Forum:Triale Ausbildung

Lutz Goebel, Geschäftsführer Familienunternehmer

Lutz Goebel ist ehemaliger Präsident des Verbands Die Familienunternehmer. Der Verband ist die politische Interessenvertretung für mehr als 180 000 Familienunternehmer.

(Foto: Maria Schulz)

Statt sie zu bedrohen, sollte man Flüchtlinge so früh wie möglich in den Arbeitsmarkt integrieren.

Von Lutz Goebel

Die Flüchtlingskrise stellt uns alle vor eine Herausforderung. Mit großer Sorge beobachte ich, dass sich unsere Gesellschaft in zwei Lager aufzuspalten scheint: Hier diejenigen, die jedem Migranten, egal aus welchem Motiv er kommt, die Grenze offenlassen wollen. Dort die Gruppe derer, die mit unverhohlen populistischen und nationalistischen Parolen jeden Flüchtling aus dem Land jagen möchten.

Der politische Überbau dieser Anti-Flüchtlingsbewegung ist die sogenannte Alternative für Deutschland. Die AfD nutzt als Partei die Ängste der Menschen, um nach und nach das Wertegerüst unserer Gesellschaft der Erosion preiszugeben. Die Frontleute der AfD sind sehr geschickt. Mit einem bemerkenswerten Wechsel zwischen Defensive und Angriff erschaffen sie zunächst ein scheinbares Opfer (die von Flüchtlingsströmen bedrohte deutsche Bevölkerung) und leiten aus diesem Opferdenken die Erlaubnis ab, sich mit allen Mitteln dieser sogenannten Bedrohung entgegenzustellen nach dem Motto: Not kennt kein Gebot! Dass diese Haltung im Gewand eines Wirtschaftsprogramms noch aus der Lucke-Zeit daherkommt, hilft ihr, den Anschein von Seriosität und Gesellschaftsfähigkeit aufrecht zu erhalten.

Die AfD weicht im Zusammenspiel mit Pegida ein Tabu nach dem anderen auf und bringt unsere gesellschaftlichen Werte, die wir uns in siebzig Jahren mühsam erarbeitet haben, zum Wanken: Von der Beschimpfung der Presse, Ablehnung der Meinungsfreiheit über die Verunglimpfung der repräsentativen Demokratie bis zum Schießen auf Flüchtlinge. Sie bewegt sich immer genau am Rande dessen, was gerade noch gesagt werden darf und ist bisher juristisch kaum angreifbar. Dass Tätlichkeiten gegen Flüchtlinge aus der Opferhaltung abgeleitet werden, die von der AfD gesellschaftsfähig gemacht wird, ist juristisch nicht beweisbar. Und doch ist der Zusammenhang zu fühlen. Wie aber ist es dazu gekommen, dass eine Partei, die offen eine lange überwunden geglaubte Geisteshaltung vertritt, Zustimmungswerte im zweistelligen Prozentbereich erhält und aller Wahrscheinlichkeit nach am Sonntag in drei große Landtage einziehen kann?

Ein Blick zurück: Als immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland drängten, entstanden erhebliche Sorgen in der Bevölkerung: Es wurde bezweifelt, dass es möglich sein würde, diese Menschenmassen nachhaltig in unsere Gesellschaft zu integrieren. Diese Sorgen wurden zu Beginn von den Volksparteien nicht wahr- oder zumindest nicht ernst genommen. Im Gegenteil: Die Situation wurde verharmlost, zum Beispiel mit der damaligen Aussage, dass die Mehrheit der Flüchtlinge hoch qualifizierte Arbeitskräfte seien. Das stimmt so nicht. Und die Bürger spüren das.

