TTIP-Handelsgerichtshof:Gabriels kluger Vorschlag

TTIP

Streit um Investitionsschutz bei TTIP: Die Flaggen der USA und der Europäischen Union

(Foto: dpa)

Ein TTIP-Handelsgerichtshof statt der umstrittenen Schiedsgerichte? Sigmar Gabriels Vorschlag könnte den Streit um den Investorenschutz beim Abkommen TTIP entschärfen.

Gastbeitrag von Henning Klodt

Nach langem Ringen um die deutsche Position zum geplanten TTIP-Abkommen hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel einen europäisch-amerikanischen Handelsgerichtshof vorgeschlagen. Damit will er den Streit um den Investorenschutz beilegen, der in der öffentlichen Debatte zunehmend für Unmut sorgt. Dieser Vorschlag ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Denn die ursprünglichen Vorstellungen, die die Europäische Kommission zu diesem Thema in den TTIP-Verhandlungen verfolgt hatte, waren mehr als bedenklich. Vorgesehen war, das sogenannte Investor-State Dispute Settlement (ISDS) nach Mustern zu regeln, wie sie in vielen anderen Investitionsschutzabkommen lange Tradition haben: Klagen von Investoren sollten vor privaten Schiedsgerichten verhandelt werden, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen und deren Schiedssprüche ebenfalls geheim bleiben.

Die Befürworter einer derartigen Vertragskonstruktion argumentieren, es gäbe auf der Welt mehr als 3000 Abkommen ähnlicher Art. Allein Deutschland habe in den vergangenen Jahrzehnten über 130 derartige Abkommen mit entsprechender Ausgestaltung unterzeichnet und bislang kaum Probleme mit ihnen gehabt.

Henning Klodt

Prof. Dr. Henning Klodt leitet das Zentrum Wirtschaftspolitik am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Forschungsschwerpunkt: Globalisierung.

(Foto: oh)

Das mag für die Vergangenheit zutreffen, aber das muss keineswegs so bleiben. Es gibt Anzeichen, dass ISDS-Verfahren in zunehmendem Maße zweckentfremdet werden, indem sie als Grundlage für Schadenersatzprozesse herhalten müssen, für die diese Abkommen ursprünglich nie gedacht waren. Ein viel zitiertes Beispiel ist die Klage von Philip Morris gegen ein in Australien erlassenes Gesetz, das Werbung auf Zigarettenschachteln verbietet. Eine unmittelbare Klage des Marlboro-Herstellers war nicht möglich, da es kein entsprechendes Schutzabkommen zwischen den USA und Australien gibt. Philip Morris gründete daraufhin eine Niederlassung in Hongkong und klagte von dort aus gegen das Plain-Packaging-Gesetz, denn zwischen Hongkong und Australien gibt es ein Investorenschutzabkommen.

Noch offenkundiger ist die Zweckentfremdung im Falle Lone Pine. Das kanadische Unternehmen aus dem Öl- und Gassektor klagt gegen die Provinzregierung von Quebec, die ein Fracking-Moratorium erlassen hat. Diese Klage wird jedoch nicht vor nationalen kanadischen Gerichten geführt, sondern vor einem privaten Schiedsgericht, das die US-Tochter von Lone Pine auf Grundlage des Nafta-Vertrags angerufen hat. Sicherlich war der Nafta-Vertrag nie dazu gedacht, die Klagemöglichkeiten kanadischer Unternehmen gegenüber ihrem eigenen Heimatland zu verbessern.

Der dritte viel diskutierte Fall ist die Klage von Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland, in der der schwedische Energiekonzern eine Schadenersatzforderung in Höhe von 4,7 Milliarden Euro aufgrund des von der Bundesregierung beschlossenen Atomausstiegs geltend macht. Grundlage dieser Klage ist die Energiecharta, die im Jahr 1994 von 53 Staaten unterschrieben wurde und die sicherlich nicht dem Ziel dienen sollte, ausländischen Energiekonzernen bessere Klagemöglichkeiten gegen den Atomausstieg als nationalen Unternehmen wie RWE oder EnBW einzuräumen.

Die Anzahl der Fälle, die vor privaten Schiedsgerichten verhandelt werden, steigt nahezu exponentiell. Entsprechende Statistiken, die von der Unctad in Genf geführt werden, weisen für das Jahr 2000 insgesamt rund 50 registrierte Fälle aus, für das Jahr 2014 dagegen schon mehr als 600 Fälle. Zumindest zwischen den Zeilen ist auch bei der Unctad die Sorge herauszulesen, dass internationaler Investorenschutz zunehmend für Partikularinteressen multinationaler Konzerne missbraucht wird und gesellschaftliche Interessen ins Hintertreffen geraten.

Investitionsschutz - eine deutsche Erfindung

Dabei ist die Grundidee des internationalen Investorenschutzes durchaus positiv. So haben von dem allerersten Investitionsschutzabkommen, das Deutschland 1959 mit Pakistan geschlossen hat, beide Seiten Vorteile gehabt. Auf der einen Seite stehen deutsche Investoren, die einen besseren Schutz vor willkürlicher Benachteiligung oder gar Enteignung bekamen. Aber auch für Pakistan selbst bot das Abkommen Vorteile. Zwar schränkte es die Souveränität im Umgang mit internationalen Investoren ein, aber es machte das Land überhaupt erst attraktiv für international mobile Investoren. Das Vertrauen in die Rechtssicherheit, das Pakistan selbst nicht bieten konnte, lieh es sich gleichsam von den privaten Schiedsgerichten, denen sich das Land unterwarf. Gerade für die ärmsten der armen Länder bieten Investitionsschutzabkommen eine wirkungsvolle Möglichkeit, ihre Attraktivität für internationale Investitionen zu erhöhen.

Als Ideallösung, wie die berechtigten Interessen des Investorenschutzes gewahrt und zugleich eine Zweckentfremdung der Schutzabkommen vermieden werden kann, bietet sich die Etablierung eines internationalen Investitionsgerichtshofs an. Er sollte grundsätzlich öffentlich tagen und auch eine Revisionskammer enthalten.

Ein wesentlicher Vorzug eines solchen Gerichtshofs wäre, die Richterposten mit international anerkannten und allgemein akzeptierten Persönlichkeiten besetzen zu können. Heute werden die Schiedsgerichte für jeden Streitfall neu zusammengesetzt, und es ist starken Zufällen unterworfen, wie die Schiedsrichterpositionen personell besetzt werden. Vor allem aber könnte ein fest installierter Investitionsgerichtshof im Laufe der Jahre eine Kontinuität in der Rechtsprechung entwickeln, die den jeweils von Fall zu Fall neu zusammengesetzten privaten Schiedsgerichten zwangsläufig fehlt.

So attraktiv ein internationaler Investitionsgerichtshof erscheint, so hat er doch in Zusammenhang mit TTIP eine entscheidende Schwachstelle: Es gilt offenbar ein ungeschriebenes Grundgesetz der US-amerikanischen Politik, dass ein Amerikaner nur vor ein amerikanisches Gericht gestellt werden darf. So haben die Vereinigten Staaten weder den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag noch den Internationalen Seegerichtshof in Hamburg akzeptiert. Einem internationalen Investitionsgerichtshof würde es wahrscheinlich nicht besser ergehen.

Vor diesem Hintergrund könnte sich Gabriels Vorschlag, zunächst einmal einen europäisch-amerikanischen Handelsgerichtshof einzurichten, als geschickter Schachzug erweisen. Der TTIP-Streitpunkt Investorenschutz wäre entschärft, und es böte sich die Chance, dass dieser Handelsgerichtshof auf längere Sicht doch noch zu einem veritablen Investitionsgerichtshof fortentwickelt werden könnte.

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