Forum:Mehr Staat, weniger Markt

Forum: Dr. Sandra Heep, 35, leitet das Programm "Wirtschaftspolitik und Finanzsystem" am Mercator Institute for China Studies (MERICS).

Dr. Sandra Heep, 35, leitet das Programm "Wirtschaftspolitik und Finanzsystem" am Mercator Institute for China Studies (MERICS).

(Foto: Merics)

Chinas Eingriffe in die Aktienmärkte zeigen, dass es keine drastische Liberalisierung der Wirtschaft gibt.

Von Sandra Heep

Fast zwei Jahre ist es her, dass die Kommunistische Partei Chinas mit großem Brimborium verkündete: Marktwirtschaftliche Kräfte sollen von nun an eine entscheidende Rolle in Chinas Wirtschaftsgeschehen spielen. Angesichts sinkender Wachstumsraten, schwächelnder Exporte und einer ausufernden Verschuldung sollte die Entfesselung der unsichtbaren Hand als Allheilmittel der Wirtschaft neuen Schwung verleihen. Doch wer die derzeitige Entwicklung auf Chinas Aktienmärkten verfolgt, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Eliten des Parteistaats innerhalb weniger Monate eine 180-Grad-Wendung vollzogen haben. Hatte der Staat in den vergangenen zwölf Monaten entscheidend zur Blasenbildung beigetragen, so zieht er nun alle Register, um einen Kursverfall zu verhindern.

Die Kursentwicklung an Chinas Aktienmärkten stand schon immer in einem nur losen Zusammenhang zur volkswirtschaftlichen Entwicklung des Landes und dem Erfolg einzelner Unternehmen. Entscheidend für das Auf und Ab an der Börse waren vielmehr politische Signale. In den vergangenen zwölf Monaten hat die Regierung keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie einen Kursanstieg sehen möchte. Die Bevölkerung sah sich dazu ermuntert, in Aktien einzusteigen. Heerscharen von Kleinanlegern schenkten der Regierung blindes Vertrauen und stürzten sich begeistert in das Abenteuer Börse.

Der nüchterne Beobachter mag sich fragen, warum die Entwicklung einer Börsenblase im Interesse eines stabilitätsversessenen Parteistaats liegen sollte. Doch wer genauer hinschaut, kann ohne Weiteres verstehen, was eine Hausse aus Sicht der politischen Elite attraktiv erscheinen lässt: Hohe Börsenkurse können dazu beitragen, die prekäre Situation der Staatsunternehmen zu verbessern, die sich seit Ausbruch der globalen Finanzkrise massiv verschuldet haben. Denn Kursgewinne erlauben es ihnen, die Bilanzen zu verschönern und durch Kapitalerhöhungen im Handumdrehen an neue Finanzmittel zu gelangen.

Zudem hat der Börsen-Hype die Finanzierungsmöglichkeiten kleinerer Unternehmen im Technologiesektor verbessert. Die bekommen häufig keine Kredite, da die staatseigenen Banken Staatsfirmen als Kunden bevorzugen. Doch gerade private Technologiefirmen sind für die Umgestaltung des chinesischen Wachstumsmodells wichtig: Sie können dazu beitragen, dass die Wirtschaft stärker auf der Grundlage von Innovationen wächst.

Grundsätzlich kann der staatlich orchestrierte Börsenboom auch als Reaktion auf die immer offenkundiger werdenden Grenzen der Geldpolitik verstanden werden: In den vergangenen Monaten hat die Zentralbank sowohl den Leitzins als auch den Mindestreservesatz mehrfach gesenkt. Allerdings haben diese Maßnahmen nicht die gewünschte Wirkung gezeigt: Die Finanzierungskosten für Unternehmen bleiben hoch, und die Banken vergeben nur zögerlich Kredite. Der Versuch, die Wirtschaft über den Umweg der Börsenkurse zu stimulieren, war daher als Ausweg aus der geldpolitischen Klemme willkommen.

Nicht zuletzt war ein rasanter Kursanstieg auch dazu geeignet, angesichts einer schwächelnden Wirtschaft positive Stimmung zu verbreiten und die Bevölkerung zum Konsum zu animieren.

Daher erscheint es nur folgerichtig, dass der Parteistaat derzeit nichts unversucht lässt, um dem massiven Kursverfall Einhalt zu gebieten. Denn kommt es nicht in kürzester Zeit zu einer Trendwende auf den Aktienmärkten, drohen politische Proteste. Zahllose Kleinanleger fühlen sich von der Partei im Stich gelassen und machen sie dafür verantwortlich, dass sie ihr Börsenabenteuer mit einem Schuldenberg bezahlen müssen. In ihrer Wut können sie zu einer Herausforderung für das politische System werden.

Die Kommunistische Partei hat ihre Versprechen gebrochen

Gelingt es dem Parteistaat nicht, die Märkte zu beruhigen, wird der Vertrauensverlust zu einem weiteren Absinken der Wachstumsraten führen. Privatunternehmen im Technologiesektor, die von der Hausse besonders profitiert haben, wären erneut mit immensen Finanzierungsschwierigkeiten konfrontiert. Auch würden die Verluste der Kleinanleger die Binnennachfrage weiter schwächen. Und so stünden Chinas Wirtschaft äußerst schwere Zeiten bevor. Peking hat daher eines der umfangreichsten Interventionspakete geschnürt, das die Finanzwelt je gesehen hat: Das Spektrum reicht von der Aufhebung von Restriktionen für kreditfinanzierte Aktienkäufe über die Einstellung von Börsengängen bis zur Mobilisierung staatlicher Investoren, die die Kurse durch Aktienkäufe stabilisieren sollen. Selbst die Zentralbank macht mobil, indem sie die beteiligten Spieler mit Geldspritzen versorgt.

Seinen Reformankündigungen widersprechend hat der Parteistaat sich also nicht von den Aktienmärkten zurückgezogen, sondern seine Präsenz massiv ausgeweitet.

Doch die Kommunistische Partei hat ihre Versprechungen nicht nur in Bezug auf die Börsen gebrochen. Ein weiteres Beispiel ist die Finanzierung von Regierungen auf Provinz-, Großstadt- und Kommunalebene. Auch hier durften sich die Kräfte des Marktes entgegen der geweckten Erwartungen bislang nicht entfalten. Die Pläne des Finanzministeriums zielten darauf ab, die Abhängigkeit lokaler Regierungen von kurzfristigen Bankkrediten zu reduzieren und ihnen eine nachhaltige Finanzierung über die Anleihemärkte zu ermöglichen.

Dieses Vorhaben drohte jedoch zu scheitern, weil kein Investor dazu bereit war, die niedrigverzinsten Papiere zu kaufen. So entschloss sich die Regierung kurzerhand dazu, die staatseigenen Banken in gewohnter Manier zum Kauf der Anleihen zu verpflichten. Marktwirtschaftliche Kräfte, die Preise auf der Grundlage von Risikoeinschätzungen beeinflussen, sucht man somit auch hier vergeblich.

In den vergangenen Monaten konnten die Regierenden offensichtlich nicht der Versuchung widerstehen, sich angesichts zunehmender wirtschaftlicher Probleme altbewährter Mittel zu bedienen, die zumindest eine vorübergehende Linderung versprachen. Die Verweigerung gegenüber marktwirtschaftlichen Methoden hat aber auch einen tieferliegenden Grund: Sie sind schlicht und ergreifend nicht mit dem umfassenden Kontrollanspruch der Parteiführung unter Xi Jinping gegenüber Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu vereinbaren. Wer das Zepter fest in der Hand halten will, weiß mit den Mätzchen des Marktes wenig anzufangen.

Es ist daher an der Zeit, sich von der Hoffnung auf eine drastische wirtschaftliche Liberalisierung unter Staatspräsident Xi Jinping zu verabschieden.

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