Es gibt mehr Alternativen zum Protest, als bei den Wahlen sein Kreuz bei der AfD zu setzen

Gleichzeitig hat die Bundesregierung versäumt klarzustellen: Nicht jeder, der gerne möchte, hat einen Anspruch auf Asyl. Es wurde nicht ausreichend sichtbar, dass diejenigen, die zu Unrecht Schutz und Solidarität beantragten, umgehend des Landes verwiesen werden müssen. Außerdem stellte die Regierung widersprüchliche Thesen auf. Zu sagen, dass im 21. Jahrhundert keine Landesgrenzen mehr geschützt werden können, und im fast gleichen Atemzug zu fordern, die EU müsse endlich ihre Außengrenzen sichern, um die Flüchtlingsströme einzudämmen, passt nicht zusammen. Solche Fehler kosten erst Vertrauen, dann machen sie viele Menschen anfällig für Populisten. Ein Nährboden für Bewegungen wie Pegida. Sie schüren die Ängste der Bevölkerung, bedienen Ressentiments und beginnen, einen Keil in die Gesellschaft zu treiben.

Die AfD wurde zum politischen Hebel auserkoren. Das Herausdrängen der Gründer Lucke, Henkel und Starbatty markierte die ideologische Zäsur - weg von der liberal-konservativen Wirtschaftspartei hin zum trojanischen Pferd für Nationalisten und Protektionisten. Pegida und AfD sorgen Arm in Arm dafür, dass Widerstand bis zum Schusswaffengebrauch als legitim erscheint. Noch sind es leere Gebäude, die angezündet werden. Jeder einzelne Bürger ist in der Pflicht, die nächste Eskalationsstufe zu verhindern. Wer die Landtagswahl zum Protest gegen die Politik der Bundesregierung nutzen will, hat mehr Alternativen, als sein Kreuz bei der AfD zu setzen!

Aller Protest ändert aber nichts daran, dass wir endlich anfangen müssen, die Flüchtlinge, die für längere Zeit bei uns bleiben werden, in Arbeit zu bringen. Das ist nicht nur eine Frage der Integration, sondern auch der Schlüssel, um Ängsten vor Wohlstandsverlusten bei unseren Bürgern zu mindern. Wir brauchen endlich Konzepte, wie angesichts des im Durchschnitt sehr niedrigen Qualifizierungsniveaus Flüchtlinge Arbeit finden können. Das ist nicht nur eine Aufgabe der Bundesregierung, das gehört auch zu den Pflichten der Landesregierungen. Und mit Blick auf die Landtagswahlen: Es gibt nicht viele Landesregierungen, die hier schon Lösungen ausgearbeitet haben.

Wir Familienunternehmer haben konkrete Vorschläge entwickelt, wie das funktionieren kann. Wir wollen den Menschen, die länger in Deutschland bleiben, helfen, unsere Sprache zu lernen und unsere Kultur zu verstehen. Wir wollen ihnen Arbeit geben. Doch angesichts der großen Zahl und des geringen Ausbildungsniveaus brauchen wir dafür einen starken politischen Rahmen.

Die Flüchtlinge brauchen so früh wie möglich die Chance, sich für einen Beruf zu qualifizieren, anstatt schnell ungelernte Tätigkeiten zu beginnen. Wir schlagen daher eine triale Ausbildung vor, die bis zu vier Jahre dauern kann und bei der neben der betrieblichen Lehre der Spracherwerb im Vordergrund steht. Die Unternehmen brauchen dafür finanzielle Unterstützung, um erfahrene Mitarbeiter freizustellen, die die Flüchtlinge im Betrieb quasi an die Hand nehmen und ihnen Fach- und Umgangssprache beibringen. Neben Sofort-Maßnahmen muss auch ein kräftiges Wirtschaftswachstum in Deutschland ermöglicht werden. Nur eine wachsende Wirtschaft kann der Situation Herr werden. Die Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch.

Wir Familienunternehmer können uns die Herausforderungen, mit denen wir leben müssen, nicht aussuchen. Aber wir haben über Generationen die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, anzupacken und zu gestalten als nur zu protestieren. Unsere Gesellschaft sollte gemeinsam von allen Landesregierungen und der Bundesregierung einen Masterplan einfordern, damit die Flüchtlinge, die länger hier bleiben, nicht untätig in den Heimen herumsitzen müssen, sondern über Arbeit integriert werden können. Bei den Landtagswahlen sollte gerade das eine wichtige Rolle spielen!

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