Forum:Psychologie des Misslingens

Was können Unternehmen vom frühen Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft lernen?

Von Dieter Frey und Nadja Bürgle

Forum: Haben die Erfolge der Vergangenheit die deutsche Nationalmannschaft träge gemacht? Aus dem WM-Vorrunden-Aus lassen sich auch Schlüsse ziehen, die auch abseits des Fußballs gelten.

Haben die Erfolge der Vergangenheit die deutsche Nationalmannschaft träge gemacht? Aus dem WM-Vorrunden-Aus lassen sich auch Schlüsse ziehen, die auch abseits des Fußballs gelten.

(Foto: Michael Probst/AP)

Weltmeister Deutschland scheidet in der Vorrunde aus. Detaillierte Fehleranalysen der Expertenrunden erfolgten bereits. Auch die Organisations- und Sozialpsychologie kann einen Beitrag zur Erklärung liefern, warum die deutsche Nationalmannschaft gescheitert ist. Mehr noch - zentrale Stellschrauben für Erfolg und Misserfolg können vom Fußball auf die Wirtschaft übertragen werden. Eine wichtige Rolle spielt hierbei, inwieweit es Führung gelingt, exzellente Leistung durch einen professionellen Umgang mit heterogenen Talenten (unter der Wahrung von Menschlichkeit!) zu erreichen.

Erfolgsarroganz, Selbstüberschätzung, Sorglosigkeit

Erfolge in der Vergangenheit bergen die Gefahr von Erfolgsarroganz, Selbstüberschätzung und Sorglosigkeit. Konkurrenten oder Kunden begegnet man mit der Einstellung: "Es wird schon klappen. Es hat ja auch bisher geklappt." Die Vorrunde wird kaum ernst genommen, da die WM für die deutsche Mannschaft sowieso erst im Achtelfinale beginnt. Eben diese Selbstherrlichkeit ist einer der Gründe dafür, weshalb zahlreiche Unternehmen, die Peters und Waterman in ihrem Buch "In Search of Excellence" analysierten, bereits nach 15 Jahren nicht mehr existierten.

Teamzusammenhalt und Potenzialentwicklung im Team

Die Mischung macht's. Besteht eine Mannschaft aus Führungsspielern, Teamspielern und Individualisten, die jeweils ihren einzigartigen Beitrag zum Gesamterfolg leisten? (Wo waren die Lahms, Schweinsteigers, Kloses?) Diese Frage kann sich nicht nur der deutsche Trainer, sondern auch jedes Unternehmen stellen. Zu einer guten Mischung gehört auch, dass sich erfahrene und junge Spieler effektiv ergänzen. War dies der Fall in der Nationalmannschaft? Auch in Unternehmen hindern erfahrene Führungskräfte junge Nachwuchskräfte manchmal daran, die Karriereleiter zu erklimmen. Dabei ist es für jede Mannschaft und jedes Unternehmen überlebenswichtig, Talente zu entwickeln, zu integrieren und hierdurch Synergieeffekte zu schaffen.

Der Teamspirit "Einer für alle, alle für einen" und das Kämpfen für eine gemeinsame Vision werden nicht nur in der deutschen Nationalelf vermisst, sondern auch in zahlreichen Unternehmen. Anstelle von Teamspirit findet man hier oftmals Cliquenbildung, Silo-Denken, eine mangelnde Kommunikation und Zusammenarbeit sowie ungelöste Konflikte.

Übermäßiges Vertrauen in erfolgreiche Persönlichkeiten

Möglicherweise wurde den Weltmeistern durch den Trainer mehr Vertrauen entgegengebracht, als es ihrer aktuellen Leistung entsprochen hätte. Auch in Unternehmen bekleiden Alphatiere, die sich durch frühere Leistungen bewiesen haben, auch heute noch einflussreiche Positionen und machen ihren Status- und Machtanspruch geltend. Natürlich sollte Lebensleistung honoriert werden. Jedoch neigen ehemals erfolgreiche Personen oft dazu, an Altbewährtem festzuhalten und neue Erfindungen zu bremsen, wenn sie ihren eigenen Einflussbereich bedroht sehen (Not-invented-here-Syndrom).

