Forum:Pluspunkt für das Klima

Lesezeit: 3 min

Die extreme Luftverschmutzung zwingt China zur Abkehr von der Kohle. Andere Schwellenländer könnten diesem Beispiel bald folgen.

Von Martin Jänicke

Im Kampf um den Klimaschutz hat die deutsche Braunkohleindustrie Ende 2016 einen Etappensieg errungen. Es soll kein Ausstiegsdatum geben. In einigen Ländern hat die gezielte Abkehr von der Kohle aber bereits begonnen. Großbritannien will 2025 das letzte Kohlekraftwerk schließen. Kanada, Finnland und Portugal wollen bis 2030 aus der Kohle aussteigen.

Die dramatischste Wende gegen die Kohle hat aber ausgerechnet in China begonnen. Das Land erlebt seit Jahren einen - auch industriepolitisch motivierten - Boom der Wind- und Solarindustrie. Die Kapazität der Windenergie wuchs 2016 auf 149 Gigawatt (GW); das entspricht, bei entsprechenden Windverhältnissen, ebenso vielen Großkraftwerken. Die Kapazität für Solarstrom wuchs ähnlich rasant auf nunmehr 77 GW. Und nun also die Kohle.

In kaum einem anderen Land war die Kohlelobby bisher so stark wie in China; die Chefs der Kohlekonzerne haben den Status von stellvertretenden Ministern! Als Umweltpolitikberater der chinesischen Regierung wurde man noch 2011 darauf verwiesen, dass die Rolle der Kohle beim Strom tabu sei. Von 2001 bis 2010 hatte der Kohleverbrauch noch um zehn Prozent jährlich zugenommen. Am Ende erzeugte China so viel Kohle wie der Rest der Welt. Dazu entstand in wenigen Jahren zusätzlich eine gewaltige Importabhängigkeit. 2013 wurden 327 Millionen Tonnen Kohle importiert. Schon wegen der katastrophalen Umweltfolgen konnte das nicht gutgehen.

Und es ist nicht gutgegangen. Zu Beginn des Jahres 2014 veröffentlichten chinesische Zeitungen Bilder von Häfen, in denen sich die importierte Kohle stapelte. In den Städten und Provinzen, aber auch in der Schwerindustrie fanden sich nicht mehr genügend Abnehmer. Und immer stärker wirkten sich staatliche Maßnahmen aus.

Erste Maßnahmen gegen die Kohle waren auf den Umweltschutz beschränkt. Ab 2012 galten strenge Umweltschutzstandards für Kohlekraftwerke. 2014 wurde das Umweltgesetz deutlich verschärft: Zu den neuen Instrumenten gehört die Absetzung oder Strafverfolgung von lokalen Beamten. Firmenchefs können 15 Tage inhaftiert werden, wenn sie Baustoppanweisungen oder Untersagungen ignorieren. Ungeachtet der anhaltenden Korruption und vielfältiger Vollzugsprobleme auf den unteren Ebenen waren das neue Signale.

Seit 2014 ging es auch um den Energieträger Kohle als solchen. Die Regierung führte Effizienzstandards für Kohlekraftwerke ein. Zugleich drängte sie die wichtigsten Kohlekonzerne, ihre Produktion um zehn Prozent zu senken. Dies sollte auch dem Verfall der Preise entgegenwirken. Gleichzeitig wurden Importabgaben für Kohle eingeführt. Das ermutigte auch einige Provinzen zu weitgehenden Maßnahmen. Zwölf Provinzen planen, den Kohleverbrauch bis 2020 um immerhin 655 Millionen Tonnen zu verringern (mehr als der heutige Verbrauch Indiens). Die weitestgehende Festlegung enthält der neue Fünfjahresplan (2016-20). Danach soll die Kohlegewinnung um 20 Prozent verringert werden und der Verbrauch von Kohlestrom bis 2020 um jährlich zwei bis vier Prozent sinken. 4300 Kohleminen mit einer Produktion von 700 Millionen Tonnen sollen geschlossen werden.

