Forum:Für ein Alter in Würde

Annelie Buntenbach
(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Das Rentenniveau muss auf 50 Prozent steigen. Sonst droht vielen Menschen in Zukunft der soziale Abstieg oder sogar Altersarmut. Ein Sachzwang ist das aber nicht. Mit einem Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik ist das zu schaffen.

Von Annelie Buntenbach

Kein akuter Handlungsbedarf bei der Rente? Das kann niemand ernsthaft glauben - auch diejenigen nicht, die das in ihr Wahlprogramm geschrieben haben. Weiter so heißt: fortgesetzter schleichender Wertverlust der gesetzlichen Rente, finanzieller Rückzug der Arbeitgeber und Privatisierung der Alterssicherung.

Für viele Menschen bedeutet das in Zukunft sozialen Abstieg im Alter oder sogar Altersarmut. Ein Sachzwang ist das nicht. Die Alternative - für die sich die Gewerkschaften starkmachen - heißt Kurswechsel zur Stärkung der gesetzlichen Rente, mit einem stabilen, höheren Rentenniveau, einer paritätischen Kostenbeteiligung der Arbeitgeber und einer Rente, die für ein Leben in Würde reicht.

Wenn das Rentenniveau sinkt, steigt das Armutsrisiko im Alter, weil mehr Beitragsjahre nötig sind, um eine bestimmte Rentenhöhe zu erreichen. Bei niedrigem Lohn oder wenigen Beitragsjahren wird es immer schwieriger, mit der Rente überhaupt über dem Niveau der Grundsicherung zu landen. Bei einem höheren Rentenniveau ist das deutlich leichter. Dabei reden wir nicht vom nominellen Rentenzahlbetrag, denn der wird so sicher steigen, wie früher die Kugel Eis 20 Pfennig gekostet hat. Entscheidend ist, ob die Renten mit den Löhnen wachsen. Seit der Gesetzesänderung 2001 ist das nicht mehr der Fall, im Gegenteil.

Gute Löhne sind das A und O, im Arbeitsleben und auch später für die Rente, am besten mit guten Tarifverträgen und sozialer Absicherung. Aber angesichts der nach wie vor tiefen Spaltung am Arbeitsmarkt liegt noch eine anstrengende Aufholjagd vor uns, wenn wir das Ziel guter Arbeit erreichen wollen. Daran sollten sich auch alle politischen Parteien beteiligen. Wer stattdessen in dem Land mit dem größten Niedriglohnbereich Westeuropas, in dem jeder

Fünfte arbeiten muss, die alte und falsche Behauptung wieder ausgräbt, sozial sei, was Arbeit schafft, ist entweder ökonomischer Analphabet oder trifft bewusst die Entscheidung für den Rückweg in die sozialpolitische Barbarei. Das ist meilenweit vom Versprechen der sozialen Marktwirtschaft entfernt, dass jede und jeder von seiner Arbeit leben kann und sozial abgesichert ist - bei Krankheit, Arbeitslosigkeit - und eben auch im Alter.

Deshalb wollen wir Reformen am Arbeitsmarkt und bei der Rente. Es gilt, das Rentenniveau auf dem heutigen Stand von 48 Prozent zu stabilisieren und im weiteren Schritt wieder anzuheben, etwa auf 50 Prozent. Nur so können wir für die Zukunft eine gute, auskömmliche Rente für alle sichern. Nach unseren Berechnungen würde der Beitragssatz über 30 Jahre langsam auf etwa 25 Prozent steigen. Das sind rund 1,5 Prozentpunkte mehr als ohnehin prognostiziert. Riesengroß wäre aber der Unterschied in den Leistungen: Wer heute Ende 30 ist und in den 2040er-Jahren in Rente geht, könnte mit rund 250 Euro mehr Rente im Monat rechnen (in heutigen Werten).

Wer behauptet, sozial sei, was Arbeit schafft, ist ökonomisch ein Analphabet

Zur Finanzierung müssten außerdem die Bundeszuschüsse jährlich um rund zwei Milliarden Euro mehr steigen als bislang vorgesehen. Die sogenannte Mütterrente (sieben Milliarden pro Jahr) sollte komplett aus Steuermitteln finanziert, die Selbständigen müssten schrittweise in den Schutz der Rentenversicherung einbezogen werden. Das alles bei einer deutlich verbesserten Erwerbsminderungsrente und ohne steigende Rentenaltersgrenze.

Ein solcher Kurswechsel in der Rentenpolitik ist machbar, dafür liegen durchgerechnete Finanzierungsvorschläge auf dem Tisch. Trotzdem wird man es nicht allen recht machen können. Die Begeisterung der Arbeitgeber wird sich in engen Grenzen halten.

Ein sinkendes Rentenniveau senkt nämlich nicht nur den Wert aller Renten, sondern auch den Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung. Davon profitieren die Arbeitgeber, weil ihre Kosten sinken. Aber für die Beschäftigten steigen die Kosten. Sie müssen privat vorsorgen, damit die Rente später nicht allzu niedrig ausfällt - nur aus der eigenen Tasche und an einem Kapitalmarkt, dessen Risiken spätestens seit dem Finanzmarktcrash 2008/2009 jeder kennt. Und vier Prozent "riestern" reicht nicht, um die Lücke zu schließen, die in der gesetzlichen Rente gerissen worden ist.

Noch schlechter dran ist, wer so wenig verdient, dass er oder sie sich private Vorsorge überhaupt nicht leisten kann und sehenden Auges auf eine viel zu schmale Rente zusteuert. Die Verfechter eines sinkenden Rentenniveaus nennen das gerne schönfärberisch "Eigenverantwortung". Als seien arbeitende Menschen nicht für sich selbst verantwortlich, bloß weil sie in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Und als würden sich diejenigen, die zu wenig verdienen, vor Verantwortung drücken.

Unzufrieden mit einem rentenpolitischen Kurswechsel wären voraussichtlich auch jene Ökonomen und Politiker, die seit Jahren, ausgerechnet im Namen der Generationengerechtigkeit, für mehr und schnellere Kürzungen der gesetzlichen Rente plädieren. Sie wollen mehr Kapitalmarkt und ein noch höheres gesetzliches Renteneintrittsalter, vorzugsweise automatisch gekoppelt an die steigende Lebenserwartung. Der schleichende Anstieg würde dann auch gleich unangenehme politische Diskussionen unterbinden. Aber die Entscheidung über das Renteneintrittsalter darf nicht einem Automatismus überantwortet werden, der Statistik an die Stelle politischer Gestaltung setzt. Dass die allgemeine Lebenserwartung steigt, verdeckt nämlich, dass der Gewinn an Lebensjahren sehr unterschiedlich verteilt ist. Wer ein hartes Arbeitsleben hat und wenig verdient, hält im Job nicht so lange durch und stirbt früher. Und zahlt die Zeche - ganz automatisch.

Das Renteneintrittsalter zu erhöhen, ist nicht mal auf den ersten Blick ein gutes Angebot an die junge Generation. Wer 2050 in Rente geht, ist heute 30. Ginge es nach den selbsternannten Kreuzrittern der Generationengerechtigkeit, würde diese Generation länger arbeiten, weniger Rente bekommen, höhere Beiträge zahlen und zusätzlich privat vorsorgen müssen. Was für ein schlechter Deal! Von einem Kurswechsel zur Stärkung der gesetzlichen Rente profitieren Rentner oder rentennahe Jahrgänge am wenigsten - von wegen "Rentnerdiktatur"!

Ein höheres Rentenniveau hilft gerade den Jungen, die heute vielleicht kaum einen Gedanken ans Alter verschwenden. Wir denken daran, streiten dafür bis zum Wahltag und darüber hinaus - damit die Rente der jüngeren Generation später nicht unter der Grasnarbe liegt.

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