Begeisterung, emotionale Bindung, Motivation

Nur mit Herzblut und Begeisterung werden Spitzenleistungen erreicht. Doch bereits im Vorfeld der WM gaben einige Spieler an, dass ihnen die Champions League wichtiger sei als die Weltmeisterschaft. Auch in deutschen Unternehmen berichten nur 17 Prozent der Mitarbeiter über eine emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber. Begeisterung und emotionale Bindung wirken sich auch auf die mentale Einstellung aus: Kämpfe ich um jeden Ball, um jeden Kunden? Übernehme ich Verantwortung für das Ganze? Sportteams und Unternehmen sollten folglich aktiv Rahmenbedingungen schaffen, die Herzblut, Begeisterung und eine emotionale Bindung fördern. Weiterhin sollte die Motivation, Erfolg zu haben, höher ausgeprägt sein als der Drang nach einer positiven Selbstdarstellung inklusive schicker Schuhe, Sonnenbrillen und Frisuren. Studien zeigten, dass Chefs, die der Öffentlichkeit ihren Erfolg zum Beispiel durch bombastische Häuser zur Schau stellen wollten, weniger erfolgreich waren.

Gruppendenken

Die deutsche Mannschaft und die Führungsriege waren sich des Titels 2018 nahezu sicher. Die Gruppe teilte eine vermeintliche Wahrheit, die selbst durch fünf sieglose Spiele unmittelbar vor der WM nicht infrage gestellt wurde. Kritische Zweifel wurden eher unterdrückt und ausgeblendet. Ein derartiges Gruppendenken ist oft auch in Unternehmen zu finden. Die Realität wird im Sinne des eigenen Weltbilds verzerrt. Dies geschieht vor allem in homogenen Gruppen, in denen es keinen Advocatus diaboli gibt, der Unerwünschtes, das man lieber nicht hören möchte, anspricht - teils mit fatalen Folgen: Viele Firmenzusammenbrüche sind unter anderem auf Fehlentscheidungen und Gruppendenken zurückzuführen, zum Beispiel Schlecker, Nokia, Märklin, Quelle. Notwendig ist ein Korrektiv, das blinde Flecken aufzeigt.

Lernen aus eigenen und fremdenFehlern

Irren ist menschlich. Entscheidend ist die Art des Umgangs mit Fehlern. Manchmal kann es hilfreich sein, personelle Wechsel im Topmanagement vorzunehmen, wenn die nötige Zukunftsvision, Fehlereinsicht oder Veränderungsbereitschaft fehlen. Essenziell für einen konstruktiven Umgang mit Fehlern sind eine kontinuierliche Selbst- und Teamreflexion sowie Feedback von außen: Was läuft gut? Was läuft weniger gut? Was kann verbessert werden? Die Weisheitsforschung zeigt, nicht Erfahrung allein macht uns klüger, sondern die Reflexion dieser Erfahrung.

Um aus Fehlern zu lernen, muss man sie nicht selbst begehen. Warum sind die ehemaligen Weltmeister Spanien, Italien oder Frankreich ebenso wie Deutschland in der jeweils darauffolgenden WM früh ausgeschieden? Warum sind andere Unternehmen gescheitert? Exemplarische Fehleranalysen bieten großes Lernpotenzial, da sie zu Denkanstößen führen können, ohne dass das eigene Team oder Unternehmen unmittelbar bedroht wird.

Fazit

Spitzenleistungen sind planbar, unter anderem anhand der beschriebenen Stellschrauben. Führung spielt hierbei eine wichtige Rolle. Damit Spitzenleistungen letztlich zum Erfolg führen, muss die richtige Portion Glück hinzukommen. Das frühe Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft ist traurig. Dennoch birgt es großes Lernpotenzial, da die Stellschrauben für Erfolg und Misserfolg letztlich dieselben sind - im Sport wie in der Wirtschaft.

Forum: Dieter Frey ist Professor für Psychologie an der LMU München und Leiter des LMU Centers for Leadership and People Management, eine Einrichtung der Exzellenzinitiative. Nadja Bürgle ist Doktorandin an der LMU („Sinnerleben in der Arbeitswelt“) und ebenfalls am LMU Center for Leadership and People Management tätig.

Dieter Frey ist Professor für Psychologie an der LMU München und Leiter des LMU Centers for Leadership and People Management, eine Einrichtung der Exzellenzinitiative. Nadja Bürgle ist Doktorandin an der LMU („Sinnerleben in der Arbeitswelt“) und ebenfalls am LMU Center for Leadership and People Management tätig.

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