Forum:Neue Führung ist nötig

Forum: Josephine Hofmann, 52, forscht am Fraunhofer-Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO) zu Führungskonzepten und flexiblen Arbeitsformen.

Josephine Hofmann, 52, forscht am Fraunhofer-Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO) zu Führungskonzepten und flexiblen Arbeitsformen.

(Foto: oh)

Die Arbeitswelt wird immer digitaler, flexibler und fragmentierter. Die Mitarbeiter stellen Hierarchien immer öfter infrage. Das stellt völlig neue Anforderungen an die Führungskräfte.

Von Josephine Hofmann

In der Arbeitswelt von morgen ist vieles möglich. Die Arbeit wird flexibler, gerade, was den Ort der Leistungserbringung angeht. Menschen arbeiten mobil, standortübergreifend, von immer unterschiedlicheren Orten aus und zu immer unüblicheren Zeiten. In Extremfällen, wie etwa beim Softwarekonzern Microsoft, nutzen Unternehmen sogar das Konzept eines sogenannten Vertrauensarbeitsortes, analog zur Vertrauensarbeitszeit.

Die heutige Wissensarbeit mit ihren üblichen Qualifikationen und Tätigkeiten und die Möglichkeiten vernetzter Kommunikation fördern neue Arbeitsorganisationen: Häufig wechselnde Arbeitsbezüge, zunehmende Organisation in Projekten und mehr Koordination und Kooperation auf der gleichen Hierarchieebene.

Viele Arbeitnehmer genießen die neuen Freiheiten. Diese gelten als wichtig, um als Arbeitgeber für qualifizierte Mitarbeiter langfristig attraktiv zu sein. Doch bleibt der restliche Arbeitsalltag in Zukunft gleich? Die Arbeitsforschung stellt sich die Frage, was die Flexibilisierung der Arbeit für die Organisation des täglichen Miteinanders bedeutet - speziell für Führungskräfte.

Die Flexibilisierung der Arbeitswelt fällt zusammen mit einer Diskussion über das Selbstverständnis von Führung, ihrer Legitimation sowie Führungssysteme von morgen. Eine Arbeitsgesellschaft, die Selbstbestimmung und Individualisierung immer mehr zum Leitbild erhebt und von selbstbewussten, jungen Nachwuchskräften geprägt wird, hinterfragt dabei auch Aufgaben und Sinnhaftigkeit von Führung. Diskutiert wird einerseits in Richtung demokratischerer Strukturen und der Abkehr von hierarchischen Führungskonzepten. Andererseits betonen Forscher und Praktiker den Wert charismatischer und führungsstarker Persönlichkeiten. Diese leisten demnach in einer volatilen und unsicheren Unternehmensumwelt persönliche wie strategische Orientierung. Sie stellen Identifikationspunkte dar und definieren sich als Entwicklungspartner ihrer Mitarbeiter.

Die Generation der Digital Natives stellt klassische Autoritätsmuster zunehmend infrage und fordert Teilhabe und Beteiligung. Ist klassische, hierarchische Führung in diesem Kontext überhaupt noch nötig? Worin besteht diese Führungsarbeit? Gibt es "Haltbarkeitsdaten" für Führungskräfte oder Führungsaufgaben, die immer wieder neu vergeben werden müssten? Wer bestimmt, ob Führungsziele erreicht wurden oder welche Konsequenzen deren Nicht-Erreichen hat?

Mitarbeiter wollen von ihren Führungskräften auch im Home-Office "gesehen" werden

Oft gilt gerade die mittlere Führungsebene in Unternehmen als Brems- und "Lähm"-Schicht für moderne Arbeitsformen. Sie gilt als eine Führungsebene, der unklar ist, wie sie der individuellen Führungsverantwortung für ihre Mitarbeiter gerecht werden kann, wenn der tägliche direkte Kontakt fehlt. Dem mittleren Management wird häufig eine Verweigerungshaltung unterstellt. Zugleich muss eben jene Ebene jedoch häufig über Ausmaß, Art und Ausgestaltung flexibler Arbeitsformen entscheiden. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), der Bertelsmann-Stiftung und einiger Unternehmen beschäftigte sich im Jahr 2014 explizit mit den Veränderungen, die grenzenlose Arbeitswelten für Führungskräfte mit sich bringen.

