Forum:Höchst problematisch

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Ludger Schuknecht (links) arbeitet als Chefökonom im Bundesfinanzministerium; Thomas Westphal ist Abteilungsleiter Europa im Bundesfinanzministerium.

(Foto: Imago, OH)

Die von der EU-Kommission geplante "Globalsteuerung" in der Finanzpolitik hilft der Euro-Zone nicht weiter. Sie sollte lieber auf nachhaltige Haushaltspolitik hinwirken.

Von Ludger Schuknecht und Thomas Westphal

Mitte November bezog die Europäische Kommission Stellung zu den Haushaltsplänen der Mitgliedstaaten. Sie erklärte einen "besonderen politischen Willen", und der zuständige Kommissar kündigte an, wie ein "europäischer Finanzminister" handeln zu wollen. Die Kommission will die Haushaltspolitiken der Mitgliedstaaten an der gesamten Eurozone ausrichten - um Konjunkturpolitik zu betreiben.

Dass es um laxere Finanzpolitik geht, daran ließ die Kommission keinen Zweifel: Wegen "zunehmender globaler Unsicherheiten" sei es trotz anziehender Binnenkonjunktur angemessen, dass die Euro-Mitgliedstaaten 2017 durchschnittlich einen halben Prozentpunkt des Bruttoinlandsprodukts (BIP) mehr ausgeben als derzeit vorgesehen - rund 50 Milliarden Euro. Mehr ausgeben sollen vor allen Deutschland und die Niederlande, wo, so die Kommission, die Haushaltslage dies erlaube.

Der Anspruch der Kommission ist politisch wie ökonomisch höchst problematisch. Die derzeitige fiskalpolitische Ausrichtung der Eurozone hat nichts mit Austerität zu tun, auch wenn dies in Fachkreisen oft behauptet wird. Die Haushaltspolitiken aller großen Euro-Staaten sind neutral bis expansiv ausgerichtet. Die enormen Haushaltsentlastungen durch die niedrigen Zinsen werden in den wenigsten Euroländern wie vereinbart zur Schuldenrückführung genutzt.

Die Kommission argumentiert, höhere Ausgaben in Staaten mit finanziellen Spielräumen beflügelten die Wirtschaft in den anderen Mitgliedstaaten. Dies gelte insbesondere dann, wenn die EZB die Zinsen niedrig halte. Dafür gibt es allerdings keine Evidenz. Alle Übertragungseffekte sind denkbar klein. Die Bundesbank rechnet damit, dass zusätzliche, defizitfinanzierte Ausgaben in Höhe von einem Prozent des BIP gerade mal einen Wachstumseffekt in der Eurozone von 0,15 Prozent hätten. In anderen Worten: Mit öffentlichen Geldern Brücken und Straßen in Deutschland zu bauen, ebnet Portugal nicht den Weg in eine bessere wirtschaftliche Zukunft.

Europa muss seinen Jugendlichen Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten bieten

Die Kommission begibt sich auf einen Weg, den man in den Siebzigerjahren "Globalsteuerung" nannte. Damals waren Ökonomen und Politiker von dem Glauben beseelt, Volkswirtschaften und Konjunkturzyklen feinsteuern zu können. Die Idee solcher Feinsteuerung hat uns in der Wirklichkeit den Anstieg der staatlichen Verschuldung beschert, der in der Krise 2009 zu einer Schuldenkrise in der Europäischen Währungsunion geführt hat. Die Kommission schürt nicht nur Erwartungen, die sich bei konjunkturpolitischen Maßnahmen schon auf nationaler Ebene als wenig versprechend erwiesen haben. Sie lenkt den Blick weg von strukturellen Herausforderungen, die oft erst mit der Zeit deutlicher zu Tage treten. Diese lassen sich nicht mit Konjunkturspritzen kurieren.

