Forum:Den Arbeitsmarkt öffnen!

Forum: Volker Grossmann ist Professor für Makroökonomie, Internationale Industrie-und Wachstumspolitik an der Universität Fribourg (Schweiz).

Volker Grossmann ist Professor für Makroökonomie, Internationale Industrie-und Wachstumspolitik an der Universität Fribourg (Schweiz).

(Foto: privat)

Angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen nach Europa wollen viele Deutsche die Grenzen abschotten. Besser für alle Seiten wäre es aber, die hiesigen Arbeitsmärkte gezielt für Migranten zu öffnen. Die Expertenmeinung am Montag.

Von Volker Grossmann

Angesichts der großen Flüchtlingszahlen nach Europa heißt es oft, dass man an Leib und Leben bedrohte Flüchtlinge und andere Migrationswillige auseinanderhalten müsse. Dabei gibt es einen entscheidenden Denkfehler, der zu der hohen Zahl der Asylanträge beispielsweise von Menschen vom Balkan beiträgt. Er liegt gerade darin, dass die derzeitige Migrationspolitik eine reguläre Arbeitsaufnahme in der EU für viele Menschen beinahe unmöglich macht. Entsprechend möchten viele Politiker die Zahl der Asylanträge durch weitere Einschränkung des individuellen Asylrechts reduzieren, etwa mittels Ausweitung der Zahl der "sicheren Herkunftsländer". Allerdings ist dieses Konstrukt schon heute höchst problematisch. Deutschland hat beispielsweise aufgrund dessen bereits deutlich höhere Ablehnungsquoten für Zuflucht suchende Sinti und Roma als viele andere Länder.

Zielführender und menschenfreundlicher zugleich wäre es, die Migrationschancen in den Arbeitsmarkt von Nicht-EU-Ausländern gleichzustellen mit denen von EU-Bürgern. Es geht genau nicht darum, dass jeder unbefristet nach Deutschland einreisen können darf und anschließend durch Sozialleistungen versorgt wird. Das ist trotz Freizügigkeitsregelung bereits innerhalb der EU ausgeschlossen.

Es geht vielmehr um die Möglichkeit der Arbeitssuche und - falls diese erfolgreich sein sollte - den Erhalt des Aufenthaltsrechts ohne den heute aufgrund mangelnder Alternative oft eingeschlagenen Umweg eines Asylantrags. Sofern die gleichzeitige Arbeitssuche und Asylantragsstellung ausgeschlossen wäre, könnte man also die Belastung der fürs Asyl zuständigen Verwaltungsgerichte reduzieren, ohne das Asylrecht einzuschränken.

Doch würden die bestehenden Probleme auf den europäischen Arbeitsmärkten durch Erhöhung der Migrationschancen von außerhalb der EU nicht noch verstärkt? Es gibt wohl kein Gebiet der Volkswirtschaftslehre, in dem wissenschaftliche Erkenntnis und öffentliche Meinung so weit auseinanderklaffen wie bei der Migrationsforschung . Eine Arbeitsmarktöffnung für Zuwanderungswillige würde außer zu Zeiten eines Wirtschaftsbooms ohnehin eine überschaubare Immigration hervorrufen und in schlechten Zeiten sogar zu Nettoabwanderung führen - das hat die Erfahrung mit der EU-Osterweiterung bereits gezeigt. Die Voraussetzung für die Immigration außerhalb des Asyls wäre ja gerade ein Arbeitsplatz.

Die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte wirkt sich immer positiv aus

Warum aber glauben so viele Menschen, Immigration in den Arbeitsmarkt hätte unerwünschte Lohn- und Beschäftigungseffekte? Das grundlegende Missverständnis liegt in der Vorstellung einer fixen Zahl verfügbarer Arbeitsplätze. Zuwanderer mit Job erhöhen jedoch die Wertschöpfung im Zielland. Sowohl sie als auch die Firmeneigner erhalten dadurch Einkommen und fragen Güter und Dienstleistungen nach. Dadurch werden neue Jobs geschaffen. Dies ist ein Grund, warum Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte in der Regel geringere Arbeitslosigkeit und höhere Löhne haben als dünn besiedelte Regionen. Die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte wirkt sich immer positiv aus. Verdrängungseffekte lassen sich einzig bei gering qualifizierten Arbeitskräften feststellen, die kürzlich zugewandert sind. Flankierend sollte daher die Einhaltung der Tarifverträge gewährleistet sein.

Zugegeben, eine starke Zuwanderung kann auch Probleme hervorrufen. Das hat jüngst das Beispiel der deutschen "Wirtschaftsflüchtlinge" in die Schweiz gezeigt. Die Wirkungen liegen allerdings nicht im Arbeitsmarkt, sondern im Wohnungsmarkt - wegen steigender Immobilienpreise und Mieten. Dies war ein Grund, warum die Schweizer in einer Volksabstimmung Anfang letzten Jahres die Wiedereinführung von Quoten für Migranten aus der EU beschlossen haben. Dabei wird übersehen, dass Immobilien- und Grundbesitzer von der Zuwanderung immens profitieren. Die eigentliche Aufgabe, wenn man die Akzeptanz für Immigration steigern will, wäre, die derzeitigen Immigrationsverlierer aus den Gewinnen der Gewinner zu kompensieren - beispielsweise durch höhere Besteuerung von Erbschaften, Vermögen und Einkünften aus Vermietung.

Gegner eines liberalen Einwanderungsgesetzes verweisen hingegen oft auf die Möglichkeit, in den Heimatländern der Migrationswilligen Hilfe zu leisten. An dieser Stelle sei daher daran erinnert, dass Entwicklungshilfe oftmals in den Händen korrupter Regime versickert und sich bislang insgesamt als desillusionierend herausgestellt hat. Von effektiven Entwicklungshilfeprogrammen sind wir weit entfernt. Demgegenüber machen weltweit schon heute sogenannte "Remittances" - also Geldüberweisungen von Migranten an die im Heimatland gebliebenen Familienmitglieder - das Dreifache des Betrages der Entwicklungshilfe aus. Sie führen in den Heimatländern zu mehr Bildung, geringerer Kindersterblichkeit, Rückgang der Kinderarbeit, geringerer Armut, besserer Gesundheit, mehr Betriebsgründungen und höheren Investitionen. Wer also wirklich helfen möchte, Armut zu bekämpfen und Entwicklung zu fördern, sollte sich für freie Zuwanderung in den europäischen Arbeitsmarkt stark machen.

Selbst das Argument, die Abwanderung produktiver und junger Arbeitskräfte schade Entwicklungsländern unmittelbar (Stichwort "Brain Drain"), ist gerade für ärmere Länder nicht zutreffend. Es gibt vielmehr starke Evidenz dafür, dass mehr Zuwanderungsmöglichkeiten den dortigen Ausbildungsanreiz erhöhen, da höhere Qualifikation aus individueller Sicht größere Migrationschancen bedeutet. Da vielerorts letztlich weniger Qualifizierte einen Arbeitsplatz in einem reichen Land erhalten werden als sich aufgrund erhöhter Migrationschancen zusätzlich qualifizieren, kann die Zahl der qualifizierten Arbeitskräfte in Entwicklungsländern sogar ansteigen. Zudem wissen wir, dass mehr Immigranten auch die Importe aus den Herkunftsländern erhöhen und daher dort die Einkommen.

Die Schaffung weitreichender Immigrationsmöglichkeiten in Jobs ist somit weitaus effektiver, als Entwicklungshilfe es wohl je sein wird. Das ändert natürlich nichts an den gewaltigen Herausforderungen, die sich durch die aus humanitärer Sicht zwingende Aufnahme der Flüchtlinge beispielsweise aus Syrien, Irak, Afghanistan und Eritrea ergeben. Deshalb aber den europäischen Arbeitsmarkt abzuschotten, könnte zu künftigen Krisen beitragen und die Rufe zur weiteren Einschränkung des individuellen Asylrechts noch lauter werden lassen. Es würde somit bedeuten, in einer ökonomischen und humanitären Win-win-Situation zu verlieren.

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