Eine zentrale Erkenntnis der Studie: Führungskräfte sind mitnichten eine "Lähm"-Schicht. Sie sind im Gegenteil überwiegend sogar aktive Förderer einer Arbeitswelt, die Wünschen von Mitarbeitern nach Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben Rechnung trägt. Zugleich werden höhere Anforderungen an ihr Kommunikationsverhalten gestellt. Explizite und dauerhafte Kommunikation, so zeigten die empirischen Ergebnisse der Studie, ist Voraussetzung für die reibungslose Zusammenarbeit und den Zusammenhalt der Arbeitsbereiche. Kommunikation ist seit jeher die wichtigste Führungsarbeit. Und sie wird es umso mehr, je virtueller und flexibler die Arbeitsbeziehungen werden. Sie muss viel leisten: Abstimmung, Orientierung, die Weitergabe von Informationen, aber auch das Anbieten einer Plattform für soziale Beziehungen, Aufmerksamkeit und Wahrnehmung. Mitarbeiter wollen "gesehen werden" - mit ihrer Arbeitsleistung, aber auch als individuelle Person mit sozialen Bedürfnissen. All diesen Aufgaben über zunehmend IT-basierte Kommunikationskanäle gerecht zu werden, bedeutet das Bespielen einer vielfältigen Klaviatur: von E-Mails bis zu Telefonkonferenzen, vom persönlichen Blog zur kurzfristigen Videokonferenz.

Hierarchische Weisungslinien und rein top-down-orientierte Managementprinzipien werden unwichtiger. Sie können die Bedürfnisse an Führung in flexibilisierten, virtualisierten und sich schnell wandelnden Arbeitswelten nicht mehr leisten. Bei der Ausgestaltung von Führungsbeziehungen wird eine neue Balance in der kommunikativen Beziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft nötig, gerade bei der Nutzung technischer Kommunikationsmedien und dem Austarieren von räumlicher Nähe und virtueller Begegnung. Mitarbeiter, die eigenständiger arbeiten, müssen im richtigen Maß gefördert, angeleitet, aber auch "freigelassen" werden, damit sie ihr Potenzial entfalten können.

Die Entwicklung bringt auch neue Belastungen mit sich, gerade im Hinblick auf die zunehmende Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben. Diese Belastungen müssen Führungskräfte auffangen oder verhindern. Mit der Entgrenzung verbundene gesundheitliche Belastungen betreffen Mitarbeiter und Führungskräfte gleichermaßen. Der gängige Seminartitel "Gesundes Führen" geht bewusst in zwei Richtungen: gesunde Führung in Bezug auf die eigenen Mitarbeiter; gesunde Führung aber auch in Bezug auf die gesundheitlichen Effekte von Führung auf Führungskräfte selbst.

Besonders herausfordernd ist Führungsarbeit, die einerseits Ideen stimuliert und Austausch unterstützt, andererseits aber auch Stabilität und Identitätsstiftung garantiert. Besonders anspruchsvoll ist das für Führungskräfte im mittleren Management, bei denen oft nicht einmal die Hälfte der Arbeitszeit für Führung "reserviert ist".

Was macht die Mitarbeiterführung von morgen aus? Gefragt sind größere kommunikative Fähigkeiten, zahlenmäßig realistische Verhältnisse zwischen Führungskraft und Mitarbeitern und die schrittweise Entwicklung von Arbeitskulturen abseits klassischer Präsenzarbeit. Zugleich ist eine Renaissance der Wertschätzung persönlicher Begegnung zu erwarten. Wo persönliche Begegnung seltener wird, wird sie in Zukunft bewusster gestaltet und zunehmend als Auszeichnung verstanden werden.

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