Die Eurozone wächst heute mit 1,7 Prozent jährlich und damit deutlich über dem "Potenzial" von nur etwa einem Prozent. In so einer Situation geht es darum, das Wachstumspotenzial zu steigern und nicht, Defizit finanzierte Strohfeuer zu entfachen. Dafür muss sich Europa um die Verbesserung der Investitionsbedingungen kümmern und muss seinen Jugendlichen Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Und dafür müssen wir die Möglichkeiten unseres Binnenmarktes besser ausschöpfen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat bereits vor zwei Jahren, gemeinsam mit dem italienischen Kollegen Pier Carlo Padoan, Vorschläge zur Belebung der Investitionen gemacht, und vor einem Jahr hat er eine Neuausrichtung des EU-Budgets auf die Finanzierung von Zukunftstechnologien und die nötigen nationalen Reformen gefordert. Passiert ist wenig.

In der Koordinierung der nationalen Haushaltspolitiken der Euroländer kommt der Kommission eine im Maastrichtvertrag festgeschriebene Rolle zu. Diese liegt allerdings nicht darin, wie heute von der Kommission angeregt, von Ländern, die an einer nachhaltigen Haushaltspolitik arbeiten, zusätzliche Ausgaben zu fordern. Stattdessen sollte sie auf eine nachhaltige Haushaltspolitik in allen Euroländern hin wirken.

Hier gibt es viel zu tun. 14 von 19 Euroländern überschreiten bei den Schulden den Grenzwert von 60 Prozent des BIP - Deutschland mit knapp 70 Prozent eingeschlossen. Trotz anziehender Konjunktur sind in fünf Euro-Staaten die Schulden auf Rekordhöhen von teils weit über 100 Prozent geklettert. Die Schere zwischen Deutschland und Frankreich geht immer weiter auf.

Der Vorschlag der Kommission würde die Schuldenstände weiter in die Höhe treiben. Eine wesentliche Lehre aus den Krisenjahren droht vergessen zu werden. Jedes einzelne Land in der Währungsunion muss die Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik sicher stellen. Denn sie ist eine zwingende Voraussetzung für das Vertrauen der Investoren, den Zugang zu den Finanzmärkten und für robustes Wachstum und Beschäftigung ist. Wir dürfen uns nicht auf die unbegrenzte Fortsetzung der ultralockeren Geldpolitik verlassen.

Die deutsche Erfahrung zeigt, dass eine glaubwürdige Konsolidierungsstrategie für die öffentlichen Haushalte Vertrauen und Wachstum stärkt. 2010 wurde die Schuldenbremse in der Verfassung verankert, seit 2012 ist der Staatshaushalt fast ausgeglichen. Die Regierung hat sich Spielräume erarbeitet, um öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Forschung mit einem Plus von fünf Prozent auf Jahre hinaus überproportional zu steigern. Dies hilft, Spitzenplätze bei der globalen Wettbewerbsfähigkeit zu halten.

Aber warum nicht mehr Stimulus, wie die Kommission es fordert? IWF und OECD prognostizieren absehbar eine Überauslastung der Volkswirtschaft. Mit derzeit mehr als 43,7 Millionen Erwerbstätigen herrscht Rekordbeschäftigung, die Reallöhne steigen deutlich, Fachkräfte werden in einigen Branchen dringend gesucht. Deutschland ist deshalb gewiss kein Land, dem man derzeit höhere Staatsausgaben zur Konjunkturstimulierung vernünftigerweise nahe legen sollte.

Wir sollten keine Empfehlungen aussprechen, die unsere gemeinsamen Fiskalregeln schwächen und die nicht in die Landschaft heutiger Schuldenberge passen. Ebenso wenig sollten wir Steuerungsillusionen staatlichen Handelns befördern.

In leistungsfähigen Marktwirtschaften werden die meisten Investitionen von privaten Unternehmen und Haushalten getätigt. Regierungspolitik kann über wachstumsfreundliche Standortbedingungen zu mehr Dynamik beitragen, über liberalisierte Dienstleistungen, verbesserte Berufsausbildung, demografiefeste Rentensysteme oder modernisierte öffentliche Sektoren. In diesen Punkten liegt die Kommission mit ihren Empfehlungen richtig und weiß Deutschland an ihrer Seite: Politik sollte ihre endlichen Kräfte für reale Problemlösungen einsetzen, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen.

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