit der Regierung weiterhin an Einfluss gewinnen? Nein, denn es gibt eine - auch rein national durchsetzbare - Alternativlösung: Man muss auf der Gegenküste der EU legale Möglichkeiten zum Verharren der Flüchtlinge in der Nähe ihrer jeweiligen Heimatländer schaffen und damit eine spätere Rückkehr in diese Länder oder eine geordnete Einwanderung vorbereiten.

Man könnte glauben, dass sich dies - wie auch schon vorgeschlagen - über Hilfszahlungen bewerkstelligen ließe. Wegen der leidvollen Erfahrungen mit Entwicklungshilfemaßnahmen müsste man allerdings befürchten, dass die Zahlungen zu einem nicht unerheblichen Teil zweckentfremdet würden. Deshalb sollte man so vorgehen wie Unternehmen, die der Qualität von Leistungen schwer kontrollierbarer Zulieferer misstrauen: Sie wechseln - betriebswirtschaftlich gesprochen - vom Kaufen zum Selbermachen.

Angewandt auf die Flüchtlingsproblematik würde dies bedeuten, dass in den Ländern der EU-Gegenküste Flächen für Flüchtlingslager angemietet werden, die Deutschland in nationaler Eigenregie betreibt. Natürlich hätte es dann auch die Miet- und Betriebskosten für die Lager zu übernehmen. Außerdem müsste es glaubwürdig erklären, dass es nur denjenigen Mittelmeer-Flüchtlingen eine Einwanderung nach Deutschland gestatten werde, die über diese nordafrikanischen Lager kommen und dort vorbereitet wurden.

Ein Teil der Ausbildung könnte billiger in Nordafrika erfolgen

Da die Flüchtlinge viele Arbeiten zur Lagerunterhaltung unter deutscher Überwachung in genossenschaftlicher Selbstverwaltung übernehmen könnten, dürften die Kosten auf alle Fälle geringer sein als der Schaden, der mit einer Unterminierung des Schengen-Abkommens und einer weitgehenden Aufgabe der Freizügigkeit in Europa verbunden wäre. Vielleicht würde ein solches Vorgehen Deutschlands Nachahmer finden. Wie dem auch sei: Je größer die Kapazität menschenwürdiger Flüchtlingslager auf der Gegenküste, desto geringer die Nachfrage nach Leistungen des Schleusergewerbes und desto überflüssiger Zäune wie die zur Schließung der Balkanroute.

Die Verteilung von Flüchtlingen über die deutschen Kommunen gleicht aus ökonomischer Sicht der Bereitstellung eines sogenannten Nimby-Gutes. So bezeichnen Ökonomen Güter, die - wie etwa Flughäfen - zwar aus gesamtwirtschaftlicher Sicht erforderlich sind, die aber niemand in der Nähe seines Hauses ("not in my backyard") sehen möchte. Eine ökonomisch optimale Bereitstellung solcher Güter kann über Versteigerungen erfolgen. Bei der Ansiedlung von Flüchtlingen müssten Bund und Länder die Übernahme aller notwendigen Kosten garantieren und darüber hinaus eine Prämie für ansiedlungswillige Gemeinden ausloben. Gewinner wären diejenigen Gemeinden, welche die niedrigsten Prämienzahlungen fordern, weil bei ihnen die Nutzenverluste aus der Flüchtlingsaufnahme am leichtesten kompensiert werden können.

Den Flüchtlingen müsste bis zum Erwerb einer sozialversicherungspflichtigen Berufstätigkeit - wie bereits beschlossen - eine Residenzpflicht auferlegt werden, und ihre Versorgung sollte möglichst wenig kommunal, sondern über (überwachte) genossenschaftliche Eigenarbeit erfolgen. Man kann recht sicher sein, dass es genügend Bewerber unter den Gemeinden geben würde, denn die Aufnahme von Flüchtlingen könnte zusätzlich zur Prämie Wohnungsleerstände beseitigen und die lokale Wirtschaft fördern. Über Finanzausgleichszahlungen ergäbe sich bei Anrechnung der Flüchtlinge als Einwohner zudem ein weiterer Vorteil.

Eine derartige Flüchtlingsverteilung wäre einer bürokratischen Verteilung haushoch überlegen, weil sie lokal bekanntes Wissen nutzen würde, das den Bundes- und Landesverwaltungen fehlt. Sie erforderte zwar (interkommunal aufteilbare) Ausbildungskapazitäten vor Ort, nicht aber dauerhafte Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, denn ausgebildete Flüchtlinge würden bei zweckmäßiger Organisation auch überregional Arbeitgeber finden.

Zur Ausbildungs- und Integrationsproblematik gibt es gute Vorschläge wie etwa den von Ludger Wößmann (Ifo-Institut) zur Verkürzung der reinen Ausbildungszeit durch teilqualifizierende Abschlüsse.

Aus dem oben Gesagten ergäben sich aber Zusatzvorteile: Ein Teil der Ausbildung könnte billiger in Nordafrika erfolgen, und wollen schon in Deutschland befindliche Flüchtlinge, was anscheinend häufiger vorkommt, nicht ganztägig in Integrations-, Ausbildungs- und Selbsthilfeprogrammen mitarbeiten (etwa um schnell "schwarz" Geld zu verdienen), könnte man sie in eines der in Nordafrika angemieteten Lager zurückverweisen. Dort gäbe es zwar keine Residenzpflicht, wohl aber ein Einreiseverbot nach Deutschland, das erst bei einem überzeugenden Nachweis der Integrationswilligkeit endet.

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