Forum:Nicht zu viel und nicht zu wenig

Wie der Gesetzgeber künftig regeln sollte, wie viel Unternehmen Betriebsräten zahlen. Das Ganze ist ein durchaus komplexes Unterfangen.

Von Ulrich Preis und Gregor Thüsing

Die Regierungsparteien bekennen sich im neuen Koalitionsvertrag zur Bedeutung der Betriebsverfassung und wollen zum einen das vereinfachte Wahlverfahren kleinerer Betriebe ausweiten, zum anderen die Mitbestimmung im Bereich der Weiterbildung stärken. Aber reicht das? Baustellen der Betriebsverfassung gibt es genug. Von der Frage der Onlinewahl bis zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Betriebsverfassung allgemein sind viele Fragen in der aktuellen Diskussion, ohne dass man allgemein akzeptierte Antworten gefunden hätte. Diese Diskussion erfasst auch die Frage der Betriebsratsvergütung. Wie sollen die Arbeitnehmervertreter vergütet werden? Oder weiter noch: Welche Betriebsräte wollen wir? Sicherlich keine, die aus finanziellen Erwägungen heraus Betriebsrat werden wollen, aber sicherlich auch keine Arbeitnehmer, die aus Angst vor einer Benachteiligung in der beruflichen Entwicklung von diesem Amt Abstand abnehmen.

Das Gesetz hat hierzu schon vor langer Zeit eine Antwort gefunden. Das Ehrenamtsprinzip ist ein zentrales Leitmotiv des Betriebsverfassungsgesetzes. Es galt schon zu den Zeiten des Betriebsrätegesetzes und damit nun seit fast 100 Jahren: "Die Mitglieder der Betriebsräte und ihre Stellvertreter verwalten ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. Notwendige Versäumnis von Arbeitszeit darf eine Minderung der Entlohnung oder Gehaltszahlung nicht zur Folge haben".

Beides gilt unverändert auch heute noch. Danach führen Betriebsratsmitglieder ihr Amt unentgeltlich. So soll die innere Unabhängigkeit des Betriebsrats als Organ gewährleistet werden. Seine Arbeit soll nicht durch die Gewährung oder den Entzug materieller Leistungen beeinflusst und das Vertrauen der Arbeitnehmer in die interessengerechte Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte gestärkt werden. Das ist richtig und das soll auch so bleiben. Der Erfolg des deutschen Modells beruht nicht zuletzt auch darauf.

Richtig ist aber: Auch ein Betriebsratsmitglied hat Anspruch auf gerechte Behandlung. Für Betriebsratsmitglieder gilt deshalb das Lohnausfallprinzip. Die Berechnung des geschuldeten Entgelts erfolgt dabei auf der Grundlage einer hypothetischen Betrachtung. Danach haben Betriebsratsmitglieder Anspruch auf das Arbeitsentgelt, das sie ohne Ausübung der Betriebsratstätigkeit erhalten hätten. Eine solche Wahrsagerei kann niemand rechtssicher leisten. Dies zu beurteilen ist besonders schwierig bei freigestellten Betriebsratsmitgliedern, insbesondere wenn sie über mehrere Wahlperioden gewählt und freigestellt worden sind. Dies wird allgemein und seit Langem beklagt, aber was nützt das dem Arbeitgeber, der alles richtig machen will? Die Rechtsprechung hilft da nur wenig. Denn vor die Gerichte kommen nur wenige Fälle, und stets nur die, in denen ein Betriebsratsmitglied sich für unterbezahlt hält, aber verhindert werden muss auch die Überbezahlung.

Benachteiligt werden darf ein Mitglied des Betriebsrats nicht

Es ist ein Weg zwischen Skylla und Charybdis. Denn benachteiligt werden darf ein Betriebsratsmitglied auch nicht. Auch das Verbot der Benachteiligung ist ernst zu nehmen, denn es ist nicht minder wichtig. Es sichert die Unabhängigkeit des Betriebsrats und die Funktionsfähigkeit der betrieblichen Mitbestimmung - und daher ist ein Verstoß hiergegen genauso mit Strafe bedroht wie ein Verstoß gegen das Verbot der Begünstigung.

Es ist also in der Tat der schmale Pfad zwischen Begünstigung und Benachteiligung zu finden. Der Arbeitgeber muss den Betriebsräten eine berufliche Entwicklung gewährleisten, die derjenigen entspricht, die sie ohne ihre Amtstätigkeit durchlaufen hätten. Von dem Benachteiligungsverbot erfasst wird nicht nur die berufliche Tätigkeit, sondern auch das sich aus ihr ergebende Entgelt. Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann daher den Arbeitgeber unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen. Das aber ist oftmals nur schwer nachzuweisen und jede Unsicherheit kann zum Streit unter den Beteiligten führen, insbesondere wenn außertarifliche Vergütungen in Rede stehen.

Diesen Pfad heller auszuleuchten als bislang ist der Gesetzgeber aufgefordert. Viele Wege sind dabei denkbar. Zum einen können die Kriterien geschärft werden, nach denen die fiktive Karriere zu ermitteln ist. Das Bundesarbeitsgericht spricht etwas hilflos von "Hilfstatsachen", die es zu ermitteln und in ihrer Gesamtheit entsprechend den Umständen des Einzelfalls zu bewerten gilt. Die Praxis kann sich nur mühsam hier ein Bild machen. Das kann durch den Gesetzgeber vorstrukturiert werden: Welche Indizien sind relevant, wie sind sie zu gewichten?

Der in der vergangenen Legislaturperiode diskutierte Gesetzesvorschlag des Bundesarbeitsministeriums wollte auch besondere Leistungen des Betriebsratsmitglieds in seiner Amtsführung und daraus erwachsene Fähigkeiten berücksichtigen. Man mag diese Diskussion wieder aufgreifen und Wege suchen, dies mit dem Ehrenamtsprinzip zu vereinbaren. Oder sollte man die Betriebsräte schlicht und einfach an der allgemeinen Lohnentwicklung im Unternehmen teilhaben lassen? Das wäre die Absage an jede individualisierte Betrachtung.

Man könnte allerdings auch die Regelung der Betriebsratsvergütung zur Konkretisierung den Tarifpartnern überlassen. Ein Tarifvertrag kann dann Transparenz und Verlässlichkeit schaffen. Dies ist ein bewährtes Modell, undeutliche oder allzu abstrakte gesetzliche Regelungen maßgeschneiderten betrieblichen Lösungen zu überantworten. Die Betriebsratsvergütung eignet sich hierfür besonders.

Bei den Freistellungen von Betriebsräten sieht das Gesetz diese Möglichkeit bereits vor und die Praxis hat damit gute Erfahrungen gemacht.

Die neue Koalition hat sich an die Arbeit gemacht. Soll es eine große Koalition nicht nur dem Namen nach werden, dann mag sie sich den großen Aufgaben stellen. Davon gibt es genug und dazu gehört die Betriebsratsvergütung sicherlich nicht. Wenn ihr aber in einer solchen kleineren Frage ein guter Wurf gelingt, dann könnte sie durch Rechtssicherheit der Mitbestimmung einen Dienst erweisen. Und dies ist nichts Geringes, dient es doch Unternehmens- wie Betriebsratsseite gleichermaßen. Win-win also. Das müsste doch möglich sein. Warten wir ab.

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