Seit 2013 sinkt die Kohleproduktion, 2016 sogar um über neun Prozent. Allerdings ist diese Politik nicht unumstritten. Noch 2015 wurden zahlreiche neue Kohlekraftwerke genehmigt. Die drastische Einschränkung der Kohleproduktion löste zunächst auch erhebliche Turbulenzen aus: Sie führte zwar wie erwünscht zu höheren Kohlepreisen, brachte aber die Stahlindustrie als Abnehmer in Schwierigkeiten. Zeitweise wurde der seit 2013 rückläufige Kohleimport sogar wieder erhöht.

Indien galt bisher als Gegenbeispiel. Aber auch dort denkt die Politik um

Im vergangenen Winter kam es zu extremen Smogperioden in vielen Provinzen. Produktions- und Verkehrseinschränkungen und die Stornierung zahlreicher Flüge waren die Folge. Vermutlich deshalb wurden Anfang 2017 weitere Stilllegungen beziehungsweise der Planungsstopp für zahlreiche neue Kohlekraftwerke verkündet, insgesamt 120 GW. Immerhin 47 bereits im Bau befindliche Anlagen sollen einen Baustopp erhalten.

Neben der extremen Luftverschmutzung gibt es mehrere Gründe für Chinas Wende bei der Kohle. Dazu gehört das Erlahmen der Wirtschaft ebenso wie die geplante teilweise Abkehr von der Schwerindustrie. Hinzu kommt der hohe Kühlwasserbedarf der Kohlekraftwerke in einem Land, in dem viele Städte unter Wassermangel leiden. Auch die Abwehr der explodierenden Importabhängigkeit war ein Motiv. Und natürlich wirkte der Boom der erneuerbaren Energien.

Mit der Abkehr von der Kohle ist China ein Vorreiter für Schwellenländer geworden. Diese Politik ist naturgemäß widersprüchlich. Nach den Turbulenzen des letzten Jahres ist sie offenbar auch etwas vorsichtiger geworden. Es gibt Mängel wie die unzureichende Netzanbindung von Wind- und Solarstrom. Auch bleibt das Gewicht des Kohlesektors weiterhin hoch.

Beispielgebend ist dennoch die Entschlossenheit dieser Politik. Ebenso das eingesetzte Instrumentarium: Effizienzstandards für Kohlekraftwerke, Steuern und Importabgaben auf Kohle, progressive Stromtarife und in diesem Jahr auch der Emissionshandel. Fallweise werden auch Beschäftigungsalternativen für den Bergbau gefördert.

Indien galt bisher als Gegenbeispiel. Das Land plante einen massiven Ausbau der Kohleverstromung. Aber auch dort werden Kohlekraftwerke inzwischen stillgelegt, zum Beispiel weil es nicht genug Kühlwasser gibt. Hinzu kommt eine sich zuspitzende Umweltkrise, die in diesem Winter besonders extrem ausfiel. Anders als in China gibt es in Indien eine höchstrichterliche Rechtsprechung, die mitunter die Umweltbelange des Energiesektors verteidigt. Die wachsende Importabhängigkeit gilt auch hier als Problem. Ebenso gibt es einen Boom der erneuerbaren Energien. Bis 2022 will Indien die Kapazität regenerativer Stromerzeugung auf 175 GW erhöhen.

Ende 2016 waren noch 50 GW Kohlekraftwerke im Bau. Inzwischen wurden aber weitere Kohlekraftwerksprojekte gestoppt. Für den Zeitraum 2022 - 2027 sind nach Angaben der Central Electricity Authority keine neuen Baugenehmigungen mehr nötig. Ferner sollen zahlreiche alte Kohlekraftwerke stillgelegt werden. Die Kohlefraktion hat dies umgehend kritisiert. Es gibt aber Gründe für die Annahme, dass Indien - mit zeitlicher Verzögerung - dem Weg Chinas folgen wird.

Nach Lage der Dinge wäre dies eine entscheidende Wende der globalen Klimaentwicklung.

© SZ vom 03.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: