Forum:Machtstrukturen aufbrechen

Collage

Walther Otremba (li.) war Staatssekretär im Wirtschafts-, Finanz-, und Verteidigungsministerium. Karl-Theodor zu Guttenberg, früher Bundesminister für Wirtschaft und Verteidigung, leitet die von ihm 2013 gegründete New Yorker Investment- und Consultingfirma Spitzberg Partners.

Kryptowährungen wie Bitcoin könnten uns vor der Geldpolitik schützen. Selbst Fachleute aus dem traditionellen Finanzwesen sehen ein großes Potenzial.

Von Karl-Theodor zu Guttenberg und Walther Otremba

Bis in die Neuzeit hat man mit dem Aderlass versucht, ein ganzes Bündel von Krankheiten zu heilen, vom Fieber bis zur Lungenentzündung. Nicht nur der bedauernswerte George Washington musste unter dieser Therapie frühzeitig das Zeitliche segnen, ehe man von dieser "one size fits all"-Methode abkam.

Die Geldpolitik zapft zwar aktuell nichts ab, sondern füllt ein - aber es gibt durchaus Parallelen zur mittelalterlichen Medizin. Verstärkt seit der Finanzkrise 2008/2009 traut man ihr geradezu Wunderdinge zu. Sie soll nicht nur den Finanzsektor vor dem Zusammenbruch bewahren, sondern zugleich globales Wachstum garantieren. Mit ihrer Hilfe soll die Inflation auf ziemlich genau zwei Prozent erhöht, aber auch begrenzt werden. Die Staatshaushalte sollen durch niedrigste Zinssätze vor der endgültigen Überschuldung bewahrt werden. Speziell in Europa ist noch das Euro-System vor dem Auseinanderfallen zu bewahren - "whatever it takes".

Völlig vergessen ist dabei das ökonomische Gesetz des Wirtschaftsnobelpreisträgers Jan Tinbergen, nach dem man für jedes wirtschaftspolitische Ziel ein unabhängiges Instrument benötigt. Zu stark ist die Versuchung, mit dem scheinbaren Wundermittel Geld schwierig erscheinende Wege der Wirtschaftspolitik abzukürzen.

Geld war eine geniale Erfindung der Menschen zur drastischen Vereinfachung des Tauschhandels und Aufbewahrung von Werten. Die frühe Geldwirtschaft funktionierte auch ohne den Staat. Aber es hatte Vorteile, dass die "Obrigkeit" sich zunehmend die Kontrolle des Geldumlaufs sicherte. Nicht zuletzt wuchs damit das Vertrauen in die Werthaltigkeit von Währungen. Es gab aber auch immer Schattenseiten staatlicher Währungshoheit. Mit der Beimischung unedler Stoffe versuchte man, die Herstellung von Münzen zu verbilligen. Das führte über kurz oder lang zur Inflation. Später finanzierte man mit letztlich wertlosem Papiergeld fürchterliche Kriege und betrog die überlebenden Sparer um ihr Vermögen. Und wenn die Staaten ihre Schulden nicht mehr tragen konnten, flohen sie in die Inflation und entwerteten damit die ausgegebenen Anleihen.

Stets haben die Menschen versucht, sich gegen solche Praktiken zu wehren. In Krisenzeiten ging man unter hohen Effizienzverlusten wieder zum Tauschhandel über oder floh in Sachwerte, was am Ende oft zu Preis-Blasen führte, die unter schweren Schäden für die Volkswirtschaften platzten.

Diese historischen Betrachtungen führen zu der Frage: Wem gehört das Geld und wer bestimmt, wie viel wir brauchen? EZB-Chef Draghi und seine Kollegen in den Notenbanken sagen: Das Geld gehört uns, wir bestimmen über seine Menge. Damit steuern wir, wie viel die Menschen investieren und einkaufen. Ein bemerkenswertes Selbstverständnis. War es nicht ursprünglich andersherum? Geld entstand aus dem Tausch - also bestimmte das Tauschvolumen das erforderliche Geldvolumen.

Im Grunde geht es um die alte Auseinandersetzung zwischen "Banking-" und "Currency-Theorie". Die erste sagt: "Das Einkommen bestimmt die Geldnachfrage" - danach würde ein zu großer Geldmantel letztlich wirkungslos bleiben. Was heute indes die Geldpolitik leitet, stammt mit tausend Verfeinerungen aus der "Currency-Schule". Danach bestimmt die Geldmenge die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und die Güterpreise. Das ist nicht grundsätzlich falsch. Aber weil es zu einem stur verteidigten Dogma wurde, haben wir heute die absurde Situation, dass der Gläubiger für sein Geld Zinsen zahlt. Gleichzeitig profitieren die - meist staatlichen - Schuldner umso stärker, je mehr Anleihen sie auf die Reise schicken, denn einige bekommen dafür auch noch Geld geschenkt.

Zufall oder nicht, mit Beginn der Finanzkrise 2008 erblickte das Konzept des Kryptogeldes das Licht der Welt. Dieses Handelsmedium beruht auf weltweit vernetzten Datenblöcken, der sogenannten Blockchain, die jeden Geschäftsvorfall dauerhaft auf unzähligen Rechnern protokollieren und so weitgehend Fälschungssicherheit gewährleisten.

Kryptogeld, etwa Bitcoin, ist zurzeit noch eine rein private Währung, die weder mit negativen Zinsen noch mit Besitzverboten - wie Bargeld - belegt werden kann. Theoretisch könnte sie also eine Antwort auf die zunehmende Zweckentfremdung der staatlichen Geld- und Kreditversorgung sein. Die noch relativ geringe Verbreitung, die Verwendung als Instrument zur Geldwäsche, gewaltige Kursschwankungen sowie Betrugs- und Hacking-Versuche stehen dem noch entgegen.

Aber selbst für Fachleute im traditionellen Finanzwesen haben die neuen Technologien ein großes Potenzial. Der Pionier Bitcoin mag mit seinen Geburtsschwächen irgendwann zugunsten eines optimierten Folgeinstruments geopfert werden. Mit einer dezentralen Datenbank lassen sich weltweite Zahlungsvorgänge vereinfachen und beschleunigen. Der Zahlungsverkehr würde preisgünstiger, weil Vermittlerdienste - wie Korrespondenzbanken - entfallen, und die Transparenz nähme durch die Einsehbarkeit aller Transaktionen zu.

Der klassische Banken-und Finanzsektor hat der Blockchain in den ersten Jahren lediglich ein hochmütiges Lächeln geschenkt. Dieses Gehabe ist augenscheinlicher Hektik gewichen. Mehr als 40 Großbanken haben sich zu einem Testprojekt sogenannter "distributed ledgers" zusammengeschlossen, einzelne Industriekonsortien erproben die Technologie für Transaktionen oder im Wertpapierhandel.

Und die Zentralbanken? Nach den historischen Missbrauchserfahrungen sind viele von ihnen formal unabhängig. Gesellschaftlicher Druck stellt dies indes immer wieder infrage. Könnte Kryptogeld demnach eine Alternative sein, um die Geldversorgung allein wieder in den Dienst von Handel und Kapitalbildung zu stellen?

Die Notenbanken beginnen nach einer Phase der gepflegten Ignoranz das Potenzial zu erkennen. Freilich mit unterschiedlichen Blickwinkeln. Während einige Bitcoin und Co als ultimativen Wettbewerber sehen, räsonieren andere über die Herausgabe eigenen Kryptogeldes. Letzteres muss jedoch äußerst kritisch begleitet werden. Sollte ein durchaus revolutionäres dezentrales Instrument ungebremstem Zentralisierungseifer unterfallen, befänden wir uns wieder am Ausgangspunkt der Währungshoheit. Die fragwürdige Wundermedizin hätte lediglich einen neuen Beipackzettel. Umgekehrt gilt: Das Netz hat schon früher geholfen, Machtstrukturen aufzubrechen. Allein die Existenz einer Ausweichwährung könnte zum Überdenken geldpolitischer Experimente führen, deren Zeit womöglich längst abgelaufen ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: