Forum:Schnell Erfahrungen sammeln

In Kürze wird das EU-Investitionsprogramm starten. Wird die Offensive richtig umgesetzt, könnte sie eine dringend nötige Trendwende einleiten und für mehr Beschäftigung sorgen.

Von Udo Bullmann

Europa droht zurückzufallen. Viele Bürger sind noch immer vom schnellen Internet abgeschnitten. In zahlreichen Gegenden erodieren Schienen und Straßen. Für eine europäische Energiewende fehlen Tausende Kilometer Trassen. Die EU-Kommission schätzt den Investitionsbedarf alleine in diesen Bereichen auf 200 Milliarden Euro jährlich. Die Claqueure einseitiger Kürzungspolitik haben diese Kluft in den vergangenen Jahren in vielen Regionen Europas stetig weiter aufreißen lassen.

Nach jahrelangem Drängen seitens des Europäischen Parlaments hat die EU-Kommission deshalb das größte und ehrgeizigste Investitionsprogramm in der Geschichte der Europäischen Union aufgelegt. Es soll dieser Tage starten. 315 Milliarden Euro sollen dabei mobilisiert werden, um die Investitionslücke, die die europäische Staatengemeinschaft im globalen Vergleich zurückfallen lässt, wenigstens ein Stück weit zu stopfen.

Wachstumsinitiativen sowie Ankündigungen für einen Politikwechsel gab es in der Vergangenheit zahlreiche - zum Beispiel den Pakt für Wachstum und Beschäftigung oder die Jugendgarantie. Doch keine vermochte es, die Lebenswirklichkeit der Menschen nachhaltig zu verändern. Kann der Europäische Investitionsfonds nun ein erster Schritt zu einem Paradigmenwechsel in Europa sein?

Als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine Investitionsoffensive ankündigte, war die Gefahr groß, dass das neue Programm erneut zu reiner Symbolpolitik verkommen könnte. Nach den Vorstellungen von EU-Kommission und Mitgliedsstaaten sollte das Geld in den Kassen von Ladenhütern und umstrittenen Prestigeprojekten versickern. Auch private Investoren hofften auf Mitnahmeeffekte: Mit dem neuen EU-Programm würden sie ohnehin geplante Investitionen leichter und billiger finanzieren können.

Nach monatelangem Ringen darf man mit mehr Optimismus auf die neue europäische Initiative blicken. Zwar wird der Fonds im Volumen hinter dem zurückbleiben, was insgesamt erforderlich wäre, und so auch nicht alleine den nötigen Wandel bewirken können. Doch könnte sein erfolgreicher Start eine Trendumkehr einleiten zu deutlich mehr und besseren Investitionen, um so der europäischen Politik Spielraumöffnungen für die Zukunft zu ermöglichen. Deshalb hat das Europäische Parlament das Projekt vom Kopf auf die Füße gestellt und an einigen Stellschrauben gedreht.

Kein einziger EU-Mitgliedsstaat hat die Bereitschaft bekundet, direkt in den Fonds zu investieren und diesen aufzustocken. Im Gegenteil, einige Mitgliedsstaaten haben sogar versucht, dem Fonds die Türen komplett zuzuhalten. Damit die neue Initiative dennoch Investitionen in Wachstum und Beschäftigung in erheblichem Umfang anstoßen kann, hat das EU-Parlament dafür gesorgt, dass neue Finanzierungsquellen hinzukommen. So können Staaten über Förderbanken und Investitionsplattformen ebenso wie private Geldgeber zusätzliche Zustiftungen zum Fonds leisten. Solche Einmalzahlungen der Mitgliedsstaaten in Förderbanken und Plattformen würden budgetneutral behandelt und bei der Defizitberechnung des jeweiligen Landes nicht angerechnet. So haben auch Staaten, die sich in einer schwierigen fiskalischen Lage befinden wie Portugal, Spanien oder Frankreich eine Chance, ihre Investitionslücken zu schließen.

Besonders vielversprechende Projekte in zukunftsträchtigen Feldern wie Energieeffizienz, Breitband-Ausbau und Transport sind heute vielfach unterfinanziert; insbesondere dann, wenn sich ihr gesellschaftlich schnell eintretender Nutzen betriebswirtschaftlich erst in längeren Fristen amortisiert. Solche Vorhaben mit meist erheblichen Beschäftigungseffekten brauchen komplementäre Anstoßfinanzierung, um realisiert zu werden. Besonders innovative Projekte benötigen experimentierfreudiges und geduldiges Risikokapital. Durch das Eintreten von Finanzierungspartnern auf nationaler und regionaler Ebene kann deren Erfahrung für Projektauswahl und optimierte Durchführung gewonnen werden.

Wenn die Investitionsoffensive gut umgesetzt wird, dann können insbesondere kleine und mittlere Unternehmen profitieren. Davon können Impulse für die gesamte Volkswirtschaft ausgehen. Dies ermöglicht zusätzlich, lokales Know-How für den Investitionsplan einzusetzen. In der Zusammenarbeit mit Partnern aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union darf es nicht um Re-Nationalisierung gehen, sondern es muss Lösungen geben, die in der Praxis funktionieren.

Über regionale Projekte sollte nicht von Brüssel oder Luxemburg entschieden werden

Die Verantwortlichen des Investitionsfonds müssen davon absehen, aus Brüssel oder Luxemburg entscheiden zu wollen, welche Projekte in einer Region am effizientesten für Wachstum und Beschäftigung sorgen können. Vielmehr sollten sie den dort vorhandenen Sachverstand nutzen, um beispielsweise über Förderbanken, Investitionsplattformen und über den Mittelstand der verschiedenen Branchen den Zielerreichungsgrad des Fonds zu erhöhen.

Das Verschleiern von Verantwortlichkeiten und mangelnde demokratische Kontrolle waren in der Vergangenheit häufig Ursachen für das Scheitern ehrgeiziger Vorhaben. Das Europäische Parlament hat sich bemüht, dies beim Investitionsplan zu beheben. Wir sind davon überzeugt, dass ein enger Zusammenhang zwischen langfristigen Wachstumschancen und der Qualität der Verfahren gesellschaftlicher Mitwirkung existiert. Deshalb kommt der Auswahl der Fondsleitung auch eine besondere Bedeutung zu. Hier muss Qualifikation das bestimmende Kriterium des Auswahlprozesses sein. Schließlich ist das Fondsmanagement dem Europäischen Parlament rechenschaftspflichtig, was den Erfolg des neuen Instrumentes anbelangt.

Zahlreiche EU-Mitgliedsstaaten hätten den Investitionsfonds am liebsten kleingehalten und mit einem Verfallsdatum von drei Jahren versehen. Offenbar ist der Widerstand gegen eine neue europäische Investitionspolitik bei einigen einflussreichen Regierungsvertretern immer noch groß. So aber kann die in Europa dringend notwendige Wende nicht eingeleitet werden. Der neue Investitionsfonds muss stattdessen jetzt schnell vollständig arbeitsfähig und nach der ersten Investitionsperiode entlang der gesammelten Erfahrungen angepasst werden. Das Ziel muss seine Verstetigung sein, um einen bisher einseitig auf Einschnitte fixierten Wirtschaftskurs in der Staatengemeinschaft neu auszurichten. Europa braucht diese neue Säule seiner Wirtschaftspolitik - einen Fonds für strategische Investitionen in die Zukunft - auf Dauer.

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